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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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senden Capitale sein Anrecht auf den Genuß desselben nicht mit fortwächst, daß
sein Reichthum weder ihm noch seinen Kindern von irgend welchem nennens-
werthen Nutze" werden kann? Er gehorcht freilich den Gesetzen der Natur, die
doch schließlich mächtiger sind, als alle Gesetze von Despoten; er strebt unwill¬
kürlich nach Reichthum, -- aber glücklich kann er schwerlich sein.

Es bleiben somit als bestimmende Momente für die sociale Rangabstu¬
fung nur Geburt und Beschäftigung übrig. Der adlige Grundbesitzer mit
verschiedenen Nangabstufungen in sich selbst; der Beamte und Soldat, der
Priester, der Kaufmann, der Ackerbauer und der Taglöhner. Diese verschiede¬
nen Rangstufen sind kastenartig von einander geschieden, wie bei allen asiati¬
schen Völkern, aber es scheint, als ob die Grenzlinien zwischen denselben nicht
so schroff und unübersteiglich sind, als dies bisher vermuthet wurde, und als
dies in der indischen Brahminenwclt der Fall ist. Nimmt man nun die eine
große Triebfeder, das materielle Interesse, das Streben nach vermehrten Be¬
sitz aus dem gesellschaftlichen Organismus heraus, so bleibt nur noch ein deut¬
bares Agens -- der Ehrgeiz, und dieser thut, wie ich glaube, seine Schuldig¬
keit. Irgendwo muß der Egoismus des Menschen sich Bahn brechen, irgend¬
wo muß seine natürliche Liebe zum Kampf, zum Wettstreit, zum Fortschritt
sich Luft machen.. Aber auch hier fehlt dem Japaner die Tugend, die Poesie
des Wettstreits, es fehlt ihm jener große moralische Grundbegriff, der so tief¬
greifend und charakteristisch durch die ganze christlich - germanische Welt geht,
und den wir mit Ehrlichkeit, FLntlemkmIiimss bezeichnen. Er schrickt'vor keiner
Lebensbeschäftigung zurück, die wir für ehrlos halten, und der "Spion" ist ein
nothwendiges Attribut seiner Carriere. Wie er selbst von Spionen bewacht
wird, muß er seinerseits wieder der Spion von Anderen sein. Der japanische
Beamte wandelt ununterbrochen mit verbundenen Augen auf einem schwan¬
kenden Seile; ein unerwarteter Luftzug stürzt ihn hinab. Er erwirbt Nichts
für seine alten Tage, denn seine Besoldung ist so berechnet, daß sie gerade für
seinen Unterhalt ausreicht; mit dem Steigen des Ranges und dem Steigen
des Gehaltes wächst auch in vorgeschriebenen Normen die Summe seiner Aus¬
gaben. Er ist nirgends der freidenkende und freischaffende Mensch, als welchen
sich doch bisweilen und innerhalb gewisser Grenzen der Beamte der alten Welt
betrachten darf; er ist nur Maschine; ein Druck der Hand, ein Wort seines
Spions zertrümmert die Maschine. Es muß ein mächtiger Stachel sein, dieser
Ehrgeiz, der Männer aus so schlüpfrige Bahn zu treiben vermag. Aber können
sie glücklich darauf sein?

Man ist gewohnt, mit gewissem Neide auf die Großen des Landes, als
auf die Glücklichen Mi' vxeölltmeö zu sehen. Die Großen dieses Landes waren
einst sämmtlich unabhängige Fürsten, die nur das geistliche Oberhaupt aner¬
kannten. Der einzig sichtbare, principienmüßig und logisch durchgeführte Ge-


senden Capitale sein Anrecht auf den Genuß desselben nicht mit fortwächst, daß
sein Reichthum weder ihm noch seinen Kindern von irgend welchem nennens-
werthen Nutze» werden kann? Er gehorcht freilich den Gesetzen der Natur, die
doch schließlich mächtiger sind, als alle Gesetze von Despoten; er strebt unwill¬
kürlich nach Reichthum, — aber glücklich kann er schwerlich sein.

Es bleiben somit als bestimmende Momente für die sociale Rangabstu¬
fung nur Geburt und Beschäftigung übrig. Der adlige Grundbesitzer mit
verschiedenen Nangabstufungen in sich selbst; der Beamte und Soldat, der
Priester, der Kaufmann, der Ackerbauer und der Taglöhner. Diese verschiede¬
nen Rangstufen sind kastenartig von einander geschieden, wie bei allen asiati¬
schen Völkern, aber es scheint, als ob die Grenzlinien zwischen denselben nicht
so schroff und unübersteiglich sind, als dies bisher vermuthet wurde, und als
dies in der indischen Brahminenwclt der Fall ist. Nimmt man nun die eine
große Triebfeder, das materielle Interesse, das Streben nach vermehrten Be¬
sitz aus dem gesellschaftlichen Organismus heraus, so bleibt nur noch ein deut¬
bares Agens — der Ehrgeiz, und dieser thut, wie ich glaube, seine Schuldig¬
keit. Irgendwo muß der Egoismus des Menschen sich Bahn brechen, irgend¬
wo muß seine natürliche Liebe zum Kampf, zum Wettstreit, zum Fortschritt
sich Luft machen.. Aber auch hier fehlt dem Japaner die Tugend, die Poesie
des Wettstreits, es fehlt ihm jener große moralische Grundbegriff, der so tief¬
greifend und charakteristisch durch die ganze christlich - germanische Welt geht,
und den wir mit Ehrlichkeit, FLntlemkmIiimss bezeichnen. Er schrickt'vor keiner
Lebensbeschäftigung zurück, die wir für ehrlos halten, und der „Spion" ist ein
nothwendiges Attribut seiner Carriere. Wie er selbst von Spionen bewacht
wird, muß er seinerseits wieder der Spion von Anderen sein. Der japanische
Beamte wandelt ununterbrochen mit verbundenen Augen auf einem schwan¬
kenden Seile; ein unerwarteter Luftzug stürzt ihn hinab. Er erwirbt Nichts
für seine alten Tage, denn seine Besoldung ist so berechnet, daß sie gerade für
seinen Unterhalt ausreicht; mit dem Steigen des Ranges und dem Steigen
des Gehaltes wächst auch in vorgeschriebenen Normen die Summe seiner Aus¬
gaben. Er ist nirgends der freidenkende und freischaffende Mensch, als welchen
sich doch bisweilen und innerhalb gewisser Grenzen der Beamte der alten Welt
betrachten darf; er ist nur Maschine; ein Druck der Hand, ein Wort seines
Spions zertrümmert die Maschine. Es muß ein mächtiger Stachel sein, dieser
Ehrgeiz, der Männer aus so schlüpfrige Bahn zu treiben vermag. Aber können
sie glücklich darauf sein?

Man ist gewohnt, mit gewissem Neide auf die Großen des Landes, als
auf die Glücklichen Mi' vxeölltmeö zu sehen. Die Großen dieses Landes waren
einst sämmtlich unabhängige Fürsten, die nur das geistliche Oberhaupt aner¬
kannten. Der einzig sichtbare, principienmüßig und logisch durchgeführte Ge-


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[0282] senden Capitale sein Anrecht auf den Genuß desselben nicht mit fortwächst, daß sein Reichthum weder ihm noch seinen Kindern von irgend welchem nennens- werthen Nutze» werden kann? Er gehorcht freilich den Gesetzen der Natur, die doch schließlich mächtiger sind, als alle Gesetze von Despoten; er strebt unwill¬ kürlich nach Reichthum, — aber glücklich kann er schwerlich sein. Es bleiben somit als bestimmende Momente für die sociale Rangabstu¬ fung nur Geburt und Beschäftigung übrig. Der adlige Grundbesitzer mit verschiedenen Nangabstufungen in sich selbst; der Beamte und Soldat, der Priester, der Kaufmann, der Ackerbauer und der Taglöhner. Diese verschiede¬ nen Rangstufen sind kastenartig von einander geschieden, wie bei allen asiati¬ schen Völkern, aber es scheint, als ob die Grenzlinien zwischen denselben nicht so schroff und unübersteiglich sind, als dies bisher vermuthet wurde, und als dies in der indischen Brahminenwclt der Fall ist. Nimmt man nun die eine große Triebfeder, das materielle Interesse, das Streben nach vermehrten Be¬ sitz aus dem gesellschaftlichen Organismus heraus, so bleibt nur noch ein deut¬ bares Agens — der Ehrgeiz, und dieser thut, wie ich glaube, seine Schuldig¬ keit. Irgendwo muß der Egoismus des Menschen sich Bahn brechen, irgend¬ wo muß seine natürliche Liebe zum Kampf, zum Wettstreit, zum Fortschritt sich Luft machen.. Aber auch hier fehlt dem Japaner die Tugend, die Poesie des Wettstreits, es fehlt ihm jener große moralische Grundbegriff, der so tief¬ greifend und charakteristisch durch die ganze christlich - germanische Welt geht, und den wir mit Ehrlichkeit, FLntlemkmIiimss bezeichnen. Er schrickt'vor keiner Lebensbeschäftigung zurück, die wir für ehrlos halten, und der „Spion" ist ein nothwendiges Attribut seiner Carriere. Wie er selbst von Spionen bewacht wird, muß er seinerseits wieder der Spion von Anderen sein. Der japanische Beamte wandelt ununterbrochen mit verbundenen Augen auf einem schwan¬ kenden Seile; ein unerwarteter Luftzug stürzt ihn hinab. Er erwirbt Nichts für seine alten Tage, denn seine Besoldung ist so berechnet, daß sie gerade für seinen Unterhalt ausreicht; mit dem Steigen des Ranges und dem Steigen des Gehaltes wächst auch in vorgeschriebenen Normen die Summe seiner Aus¬ gaben. Er ist nirgends der freidenkende und freischaffende Mensch, als welchen sich doch bisweilen und innerhalb gewisser Grenzen der Beamte der alten Welt betrachten darf; er ist nur Maschine; ein Druck der Hand, ein Wort seines Spions zertrümmert die Maschine. Es muß ein mächtiger Stachel sein, dieser Ehrgeiz, der Männer aus so schlüpfrige Bahn zu treiben vermag. Aber können sie glücklich darauf sein? Man ist gewohnt, mit gewissem Neide auf die Großen des Landes, als auf die Glücklichen Mi' vxeölltmeö zu sehen. Die Großen dieses Landes waren einst sämmtlich unabhängige Fürsten, die nur das geistliche Oberhaupt aner¬ kannten. Der einzig sichtbare, principienmüßig und logisch durchgeführte Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/282>, abgerufen am 24.08.2024.