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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Welt doch dankbar, daß sie eben solche Despoten waren, als sie waren. Ohne
das wären auch wir vielleicht geblieben, was die Japaner sind.

Man nennt sie ein glückliches Volk.

Um darüber in's Reine zu komme", muß man den Begriff "Volk" specia-
lisiren. Nirgends selbst in den vollendetsten Republiken des Alterthums war
"Volk" jemals ein einheitlicher Begriff. Wo das Gesetz nicht verschiedene
Rangklassen der Gesellschaft erschaffen hatte, oder sie anerkannte, that es die
Sitte und die Macht der Verhältnisse. Solche verschiedene Rangklassen giebt
es selbstverständlich auch in Japan; aber da giebt es nichts von Ueberhebung,
"indes von brutalen Launen eines Großen gegen Geringere, sondern es ist
auch hier in dem gegenseitigen Verhältniß der Rangklassen zu einander Alles
auf das Genaueste durch Gesetze geregelt; die Kreise, in denen sich Zeder zu
bewegen hat, sind aus das Schärfste vorgezeichnet.

Eines ist überraschend und zum zweiten Male vielleicht nicht vorhanden
in der Welt: Geld schafft keinen Rang. Geld geht gleichmäßig neben und
durch alle Rangklassen hin, ohne die Stellung des Inhabers zu verändern.
Der Kaufmann und Millionär neigt sein Haupt zur Erde vor dem ärmsten
Schwertträger. Geld schafft kein Vorrecht. Der Reichste wird gerichtet wie
der Aermste. -- Geld besticht nicht. Was nützte auch dem Richter das Geld?
Er darf es nicht sehen lassen, denn seine Verhältnisse sind genau bekannt und
das überall lauernde Auge der Spione wacht über ihn; sein Kopf oder viel¬
mehr sein Bauch ist immer verantwortlich. Unter allen Eindrücken, die ich je
>" fremden Ländern erhalten habe, war mir dieser der wunderbarste, und Nichts
steht mit den Institutionen der alten Welt in so blendendem Widersprüche als
dies Verhältniß. Die alten Schriftsteller über Japan (Kämpfer und Thunberg)
und demgemäß alle neueren Abschreiber derselben schildern die Bewohner des
Landes als über alle Beschreibung genügsam und bedürsnißlos, -- also glück¬
lich. Ich für mein Theil kann nur den Schein der Thatsache und darum das
Entschuldbare des Irrthums zugestehen, halte sie aber für unwahr und wenig¬
stens für werthlos. Denn strenge Luxusgesetze regeln den Kreis der Bedürf¬
nisse jedes Einzelnen, gemäß seinem Stande. und es ist keine Kunst zufrieden
^ scheinen, wenn man mit Sicherheit weiß, daß man mehr niemals erwarten
darf, und jede Aeußerung der Unzufriedenheit mit dem Tode bestraft wird. In
hinein Falle ist Tugend in dieser Zufriedenheit, und gegen die Gesellschaft muß
ste sogar als Verbrechen bezeichnet werden; denn was die Welt vorwärts be¬
legt, das ist die Unzufriedenheit. Die japanische Zufriedenheit ist nur Stumpf¬
heit, w^in man nicht das Schlimmere annehmen will -- Heuchelei. Ist
°s denkbar, daß der Kaufmann glücklich ist. dem zwar die Gelegenheit offen
steht, durch Speculationen oder durch sorgsamen Betrieb seines Geschäftes sein
Capital zu vergrößern, aber mit dem sicheren Bewußtsein, daß mit dem wach-


Welt doch dankbar, daß sie eben solche Despoten waren, als sie waren. Ohne
das wären auch wir vielleicht geblieben, was die Japaner sind.

Man nennt sie ein glückliches Volk.

Um darüber in's Reine zu komme», muß man den Begriff „Volk" specia-
lisiren. Nirgends selbst in den vollendetsten Republiken des Alterthums war
»Volk" jemals ein einheitlicher Begriff. Wo das Gesetz nicht verschiedene
Rangklassen der Gesellschaft erschaffen hatte, oder sie anerkannte, that es die
Sitte und die Macht der Verhältnisse. Solche verschiedene Rangklassen giebt
es selbstverständlich auch in Japan; aber da giebt es nichts von Ueberhebung,
"indes von brutalen Launen eines Großen gegen Geringere, sondern es ist
auch hier in dem gegenseitigen Verhältniß der Rangklassen zu einander Alles
auf das Genaueste durch Gesetze geregelt; die Kreise, in denen sich Zeder zu
bewegen hat, sind aus das Schärfste vorgezeichnet.

Eines ist überraschend und zum zweiten Male vielleicht nicht vorhanden
in der Welt: Geld schafft keinen Rang. Geld geht gleichmäßig neben und
durch alle Rangklassen hin, ohne die Stellung des Inhabers zu verändern.
Der Kaufmann und Millionär neigt sein Haupt zur Erde vor dem ärmsten
Schwertträger. Geld schafft kein Vorrecht. Der Reichste wird gerichtet wie
der Aermste. — Geld besticht nicht. Was nützte auch dem Richter das Geld?
Er darf es nicht sehen lassen, denn seine Verhältnisse sind genau bekannt und
das überall lauernde Auge der Spione wacht über ihn; sein Kopf oder viel¬
mehr sein Bauch ist immer verantwortlich. Unter allen Eindrücken, die ich je
>» fremden Ländern erhalten habe, war mir dieser der wunderbarste, und Nichts
steht mit den Institutionen der alten Welt in so blendendem Widersprüche als
dies Verhältniß. Die alten Schriftsteller über Japan (Kämpfer und Thunberg)
und demgemäß alle neueren Abschreiber derselben schildern die Bewohner des
Landes als über alle Beschreibung genügsam und bedürsnißlos, — also glück¬
lich. Ich für mein Theil kann nur den Schein der Thatsache und darum das
Entschuldbare des Irrthums zugestehen, halte sie aber für unwahr und wenig¬
stens für werthlos. Denn strenge Luxusgesetze regeln den Kreis der Bedürf¬
nisse jedes Einzelnen, gemäß seinem Stande. und es ist keine Kunst zufrieden
^ scheinen, wenn man mit Sicherheit weiß, daß man mehr niemals erwarten
darf, und jede Aeußerung der Unzufriedenheit mit dem Tode bestraft wird. In
hinein Falle ist Tugend in dieser Zufriedenheit, und gegen die Gesellschaft muß
ste sogar als Verbrechen bezeichnet werden; denn was die Welt vorwärts be¬
legt, das ist die Unzufriedenheit. Die japanische Zufriedenheit ist nur Stumpf¬
heit, w^in man nicht das Schlimmere annehmen will — Heuchelei. Ist
°s denkbar, daß der Kaufmann glücklich ist. dem zwar die Gelegenheit offen
steht, durch Speculationen oder durch sorgsamen Betrieb seines Geschäftes sein
Capital zu vergrößern, aber mit dem sicheren Bewußtsein, daß mit dem wach-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/281>, abgerufen am 05.02.2025.