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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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und wieder andere, näher der Eiszone, die von edleren Früchten und Thieren
zum Theil nichts, zum Theil wenig hatten, und wo die Menschen von Hirse
und andern Kräwern. Früchten und Wurzeln lebten -- "Gegenden jedoch von
nicht reinem Sonnenschein, weshalb man das Getreide, welches wegen Mangel
an Sonne und durch starke Regengüsse untauglich werden würde, in großen
Häusern zusammenbringt und drischt." Ferner berichtet er (nach Strabo, der
dies wieder aus Polybius hat) "es sei weiter hinaus über Thule und dessen
Umgebung weder Land, noch Meer, noch Lust, diese Elemente im gewöhnlichen
Sinn verstanden, sondern es sei ein aus den dreien Gemischtes, etwas einer
Meerlunge Aehnliches", "in welcher, wie man sagt, Land und Meer und Alles
mit einander zusammen schwebt." Es sei dies ein gleichsam das Ganze zu¬
sammenhaltendes Land, das aber weder zu Fuß, noch zu Schiffe zugänglich
sei. Dieses der Meerlunge ähnliche Phänomen will er selbst wahrgenommen
haben, das Uebrige erzählt er von bloßem Hörensagen her.

Die Frage, was man sich unter diesem Thule zu denken habe, ist unge¬
fähr mit so vielen Hypothesen beantwortet worden, als Gelehrte sich mit der
Lösung des Räthsels beschäftigt haben. Ortelius und Sven Nilson dachten
an die skandinavische Halbinsel. L. v. Buch entschied sich sür Nordland und
Finnmarken, Max Fuhr für Teke oder Tcllmcirken, Voß sür eine der Orkaden,
Bredsdorff für das südliche Norwegen oder die weit entfernte Insel Tiloe.
Von Malte Brun wurde auf die äußerste Spitze Jütlands gerathen, von Reds¬
lob auf Tylö im Meerbusen von Halmstadt; v. Humboldt und Bessel schlössen,
jeder aus andern Gründen, auf Island. Andere meinten wieder in der
Insel Foula das Thule der alten Geographie finden zu müssen.

Ziegler theilt die Gründe, welche v. Humboldt, Redslob und Bessel für
ihre Meinungen anführen, ausführlich mit und versucht sodann seine Annahme
zu empfehlen, nach welcher wir Thule, wenn darunter nicht überhaupt ein"
Gemeinbegriff für den äußersten Norden, sür die nördlichen Grenzländer, son¬
dern ein bestimmtes Land zu verstehen, in Mainland, der größten von
den Shetlands-Inseln, zu suchen hätten. Seine Beweisführung gliedert
sich in folgende Sätze:

Tacitus sagt an der Stelle, wo er von Entdeckung und Unterwerfung der
Orkaden (Orkneys) spricht: "und es wurde auch Thule erblickt." Dies geht
unzweifelhaft auf die Shetlcmds-Jnseln, da im Norden der Orkneys zunächst
kein anderes zu Britannien gehöriges Land liegt, und dies stimmt auch mit
der Angabe des Pytheas bei Strabo, nach welcher Thule sechs Tagcfahrtcn
nördlich von Bretanike lag und die nördlichste britische Insel war. Ptolemäus,
der die Entfernungen oft größer angibt, als sie wirklich sind, setzt Thule eben¬
falls über die Orkaden auf den 63. Grad nördlicher Breite, und Plinius sagt,
daß man aus Nerigon (Norge, Norwegen) nach Thule schiffe. Die Behaup-


und wieder andere, näher der Eiszone, die von edleren Früchten und Thieren
zum Theil nichts, zum Theil wenig hatten, und wo die Menschen von Hirse
und andern Kräwern. Früchten und Wurzeln lebten — „Gegenden jedoch von
nicht reinem Sonnenschein, weshalb man das Getreide, welches wegen Mangel
an Sonne und durch starke Regengüsse untauglich werden würde, in großen
Häusern zusammenbringt und drischt." Ferner berichtet er (nach Strabo, der
dies wieder aus Polybius hat) „es sei weiter hinaus über Thule und dessen
Umgebung weder Land, noch Meer, noch Lust, diese Elemente im gewöhnlichen
Sinn verstanden, sondern es sei ein aus den dreien Gemischtes, etwas einer
Meerlunge Aehnliches", „in welcher, wie man sagt, Land und Meer und Alles
mit einander zusammen schwebt." Es sei dies ein gleichsam das Ganze zu¬
sammenhaltendes Land, das aber weder zu Fuß, noch zu Schiffe zugänglich
sei. Dieses der Meerlunge ähnliche Phänomen will er selbst wahrgenommen
haben, das Uebrige erzählt er von bloßem Hörensagen her.

Die Frage, was man sich unter diesem Thule zu denken habe, ist unge¬
fähr mit so vielen Hypothesen beantwortet worden, als Gelehrte sich mit der
Lösung des Räthsels beschäftigt haben. Ortelius und Sven Nilson dachten
an die skandinavische Halbinsel. L. v. Buch entschied sich sür Nordland und
Finnmarken, Max Fuhr für Teke oder Tcllmcirken, Voß sür eine der Orkaden,
Bredsdorff für das südliche Norwegen oder die weit entfernte Insel Tiloe.
Von Malte Brun wurde auf die äußerste Spitze Jütlands gerathen, von Reds¬
lob auf Tylö im Meerbusen von Halmstadt; v. Humboldt und Bessel schlössen,
jeder aus andern Gründen, auf Island. Andere meinten wieder in der
Insel Foula das Thule der alten Geographie finden zu müssen.

Ziegler theilt die Gründe, welche v. Humboldt, Redslob und Bessel für
ihre Meinungen anführen, ausführlich mit und versucht sodann seine Annahme
zu empfehlen, nach welcher wir Thule, wenn darunter nicht überhaupt ein»
Gemeinbegriff für den äußersten Norden, sür die nördlichen Grenzländer, son¬
dern ein bestimmtes Land zu verstehen, in Mainland, der größten von
den Shetlands-Inseln, zu suchen hätten. Seine Beweisführung gliedert
sich in folgende Sätze:

Tacitus sagt an der Stelle, wo er von Entdeckung und Unterwerfung der
Orkaden (Orkneys) spricht: „und es wurde auch Thule erblickt." Dies geht
unzweifelhaft auf die Shetlcmds-Jnseln, da im Norden der Orkneys zunächst
kein anderes zu Britannien gehöriges Land liegt, und dies stimmt auch mit
der Angabe des Pytheas bei Strabo, nach welcher Thule sechs Tagcfahrtcn
nördlich von Bretanike lag und die nördlichste britische Insel war. Ptolemäus,
der die Entfernungen oft größer angibt, als sie wirklich sind, setzt Thule eben¬
falls über die Orkaden auf den 63. Grad nördlicher Breite, und Plinius sagt,
daß man aus Nerigon (Norge, Norwegen) nach Thule schiffe. Die Behaup-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/28>, abgerufen am 24.08.2024.