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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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bringt, erdichtet ist. ergibt sich daraus, daß er über die bekannten Länder das
Meiste gelogen hat; ohne Zweifel hat er in Betreff der entlegnen Lander noch
mehr gelogen." ^

Nun sind von dem Reisewerk des Pytheas nur Bruchstücke übrig, und
so können wir nicht beurtheilen , wiefern Strabo im Allgemeinen zu diesem
harten Urtheil berechtigt war. Daß Pytheas aber mit dem Norden besser
bekannt gewesen, als sein Tadler. könnte sich vorläufig schon darnach anneh¬
men lassen, daß er nicht wie dieser in den groben Fehler verfällt. Irland in
den Norden der britischen Insel zu verlegen, sondern weiß, daß es derselben
"in gleicher Breite zur Seite liegt".

In neuerer Zeit hat man denn auch die Angaben des massilischen Nord-
iandsfahrers besser gewürdigt und namentlich versucht, sein Thule. das
für die neuere Zeit ganz ebenso wie für die alte ein Gegenstand der bloßen
Vermuthung und zuletzt nur ein Bild der Verschollenheit für die Dichter oder

vornehmerer Ausdruck für die populäre Redensart "wo die Welt mit Bre-
tern vernagelt ist" war. unter den Ländern und Inseln über der Nordsee durch
Hypothesen wieder zu entdecken. Den neuesten Versuch dieser Art hat Dr.
Alexander Ziegler in einer kleinen Schrift gemacht, die sich durch fleißige
Zusammenstellung alles in die Frage Einschlagenden, vorzüglich aber auch da¬
durch empfiehlt, daß ihr Verfasser die Gegenden, wo Thule gelegen haben
müßte, durch eigne Anschauung kennt, und aus der wir im Nachstehenden zu¬
nächst für solche, die das Goethesche Lied localisirt sehen möchten, dann für
Freunde der Erdkunde das Wesentlichste mittheilen*). Selbstverständlich bringt
es auch Ziegler nicht weiter als zu Hypothesen, indeß meinen wir. daß die¬
selben sich hören lassen.

Pytheas war ein Bürger der griechischen Kolonie Massilia (Marseille)
"und Zeitgenosse Alexanders des Großen. Er muh ein guter Astronom und
Mathematiker gewesen sein; denn er hat eine für seine Zeit sehr genaue Be¬
stimmung der Höhe seiner Vaterstadt und ebenso eine auffällig zutreffende
Bestimmung des Nordpols gemacht. Seine Nordlandsreise unternahm er ver-
muthlich zwischen den Jahren 360 und 350 v. Chr. Sie führte ihn zunächst
nach dem britischen Vorgebirge Cardium (Kent). dann nach Thule und später
in das Bcrnstcuiland. Von Thule sagt er. daß es bis unter den Polarkreis
reiche, im Sommer beständigen Tag. im Winter immerwährende Nacht habe,
und daß man eine Tagereise weiter nördlich das Eismeer finde. Ob das
Land eine Insel sei, konnte er nicht in Erfahrung bringen. Dagegen bemerkte
er. daß es hier Gegenden gab, in denen Getreide und Honig erzeugt wurden.



') Die Reise des Pytheas nach Thule (Shetland-Znscln). Von Alexander Ziegler, --
Dresden. Druck von C, Heinrich. 1861, Die Schrift ist der Gesellschaft für Erdkunde in
Berlin gewidmet.
Grenzboten II. 1861. ^

bringt, erdichtet ist. ergibt sich daraus, daß er über die bekannten Länder das
Meiste gelogen hat; ohne Zweifel hat er in Betreff der entlegnen Lander noch
mehr gelogen." ^

Nun sind von dem Reisewerk des Pytheas nur Bruchstücke übrig, und
so können wir nicht beurtheilen , wiefern Strabo im Allgemeinen zu diesem
harten Urtheil berechtigt war. Daß Pytheas aber mit dem Norden besser
bekannt gewesen, als sein Tadler. könnte sich vorläufig schon darnach anneh¬
men lassen, daß er nicht wie dieser in den groben Fehler verfällt. Irland in
den Norden der britischen Insel zu verlegen, sondern weiß, daß es derselben
»in gleicher Breite zur Seite liegt".

In neuerer Zeit hat man denn auch die Angaben des massilischen Nord-
iandsfahrers besser gewürdigt und namentlich versucht, sein Thule. das
für die neuere Zeit ganz ebenso wie für die alte ein Gegenstand der bloßen
Vermuthung und zuletzt nur ein Bild der Verschollenheit für die Dichter oder

vornehmerer Ausdruck für die populäre Redensart „wo die Welt mit Bre-
tern vernagelt ist" war. unter den Ländern und Inseln über der Nordsee durch
Hypothesen wieder zu entdecken. Den neuesten Versuch dieser Art hat Dr.
Alexander Ziegler in einer kleinen Schrift gemacht, die sich durch fleißige
Zusammenstellung alles in die Frage Einschlagenden, vorzüglich aber auch da¬
durch empfiehlt, daß ihr Verfasser die Gegenden, wo Thule gelegen haben
müßte, durch eigne Anschauung kennt, und aus der wir im Nachstehenden zu¬
nächst für solche, die das Goethesche Lied localisirt sehen möchten, dann für
Freunde der Erdkunde das Wesentlichste mittheilen*). Selbstverständlich bringt
es auch Ziegler nicht weiter als zu Hypothesen, indeß meinen wir. daß die¬
selben sich hören lassen.

Pytheas war ein Bürger der griechischen Kolonie Massilia (Marseille)
»und Zeitgenosse Alexanders des Großen. Er muh ein guter Astronom und
Mathematiker gewesen sein; denn er hat eine für seine Zeit sehr genaue Be¬
stimmung der Höhe seiner Vaterstadt und ebenso eine auffällig zutreffende
Bestimmung des Nordpols gemacht. Seine Nordlandsreise unternahm er ver-
muthlich zwischen den Jahren 360 und 350 v. Chr. Sie führte ihn zunächst
nach dem britischen Vorgebirge Cardium (Kent). dann nach Thule und später
in das Bcrnstcuiland. Von Thule sagt er. daß es bis unter den Polarkreis
reiche, im Sommer beständigen Tag. im Winter immerwährende Nacht habe,
und daß man eine Tagereise weiter nördlich das Eismeer finde. Ob das
Land eine Insel sei, konnte er nicht in Erfahrung bringen. Dagegen bemerkte
er. daß es hier Gegenden gab, in denen Getreide und Honig erzeugt wurden.



') Die Reise des Pytheas nach Thule (Shetland-Znscln). Von Alexander Ziegler, —
Dresden. Druck von C, Heinrich. 1861, Die Schrift ist der Gesellschaft für Erdkunde in
Berlin gewidmet.
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[0027] bringt, erdichtet ist. ergibt sich daraus, daß er über die bekannten Länder das Meiste gelogen hat; ohne Zweifel hat er in Betreff der entlegnen Lander noch mehr gelogen." ^ Nun sind von dem Reisewerk des Pytheas nur Bruchstücke übrig, und so können wir nicht beurtheilen , wiefern Strabo im Allgemeinen zu diesem harten Urtheil berechtigt war. Daß Pytheas aber mit dem Norden besser bekannt gewesen, als sein Tadler. könnte sich vorläufig schon darnach anneh¬ men lassen, daß er nicht wie dieser in den groben Fehler verfällt. Irland in den Norden der britischen Insel zu verlegen, sondern weiß, daß es derselben »in gleicher Breite zur Seite liegt". In neuerer Zeit hat man denn auch die Angaben des massilischen Nord- iandsfahrers besser gewürdigt und namentlich versucht, sein Thule. das für die neuere Zeit ganz ebenso wie für die alte ein Gegenstand der bloßen Vermuthung und zuletzt nur ein Bild der Verschollenheit für die Dichter oder vornehmerer Ausdruck für die populäre Redensart „wo die Welt mit Bre- tern vernagelt ist" war. unter den Ländern und Inseln über der Nordsee durch Hypothesen wieder zu entdecken. Den neuesten Versuch dieser Art hat Dr. Alexander Ziegler in einer kleinen Schrift gemacht, die sich durch fleißige Zusammenstellung alles in die Frage Einschlagenden, vorzüglich aber auch da¬ durch empfiehlt, daß ihr Verfasser die Gegenden, wo Thule gelegen haben müßte, durch eigne Anschauung kennt, und aus der wir im Nachstehenden zu¬ nächst für solche, die das Goethesche Lied localisirt sehen möchten, dann für Freunde der Erdkunde das Wesentlichste mittheilen*). Selbstverständlich bringt es auch Ziegler nicht weiter als zu Hypothesen, indeß meinen wir. daß die¬ selben sich hören lassen. Pytheas war ein Bürger der griechischen Kolonie Massilia (Marseille) »und Zeitgenosse Alexanders des Großen. Er muh ein guter Astronom und Mathematiker gewesen sein; denn er hat eine für seine Zeit sehr genaue Be¬ stimmung der Höhe seiner Vaterstadt und ebenso eine auffällig zutreffende Bestimmung des Nordpols gemacht. Seine Nordlandsreise unternahm er ver- muthlich zwischen den Jahren 360 und 350 v. Chr. Sie führte ihn zunächst nach dem britischen Vorgebirge Cardium (Kent). dann nach Thule und später in das Bcrnstcuiland. Von Thule sagt er. daß es bis unter den Polarkreis reiche, im Sommer beständigen Tag. im Winter immerwährende Nacht habe, und daß man eine Tagereise weiter nördlich das Eismeer finde. Ob das Land eine Insel sei, konnte er nicht in Erfahrung bringen. Dagegen bemerkte er. daß es hier Gegenden gab, in denen Getreide und Honig erzeugt wurden. ') Die Reise des Pytheas nach Thule (Shetland-Znscln). Von Alexander Ziegler, — Dresden. Druck von C, Heinrich. 1861, Die Schrift ist der Gesellschaft für Erdkunde in Berlin gewidmet. Grenzboten II. 1861. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/27>, abgerufen am 22.07.2024.