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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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tung. daß Letzteres in der Nähe des Eismeeres liege, ist im Allgemeinen nicht
unrichtig! denn noch jetzt wird dos Meer zwischen Finnmarken und den Shet-
lands-Jnseln als Eismeer bezeichnet. So könnte denn Shetland Thule gewesen
sein, wenn auch die geographischen Bestimmungen von Pytheas und Ptolemäus
nicht genau sind. Hütte Ptolemäus statt des 63. den 60. Grad gesetzt, so
würde das ziemlich passen, und wir wissen, daß man die alten Geographen
in solchen Dingen nicht immer buchstäblich nehmen darf. Ist Pytheas von
den Orkaden in die See gestochen und gen Norden schiffend, nachdem er in
sechs Tagefahrten fast dreitausend Stadien zurückgelegt, an ein Land Thule
gekommen, so müssen seine Tagefahrten viel kürzer und ungleichmäßiger ge¬
wesen sein, als sie spätere Geographen berechnen, und daß sich das in der
That so verhielt, läßt sich daraus schließen, daß er auch die Entfernung zwi¬
schen dem heiligen Vorgebirge und Gades zu hoch angibt. Nach Solinus
fuhr man von den Hebriden nach den Orkaden sieben Tage und ebensoviele
Nächte, von den Orkaden nach Thule fünf Tage und fünf Nächte.

Aus einigen Angaben des Pytheas über das Zusammenfallen des som¬
merlichen Wendekreises mit dem arktischen Kreise folgerte man. daß es in oder
um Thule Gegenden gäbe, wo nicht nur im Sommer ununterbrochne Tage,
im Winter ununterbrochne Nächte ansingen, sondern (was nur unter dem Pol
selbst stattfindet) Tag und Nacht von je sechsmonatlicher Länge sei. Dies
widerspricht aber einer Mittheilung des Marcianus Capella, nach welcher Py¬
theas von solchen Tagen und Nächten in Thule nur gehört zu haben behaup¬
tete, sowie den eignen Worten des Reisenden: "Die Barbaren zeigten uns den
Ort des Sonnenuntergangs. Denn in diesen Gegenden gibt es Zeiten, wo
die Nacht sehr kurz ist und nur zwei bis drei Stunden währt. Die Sonne
verschwindet dann hinter dem Gesichtskreis, um nach kurzem Lauf am Ort
ihres Aufgangs wieder zu erscheinen." Daraus, sowie aus ähnlichen Stellen
geht hervor, daß Pytheas nicht einmal dahin gelangt ist. wo die ununter-
brochnem Nächte anfangen, geschweige denn dahin, wo Tag und Nacht von
je sechsmonatlicher Länge sind oder wo. um ein früher beliebtes Bild zu brau¬
chen, die Sonne ihren Winterschlaf hält. Nimmt man nun einen Unterschied
zwischen Thule selbst und den Gegenden um Thule ir" n^i So^v) oder,
was dasselbe ist, andern mit Thule ein Ganzes, das hohe Nordland, aus¬
machenden Punkten (ö-^ot r"vrx raro.) an. und adoptirt man die Ansicht,
daß obige Gegenden, in denen sich die Nächte bis auf drei und zwei Stunden
kürzten..dem Pytheas von den Barbaren nur gezeigt worden sind, so würden
allerdings diese Gegenden um Thule bei den Shetlands-Jnseln gesucht werden
können, und Thule selbst die größte von den letzteren, das heutige Main¬
land sein.

"Auf den Shetlands-Jnseln". sagt Ziegler, "habe ich mich mit eigenen


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tung. daß Letzteres in der Nähe des Eismeeres liege, ist im Allgemeinen nicht
unrichtig! denn noch jetzt wird dos Meer zwischen Finnmarken und den Shet-
lands-Jnseln als Eismeer bezeichnet. So könnte denn Shetland Thule gewesen
sein, wenn auch die geographischen Bestimmungen von Pytheas und Ptolemäus
nicht genau sind. Hütte Ptolemäus statt des 63. den 60. Grad gesetzt, so
würde das ziemlich passen, und wir wissen, daß man die alten Geographen
in solchen Dingen nicht immer buchstäblich nehmen darf. Ist Pytheas von
den Orkaden in die See gestochen und gen Norden schiffend, nachdem er in
sechs Tagefahrten fast dreitausend Stadien zurückgelegt, an ein Land Thule
gekommen, so müssen seine Tagefahrten viel kürzer und ungleichmäßiger ge¬
wesen sein, als sie spätere Geographen berechnen, und daß sich das in der
That so verhielt, läßt sich daraus schließen, daß er auch die Entfernung zwi¬
schen dem heiligen Vorgebirge und Gades zu hoch angibt. Nach Solinus
fuhr man von den Hebriden nach den Orkaden sieben Tage und ebensoviele
Nächte, von den Orkaden nach Thule fünf Tage und fünf Nächte.

Aus einigen Angaben des Pytheas über das Zusammenfallen des som¬
merlichen Wendekreises mit dem arktischen Kreise folgerte man. daß es in oder
um Thule Gegenden gäbe, wo nicht nur im Sommer ununterbrochne Tage,
im Winter ununterbrochne Nächte ansingen, sondern (was nur unter dem Pol
selbst stattfindet) Tag und Nacht von je sechsmonatlicher Länge sei. Dies
widerspricht aber einer Mittheilung des Marcianus Capella, nach welcher Py¬
theas von solchen Tagen und Nächten in Thule nur gehört zu haben behaup¬
tete, sowie den eignen Worten des Reisenden: „Die Barbaren zeigten uns den
Ort des Sonnenuntergangs. Denn in diesen Gegenden gibt es Zeiten, wo
die Nacht sehr kurz ist und nur zwei bis drei Stunden währt. Die Sonne
verschwindet dann hinter dem Gesichtskreis, um nach kurzem Lauf am Ort
ihres Aufgangs wieder zu erscheinen." Daraus, sowie aus ähnlichen Stellen
geht hervor, daß Pytheas nicht einmal dahin gelangt ist. wo die ununter-
brochnem Nächte anfangen, geschweige denn dahin, wo Tag und Nacht von
je sechsmonatlicher Länge sind oder wo. um ein früher beliebtes Bild zu brau¬
chen, die Sonne ihren Winterschlaf hält. Nimmt man nun einen Unterschied
zwischen Thule selbst und den Gegenden um Thule ir« n^i So^v) oder,
was dasselbe ist, andern mit Thule ein Ganzes, das hohe Nordland, aus¬
machenden Punkten (ö-^ot r«vrx raro.) an. und adoptirt man die Ansicht,
daß obige Gegenden, in denen sich die Nächte bis auf drei und zwei Stunden
kürzten..dem Pytheas von den Barbaren nur gezeigt worden sind, so würden
allerdings diese Gegenden um Thule bei den Shetlands-Jnseln gesucht werden
können, und Thule selbst die größte von den letzteren, das heutige Main¬
land sein.

„Auf den Shetlands-Jnseln". sagt Ziegler, „habe ich mich mit eigenen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/29>, abgerufen am 25.08.2024.