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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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theilnahmlose Zuschauer gewesen -- jetzt waren sie nur das letztere. Ein Blick
von dem Toscaner, und sofort steckte er eine Flasche Wein durch's Fenster hin¬
aus. Der Franzose folgte seinem Beispiel, ich auch, und Braten, Geflügel,
Brod und Wein verschwanden vom Tische und unter den Mänteln und Decken
der Freiwilligen. -- Ein ganzes Brod, das eben auf den Tisch gestellt worden,
wanderte, so bald der Cameriere sich umdrehte, diesen Wohlthaten nach, und kaum
war jener in der Thür, als Klopfen mit Messer und Gabel und der Ruf: "Oa-
meriore, Mire, viiro", ihn zurückführte. Ich glaubte zu bemerken, daß er
ein Kreuzzeichen schlug. Daß er sein "in-rlaäetto wmxo" lauter wie vor¬
her wiederholte, hörte ich. So ging der Tag hin und die Sonne neigte sich,
um in ihr so oft beschriebenes, niemals würdig zu beschreibendes Meeresbett
zu steigen. Mit etwas mehr Ordnung und Zuversicht hatten die Deckpassa¬
giere sich ihre Nachtplätze gesichert, und nicht viele Minuten, nachdem die
rothe Sonnenkugel im schiefergrauen Meere verschwunden war, herrschte um uns
das Schweigen und Dunkel der Nacht.

Der Morgen war angebrochen. Um das Schiff schnellten Delphine mit lusti¬
gen Purzelbäumen empor. Möven schössen herunter, um sich aus dem Wasser
ihr Frühstück zu holen. Das Verdeck wurde gespült und unten und oben
machten die Passagiere Toilette. Im Uebrigen herrschte dieselbe Eintönigkeit.
Nur daß bei dem Appel der graue Offizier als seekrank fehlte, und daß auf
dem Hinterdeck auch der Major mit der Decke nicht zu erblicken war. Mein
Franzose drehte den Schnurrbart. Der Toscaner hatte ein paar Damen er¬
hascht, um mit ihnen zu plaudern. Der junge Amerikaner probirte die Spitze
seines Dolches. Mich dagegen langweilte ein Herr, der sich als ungarischer
Major von 1849 vorgestellt. Später in die östreichische Armee einrangirt,
hatte er es zum Offizier gebracht, war aber bald wegen "schlechter Behandlung"
nach der Walachei desertirt. Da er dort in Gefahr gewesen, ausgeliefert zu
werden, hatte er sich nach der Türkei begeben, wo man ihm seine frühere
Charge gegeben hatte. Da er sich indeß nicht hatte entschließen können, den
Islam anzunehmen, so hatte er auch hier die Flucht ergriffen. (Ich muß
bei Anhörung dieser Geschichte sehr leichtgläubig ausgesehen haben). Ob er
den Vogelmeg von der Türkei nach Genua eingeschlagen hatte, erwähnte er
nicht; genug, seine Meinung war jetzt für die Freiheit Italiens zu kämpfen,
um damit die Befreiung seines Vaterlandes zu erringen. Es ist wahr, er
trug einen ungarischen Bart und war im Besitz einer gebogenen Nase, aber
mir schien er eins von jenen Subjecten zu sein, die ihr Vaterland nur aus
der Geographie kennen. Mehrere solche waren da. Zur Ehre der ungarisches
Nation aber kann ich jetzt behaupten, daß die Mehrzahl, nur um sich wichtig
zu thun, mit ihrer'Nationalität prahlteü, und daß sie, wenn ihre Geburt es
auch gestattete, den ungarischen Namen zu tragen, von den edlen Ungarn, die


theilnahmlose Zuschauer gewesen — jetzt waren sie nur das letztere. Ein Blick
von dem Toscaner, und sofort steckte er eine Flasche Wein durch's Fenster hin¬
aus. Der Franzose folgte seinem Beispiel, ich auch, und Braten, Geflügel,
Brod und Wein verschwanden vom Tische und unter den Mänteln und Decken
der Freiwilligen. — Ein ganzes Brod, das eben auf den Tisch gestellt worden,
wanderte, so bald der Cameriere sich umdrehte, diesen Wohlthaten nach, und kaum
war jener in der Thür, als Klopfen mit Messer und Gabel und der Ruf: „Oa-
meriore, Mire, viiro", ihn zurückführte. Ich glaubte zu bemerken, daß er
ein Kreuzzeichen schlug. Daß er sein „in-rlaäetto wmxo" lauter wie vor¬
her wiederholte, hörte ich. So ging der Tag hin und die Sonne neigte sich,
um in ihr so oft beschriebenes, niemals würdig zu beschreibendes Meeresbett
zu steigen. Mit etwas mehr Ordnung und Zuversicht hatten die Deckpassa¬
giere sich ihre Nachtplätze gesichert, und nicht viele Minuten, nachdem die
rothe Sonnenkugel im schiefergrauen Meere verschwunden war, herrschte um uns
das Schweigen und Dunkel der Nacht.

Der Morgen war angebrochen. Um das Schiff schnellten Delphine mit lusti¬
gen Purzelbäumen empor. Möven schössen herunter, um sich aus dem Wasser
ihr Frühstück zu holen. Das Verdeck wurde gespült und unten und oben
machten die Passagiere Toilette. Im Uebrigen herrschte dieselbe Eintönigkeit.
Nur daß bei dem Appel der graue Offizier als seekrank fehlte, und daß auf
dem Hinterdeck auch der Major mit der Decke nicht zu erblicken war. Mein
Franzose drehte den Schnurrbart. Der Toscaner hatte ein paar Damen er¬
hascht, um mit ihnen zu plaudern. Der junge Amerikaner probirte die Spitze
seines Dolches. Mich dagegen langweilte ein Herr, der sich als ungarischer
Major von 1849 vorgestellt. Später in die östreichische Armee einrangirt,
hatte er es zum Offizier gebracht, war aber bald wegen „schlechter Behandlung"
nach der Walachei desertirt. Da er dort in Gefahr gewesen, ausgeliefert zu
werden, hatte er sich nach der Türkei begeben, wo man ihm seine frühere
Charge gegeben hatte. Da er sich indeß nicht hatte entschließen können, den
Islam anzunehmen, so hatte er auch hier die Flucht ergriffen. (Ich muß
bei Anhörung dieser Geschichte sehr leichtgläubig ausgesehen haben). Ob er
den Vogelmeg von der Türkei nach Genua eingeschlagen hatte, erwähnte er
nicht; genug, seine Meinung war jetzt für die Freiheit Italiens zu kämpfen,
um damit die Befreiung seines Vaterlandes zu erringen. Es ist wahr, er
trug einen ungarischen Bart und war im Besitz einer gebogenen Nase, aber
mir schien er eins von jenen Subjecten zu sein, die ihr Vaterland nur aus
der Geographie kennen. Mehrere solche waren da. Zur Ehre der ungarisches
Nation aber kann ich jetzt behaupten, daß die Mehrzahl, nur um sich wichtig
zu thun, mit ihrer'Nationalität prahlteü, und daß sie, wenn ihre Geburt es
auch gestattete, den ungarischen Namen zu tragen, von den edlen Ungarn, die


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[0272] theilnahmlose Zuschauer gewesen — jetzt waren sie nur das letztere. Ein Blick von dem Toscaner, und sofort steckte er eine Flasche Wein durch's Fenster hin¬ aus. Der Franzose folgte seinem Beispiel, ich auch, und Braten, Geflügel, Brod und Wein verschwanden vom Tische und unter den Mänteln und Decken der Freiwilligen. — Ein ganzes Brod, das eben auf den Tisch gestellt worden, wanderte, so bald der Cameriere sich umdrehte, diesen Wohlthaten nach, und kaum war jener in der Thür, als Klopfen mit Messer und Gabel und der Ruf: „Oa- meriore, Mire, viiro", ihn zurückführte. Ich glaubte zu bemerken, daß er ein Kreuzzeichen schlug. Daß er sein „in-rlaäetto wmxo" lauter wie vor¬ her wiederholte, hörte ich. So ging der Tag hin und die Sonne neigte sich, um in ihr so oft beschriebenes, niemals würdig zu beschreibendes Meeresbett zu steigen. Mit etwas mehr Ordnung und Zuversicht hatten die Deckpassa¬ giere sich ihre Nachtplätze gesichert, und nicht viele Minuten, nachdem die rothe Sonnenkugel im schiefergrauen Meere verschwunden war, herrschte um uns das Schweigen und Dunkel der Nacht. Der Morgen war angebrochen. Um das Schiff schnellten Delphine mit lusti¬ gen Purzelbäumen empor. Möven schössen herunter, um sich aus dem Wasser ihr Frühstück zu holen. Das Verdeck wurde gespült und unten und oben machten die Passagiere Toilette. Im Uebrigen herrschte dieselbe Eintönigkeit. Nur daß bei dem Appel der graue Offizier als seekrank fehlte, und daß auf dem Hinterdeck auch der Major mit der Decke nicht zu erblicken war. Mein Franzose drehte den Schnurrbart. Der Toscaner hatte ein paar Damen er¬ hascht, um mit ihnen zu plaudern. Der junge Amerikaner probirte die Spitze seines Dolches. Mich dagegen langweilte ein Herr, der sich als ungarischer Major von 1849 vorgestellt. Später in die östreichische Armee einrangirt, hatte er es zum Offizier gebracht, war aber bald wegen „schlechter Behandlung" nach der Walachei desertirt. Da er dort in Gefahr gewesen, ausgeliefert zu werden, hatte er sich nach der Türkei begeben, wo man ihm seine frühere Charge gegeben hatte. Da er sich indeß nicht hatte entschließen können, den Islam anzunehmen, so hatte er auch hier die Flucht ergriffen. (Ich muß bei Anhörung dieser Geschichte sehr leichtgläubig ausgesehen haben). Ob er den Vogelmeg von der Türkei nach Genua eingeschlagen hatte, erwähnte er nicht; genug, seine Meinung war jetzt für die Freiheit Italiens zu kämpfen, um damit die Befreiung seines Vaterlandes zu erringen. Es ist wahr, er trug einen ungarischen Bart und war im Besitz einer gebogenen Nase, aber mir schien er eins von jenen Subjecten zu sein, die ihr Vaterland nur aus der Geographie kennen. Mehrere solche waren da. Zur Ehre der ungarisches Nation aber kann ich jetzt behaupten, daß die Mehrzahl, nur um sich wichtig zu thun, mit ihrer'Nationalität prahlteü, und daß sie, wenn ihre Geburt es auch gestattete, den ungarischen Namen zu tragen, von den edlen Ungarn, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/272>, abgerufen am 26.08.2024.