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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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"Unverschämter Hundsfott!" murmelte ich und stand auf.

"Könnten Sie mir nicht einige Francs vorschießen, bis wir nach Neapel
kommen?" wiederholte er.

Ich setzte meinen Weg fort. "Kamerad" -- "wir", sauste noch in mei¬
nen Ohren. Von einem Deserteur und Kassendieb Kamerad genannt zu werden,
durch das Wort "wir" in dieselbe Kategorie wie er gesetzt zu werden, mußte auch
ein sehr ruhiges Blut in Aufruhr bringen. Auf der Eisenbahn hatte dies
unsaubere Subject mit den Italienern sraternisirt und auf den Untergang
seiner Erzieher getrunken. Hier versuchte er den Deutschredenden, den er dort
als Spion verdächtigt hatte, auszubeuten. Der Mann kann nie einen Befehl
erhalten, beruhigte ich mich, und in allen gewordenen Armeen sind ähnliche
Individuen zu finden, wie viel mehr in einer neugebildeten.

Ich fand auf dem Quarterdeck einen Platz leer und ließ mich nieder.
"Le n'oft M8 vossiblö Monsieur!" wurde hinter mir ausgerufen. Ich sah mich
fragend um. "Lieber liege ich 14 Tage aus Feldwache in der Wüste unter
herumschwärmenden Arabern als eine Nacht im Neste dort unten (eine ärger¬
liche Bewegung zeigte auf die zweite Kajüte). Sacre visu! Tische, Stühle,
Alles voll! Schnarchen sie nicht, so geniren sie sich nicht, laut zu conversiren,
ohne Umstände wie diese Italiener immer sind -- da hält's eins ja nicht
eine Minute aus." Er ging auf und ab auf dem Quarterdeck. Sein Kops
war unbedeckt. Sein zurückgekämmtes Haar flatterte im Winde. Er war
auch ein Freiwilliger, aber, wie ich sofort erkannte,von anderm Schlag als jener.

Seine Haltung war untadelhaft. sein Anzug zwar nicht elegant, aber
doch ein Beweis, daß dessen Träger auf sein Aeußeres hielt. Er konnte 30
Jahre oder etwas darüber zählen. Sein Gesicht hatte einen edlen Ausdruck,
das Profil war sogar schön. Seine Nasenspitze hatte einen Ton zwischen roth
und violett, und um die tiefliegenden Auge" hatten sich Runzeln und Ringe
gebildet, was ebensowol ein Zeichen von einem unter Strapazen verbrachten
Leben als von Ausschweifungen sei" konnte. Seine Bewegungen waren fre'
und ungezwungen. Im Knopfloche prahlte bescheiden ein rothes Bändchen

Während unserer Prüfungsstunden im Hafen hatte er mehre richtige
Bemerkungen, gewürzt mit treffenden Bonmots über einige der Offizier
die an Bord glommen waren, gemacht und in Bezug auf sich selbst mir c>'
zählt, daß er in Algerien gedient, sich dort zum Offizier aufgeschwungen und vo¬
riges Jahr seinen Abschied verlangt. Was ihn hierher geführt, war unschw^
zu errathen: ein alter Soldat fügt sich nicht leicht in friedliche Beschäftigungen
und wenn es ihm möglich ist, geht er wieder hin, wo er Feuer hört.
waren im Begriff, eine Unterhaltung zu beginnen, als wir durch einen M"'
drohen unterbrochen wurden, der gerade auf die Stelle, wo wir standen, e>n
Tau zu schieben anfing.


„Unverschämter Hundsfott!" murmelte ich und stand auf.

„Könnten Sie mir nicht einige Francs vorschießen, bis wir nach Neapel
kommen?" wiederholte er.

Ich setzte meinen Weg fort. „Kamerad" — „wir", sauste noch in mei¬
nen Ohren. Von einem Deserteur und Kassendieb Kamerad genannt zu werden,
durch das Wort „wir" in dieselbe Kategorie wie er gesetzt zu werden, mußte auch
ein sehr ruhiges Blut in Aufruhr bringen. Auf der Eisenbahn hatte dies
unsaubere Subject mit den Italienern sraternisirt und auf den Untergang
seiner Erzieher getrunken. Hier versuchte er den Deutschredenden, den er dort
als Spion verdächtigt hatte, auszubeuten. Der Mann kann nie einen Befehl
erhalten, beruhigte ich mich, und in allen gewordenen Armeen sind ähnliche
Individuen zu finden, wie viel mehr in einer neugebildeten.

Ich fand auf dem Quarterdeck einen Platz leer und ließ mich nieder.
„Le n'oft M8 vossiblö Monsieur!" wurde hinter mir ausgerufen. Ich sah mich
fragend um. „Lieber liege ich 14 Tage aus Feldwache in der Wüste unter
herumschwärmenden Arabern als eine Nacht im Neste dort unten (eine ärger¬
liche Bewegung zeigte auf die zweite Kajüte). Sacre visu! Tische, Stühle,
Alles voll! Schnarchen sie nicht, so geniren sie sich nicht, laut zu conversiren,
ohne Umstände wie diese Italiener immer sind — da hält's eins ja nicht
eine Minute aus." Er ging auf und ab auf dem Quarterdeck. Sein Kops
war unbedeckt. Sein zurückgekämmtes Haar flatterte im Winde. Er war
auch ein Freiwilliger, aber, wie ich sofort erkannte,von anderm Schlag als jener.

Seine Haltung war untadelhaft. sein Anzug zwar nicht elegant, aber
doch ein Beweis, daß dessen Träger auf sein Aeußeres hielt. Er konnte 30
Jahre oder etwas darüber zählen. Sein Gesicht hatte einen edlen Ausdruck,
das Profil war sogar schön. Seine Nasenspitze hatte einen Ton zwischen roth
und violett, und um die tiefliegenden Auge» hatten sich Runzeln und Ringe
gebildet, was ebensowol ein Zeichen von einem unter Strapazen verbrachten
Leben als von Ausschweifungen sei» konnte. Seine Bewegungen waren fre'
und ungezwungen. Im Knopfloche prahlte bescheiden ein rothes Bändchen

Während unserer Prüfungsstunden im Hafen hatte er mehre richtige
Bemerkungen, gewürzt mit treffenden Bonmots über einige der Offizier
die an Bord glommen waren, gemacht und in Bezug auf sich selbst mir c>'
zählt, daß er in Algerien gedient, sich dort zum Offizier aufgeschwungen und vo¬
riges Jahr seinen Abschied verlangt. Was ihn hierher geführt, war unschw^
zu errathen: ein alter Soldat fügt sich nicht leicht in friedliche Beschäftigungen
und wenn es ihm möglich ist, geht er wieder hin, wo er Feuer hört.
waren im Begriff, eine Unterhaltung zu beginnen, als wir durch einen M"'
drohen unterbrochen wurden, der gerade auf die Stelle, wo wir standen, e>n
Tau zu schieben anfing.


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[0268] „Unverschämter Hundsfott!" murmelte ich und stand auf. „Könnten Sie mir nicht einige Francs vorschießen, bis wir nach Neapel kommen?" wiederholte er. Ich setzte meinen Weg fort. „Kamerad" — „wir", sauste noch in mei¬ nen Ohren. Von einem Deserteur und Kassendieb Kamerad genannt zu werden, durch das Wort „wir" in dieselbe Kategorie wie er gesetzt zu werden, mußte auch ein sehr ruhiges Blut in Aufruhr bringen. Auf der Eisenbahn hatte dies unsaubere Subject mit den Italienern sraternisirt und auf den Untergang seiner Erzieher getrunken. Hier versuchte er den Deutschredenden, den er dort als Spion verdächtigt hatte, auszubeuten. Der Mann kann nie einen Befehl erhalten, beruhigte ich mich, und in allen gewordenen Armeen sind ähnliche Individuen zu finden, wie viel mehr in einer neugebildeten. Ich fand auf dem Quarterdeck einen Platz leer und ließ mich nieder. „Le n'oft M8 vossiblö Monsieur!" wurde hinter mir ausgerufen. Ich sah mich fragend um. „Lieber liege ich 14 Tage aus Feldwache in der Wüste unter herumschwärmenden Arabern als eine Nacht im Neste dort unten (eine ärger¬ liche Bewegung zeigte auf die zweite Kajüte). Sacre visu! Tische, Stühle, Alles voll! Schnarchen sie nicht, so geniren sie sich nicht, laut zu conversiren, ohne Umstände wie diese Italiener immer sind — da hält's eins ja nicht eine Minute aus." Er ging auf und ab auf dem Quarterdeck. Sein Kops war unbedeckt. Sein zurückgekämmtes Haar flatterte im Winde. Er war auch ein Freiwilliger, aber, wie ich sofort erkannte,von anderm Schlag als jener. Seine Haltung war untadelhaft. sein Anzug zwar nicht elegant, aber doch ein Beweis, daß dessen Träger auf sein Aeußeres hielt. Er konnte 30 Jahre oder etwas darüber zählen. Sein Gesicht hatte einen edlen Ausdruck, das Profil war sogar schön. Seine Nasenspitze hatte einen Ton zwischen roth und violett, und um die tiefliegenden Auge» hatten sich Runzeln und Ringe gebildet, was ebensowol ein Zeichen von einem unter Strapazen verbrachten Leben als von Ausschweifungen sei» konnte. Seine Bewegungen waren fre' und ungezwungen. Im Knopfloche prahlte bescheiden ein rothes Bändchen Während unserer Prüfungsstunden im Hafen hatte er mehre richtige Bemerkungen, gewürzt mit treffenden Bonmots über einige der Offizier die an Bord glommen waren, gemacht und in Bezug auf sich selbst mir c>' zählt, daß er in Algerien gedient, sich dort zum Offizier aufgeschwungen und vo¬ riges Jahr seinen Abschied verlangt. Was ihn hierher geführt, war unschw^ zu errathen: ein alter Soldat fügt sich nicht leicht in friedliche Beschäftigungen und wenn es ihm möglich ist, geht er wieder hin, wo er Feuer hört. waren im Begriff, eine Unterhaltung zu beginnen, als wir durch einen M"' drohen unterbrochen wurden, der gerade auf die Stelle, wo wir standen, e>n Tau zu schieben anfing.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/268>, abgerufen am 25.08.2024.