Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Sonne war indeß aus dem Meer aufgetaucht. Der kältere Luftzug,
der dabei nie ausbleibt, schüttelte die Glieder der zukünftigen Kampfgenossen
auf dem Vorderdeck, Ihr großentheils leichter Anzug war mehr für einen
Sommertag als für eine Herbstnacht passend, und ich sah, wie einer nach dem
andern aufstand und sich verschlafen nach dem Schornstein und der Maschine
begab, um von deren Wärme zu profitiren, "Der Kaffee wird jetzt herunter¬
getragen. Es wird gut sein, ihn sogleich einzunehmen, ehe er verdünnt wird",
sagte mein Franzose, der mit Luchsaugen auf Alles Acht gab. Die Aufforde¬
rung war zu praktisch, um nicht befolgt zu werden. Der Tisch, der fast die
ganze Länge und Breite der Cajüte einnahm, war nun aufgeräumt, das heißt
die, welche darauf geschlafen hatten, standen jetzt daneben, und nur unter
demselben stieß man noch auf einige Füße und Rippen. Es herrschte leidliche
Ordnung. In etwas aber halte mein Franzose sich verrechnet. Die Kaffee¬
verdünnung war bereits vor sich gegangen.

Nachdem ich ein paar Tassen getrunken, nahm ich in der einen Ecke der
jetzt leer gewordenen Bank vor der zweiten Kajüte Platz, um die Herauf¬
kommenden ein wenig zu mustern. Der Franzose leistete mir in der andern
Ecke dabei Gesellschaft. Seine Züge hatten bei der Revue einen ziemlich
spöttischen Ausdruck. Zwei wurden gegrüßt. Der eine, Italiener, trug, so
jung er war. die Oberlicutenants-Distinction auf der Mütze. Er hatte ein
ehrliches, offenes Gesicht, aus dem sich vorherrschend Gutmüthigkeit und Kühn¬
heit spiegelten, und die freie Soldatenmanier, welche er sich unbewußt ange-
eignet, verlieh seinem Auftreten etwas Zutrauen Erweckendes und eine einfache
Eleganz. Ich sprach ihn später. Er war Toscaner, hatte die erste Campagne
auf Sicilien mitgemacht, und schwärmte für Garibcildi, den er nicht genug
loben und preisen konnte. Der andere war ein blutjunger Mensch, von höch¬
stens 18 Jahren. Amerikaner von Geburt, hatte er seinen Vater, der. ich
weiß nicht mehr in welchem europäischen Staat Consul war, so lange be¬
stürmt, bis er ihn für Garibaldi's Armee ausgerüstet. Der junge Held trug
auch bereits das rothe Hemd, ein Phantasie-Uniformsbeinkleid und eine reich
mit Troddeln verzierte Schärpe, in welcher ein scchsläufiger Revolver und ein
schöner Dolch steckten. Zur. Kopfbedeckung hatte er sich einen ungarischen Hut
gewählt. "Wenn von hunderttausend Solchen fünfzigtausend zusammengeschossen
sind, so kann der Rest der Brut gut werden." murmelte mein Nachbar in der
Ecke und ich konnte ihm nur Recht geben. "Voila"! -- jetzt wird Appel ab¬
gehalten -- 1'uktieialö pg^dore." Sein Blick ruhte auf einer in der Trep¬
penöffnung auftauchenden Eidcchsenphysiognomie, die zu einem Herrn in Civil
mit einer Rolle in der Hand gehörte, der jetzt, begleitet von einem Anderen,
der sem Gehilfe zu sein schien, das Verdeck betrat. Die Freiwilligen auf dem
Vorderdeck scharten sich wie Raubvögel um ihn. Die Nähe hatte nichts Ver-


33*

Die Sonne war indeß aus dem Meer aufgetaucht. Der kältere Luftzug,
der dabei nie ausbleibt, schüttelte die Glieder der zukünftigen Kampfgenossen
auf dem Vorderdeck, Ihr großentheils leichter Anzug war mehr für einen
Sommertag als für eine Herbstnacht passend, und ich sah, wie einer nach dem
andern aufstand und sich verschlafen nach dem Schornstein und der Maschine
begab, um von deren Wärme zu profitiren, „Der Kaffee wird jetzt herunter¬
getragen. Es wird gut sein, ihn sogleich einzunehmen, ehe er verdünnt wird",
sagte mein Franzose, der mit Luchsaugen auf Alles Acht gab. Die Aufforde¬
rung war zu praktisch, um nicht befolgt zu werden. Der Tisch, der fast die
ganze Länge und Breite der Cajüte einnahm, war nun aufgeräumt, das heißt
die, welche darauf geschlafen hatten, standen jetzt daneben, und nur unter
demselben stieß man noch auf einige Füße und Rippen. Es herrschte leidliche
Ordnung. In etwas aber halte mein Franzose sich verrechnet. Die Kaffee¬
verdünnung war bereits vor sich gegangen.

Nachdem ich ein paar Tassen getrunken, nahm ich in der einen Ecke der
jetzt leer gewordenen Bank vor der zweiten Kajüte Platz, um die Herauf¬
kommenden ein wenig zu mustern. Der Franzose leistete mir in der andern
Ecke dabei Gesellschaft. Seine Züge hatten bei der Revue einen ziemlich
spöttischen Ausdruck. Zwei wurden gegrüßt. Der eine, Italiener, trug, so
jung er war. die Oberlicutenants-Distinction auf der Mütze. Er hatte ein
ehrliches, offenes Gesicht, aus dem sich vorherrschend Gutmüthigkeit und Kühn¬
heit spiegelten, und die freie Soldatenmanier, welche er sich unbewußt ange-
eignet, verlieh seinem Auftreten etwas Zutrauen Erweckendes und eine einfache
Eleganz. Ich sprach ihn später. Er war Toscaner, hatte die erste Campagne
auf Sicilien mitgemacht, und schwärmte für Garibcildi, den er nicht genug
loben und preisen konnte. Der andere war ein blutjunger Mensch, von höch¬
stens 18 Jahren. Amerikaner von Geburt, hatte er seinen Vater, der. ich
weiß nicht mehr in welchem europäischen Staat Consul war, so lange be¬
stürmt, bis er ihn für Garibaldi's Armee ausgerüstet. Der junge Held trug
auch bereits das rothe Hemd, ein Phantasie-Uniformsbeinkleid und eine reich
mit Troddeln verzierte Schärpe, in welcher ein scchsläufiger Revolver und ein
schöner Dolch steckten. Zur. Kopfbedeckung hatte er sich einen ungarischen Hut
gewählt. „Wenn von hunderttausend Solchen fünfzigtausend zusammengeschossen
sind, so kann der Rest der Brut gut werden." murmelte mein Nachbar in der
Ecke und ich konnte ihm nur Recht geben. „Voila"! — jetzt wird Appel ab¬
gehalten — 1'uktieialö pg^dore." Sein Blick ruhte auf einer in der Trep¬
penöffnung auftauchenden Eidcchsenphysiognomie, die zu einem Herrn in Civil
mit einer Rolle in der Hand gehörte, der jetzt, begleitet von einem Anderen,
der sem Gehilfe zu sein schien, das Verdeck betrat. Die Freiwilligen auf dem
Vorderdeck scharten sich wie Raubvögel um ihn. Die Nähe hatte nichts Ver-


33*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0269" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111701"/>
            <p xml:id="ID_857"> Die Sonne war indeß aus dem Meer aufgetaucht. Der kältere Luftzug,<lb/>
der dabei nie ausbleibt, schüttelte die Glieder der zukünftigen Kampfgenossen<lb/>
auf dem Vorderdeck, Ihr großentheils leichter Anzug war mehr für einen<lb/>
Sommertag als für eine Herbstnacht passend, und ich sah, wie einer nach dem<lb/>
andern aufstand und sich verschlafen nach dem Schornstein und der Maschine<lb/>
begab, um von deren Wärme zu profitiren, &#x201E;Der Kaffee wird jetzt herunter¬<lb/>
getragen. Es wird gut sein, ihn sogleich einzunehmen, ehe er verdünnt wird",<lb/>
sagte mein Franzose, der mit Luchsaugen auf Alles Acht gab. Die Aufforde¬<lb/>
rung war zu praktisch, um nicht befolgt zu werden. Der Tisch, der fast die<lb/>
ganze Länge und Breite der Cajüte einnahm, war nun aufgeräumt, das heißt<lb/>
die, welche darauf geschlafen hatten, standen jetzt daneben, und nur unter<lb/>
demselben stieß man noch auf einige Füße und Rippen. Es herrschte leidliche<lb/>
Ordnung. In etwas aber halte mein Franzose sich verrechnet. Die Kaffee¬<lb/>
verdünnung war bereits vor sich gegangen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_858" next="#ID_859"> Nachdem ich ein paar Tassen getrunken, nahm ich in der einen Ecke der<lb/>
jetzt leer gewordenen Bank vor der zweiten Kajüte Platz, um die Herauf¬<lb/>
kommenden ein wenig zu mustern. Der Franzose leistete mir in der andern<lb/>
Ecke dabei Gesellschaft. Seine Züge hatten bei der Revue einen ziemlich<lb/>
spöttischen Ausdruck. Zwei wurden gegrüßt. Der eine, Italiener, trug, so<lb/>
jung er war. die Oberlicutenants-Distinction auf der Mütze. Er hatte ein<lb/>
ehrliches, offenes Gesicht, aus dem sich vorherrschend Gutmüthigkeit und Kühn¬<lb/>
heit spiegelten, und die freie Soldatenmanier, welche er sich unbewußt ange-<lb/>
eignet, verlieh seinem Auftreten etwas Zutrauen Erweckendes und eine einfache<lb/>
Eleganz. Ich sprach ihn später. Er war Toscaner, hatte die erste Campagne<lb/>
auf Sicilien mitgemacht, und schwärmte für Garibcildi, den er nicht genug<lb/>
loben und preisen konnte. Der andere war ein blutjunger Mensch, von höch¬<lb/>
stens 18 Jahren. Amerikaner von Geburt, hatte er seinen Vater, der. ich<lb/>
weiß nicht mehr in welchem europäischen Staat Consul war, so lange be¬<lb/>
stürmt, bis er ihn für Garibaldi's Armee ausgerüstet. Der junge Held trug<lb/>
auch bereits das rothe Hemd, ein Phantasie-Uniformsbeinkleid und eine reich<lb/>
mit Troddeln verzierte Schärpe, in welcher ein scchsläufiger Revolver und ein<lb/>
schöner Dolch steckten. Zur. Kopfbedeckung hatte er sich einen ungarischen Hut<lb/>
gewählt. &#x201E;Wenn von hunderttausend Solchen fünfzigtausend zusammengeschossen<lb/>
sind, so kann der Rest der Brut gut werden." murmelte mein Nachbar in der<lb/>
Ecke und ich konnte ihm nur Recht geben. &#x201E;Voila"! &#x2014; jetzt wird Appel ab¬<lb/>
gehalten &#x2014; 1'uktieialö pg^dore." Sein Blick ruhte auf einer in der Trep¬<lb/>
penöffnung auftauchenden Eidcchsenphysiognomie, die zu einem Herrn in Civil<lb/>
mit einer Rolle in der Hand gehörte, der jetzt, begleitet von einem Anderen,<lb/>
der sem Gehilfe zu sein schien, das Verdeck betrat. Die Freiwilligen auf dem<lb/>
Vorderdeck scharten sich wie Raubvögel um ihn. Die Nähe hatte nichts Ver-</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 33*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0269] Die Sonne war indeß aus dem Meer aufgetaucht. Der kältere Luftzug, der dabei nie ausbleibt, schüttelte die Glieder der zukünftigen Kampfgenossen auf dem Vorderdeck, Ihr großentheils leichter Anzug war mehr für einen Sommertag als für eine Herbstnacht passend, und ich sah, wie einer nach dem andern aufstand und sich verschlafen nach dem Schornstein und der Maschine begab, um von deren Wärme zu profitiren, „Der Kaffee wird jetzt herunter¬ getragen. Es wird gut sein, ihn sogleich einzunehmen, ehe er verdünnt wird", sagte mein Franzose, der mit Luchsaugen auf Alles Acht gab. Die Aufforde¬ rung war zu praktisch, um nicht befolgt zu werden. Der Tisch, der fast die ganze Länge und Breite der Cajüte einnahm, war nun aufgeräumt, das heißt die, welche darauf geschlafen hatten, standen jetzt daneben, und nur unter demselben stieß man noch auf einige Füße und Rippen. Es herrschte leidliche Ordnung. In etwas aber halte mein Franzose sich verrechnet. Die Kaffee¬ verdünnung war bereits vor sich gegangen. Nachdem ich ein paar Tassen getrunken, nahm ich in der einen Ecke der jetzt leer gewordenen Bank vor der zweiten Kajüte Platz, um die Herauf¬ kommenden ein wenig zu mustern. Der Franzose leistete mir in der andern Ecke dabei Gesellschaft. Seine Züge hatten bei der Revue einen ziemlich spöttischen Ausdruck. Zwei wurden gegrüßt. Der eine, Italiener, trug, so jung er war. die Oberlicutenants-Distinction auf der Mütze. Er hatte ein ehrliches, offenes Gesicht, aus dem sich vorherrschend Gutmüthigkeit und Kühn¬ heit spiegelten, und die freie Soldatenmanier, welche er sich unbewußt ange- eignet, verlieh seinem Auftreten etwas Zutrauen Erweckendes und eine einfache Eleganz. Ich sprach ihn später. Er war Toscaner, hatte die erste Campagne auf Sicilien mitgemacht, und schwärmte für Garibcildi, den er nicht genug loben und preisen konnte. Der andere war ein blutjunger Mensch, von höch¬ stens 18 Jahren. Amerikaner von Geburt, hatte er seinen Vater, der. ich weiß nicht mehr in welchem europäischen Staat Consul war, so lange be¬ stürmt, bis er ihn für Garibaldi's Armee ausgerüstet. Der junge Held trug auch bereits das rothe Hemd, ein Phantasie-Uniformsbeinkleid und eine reich mit Troddeln verzierte Schärpe, in welcher ein scchsläufiger Revolver und ein schöner Dolch steckten. Zur. Kopfbedeckung hatte er sich einen ungarischen Hut gewählt. „Wenn von hunderttausend Solchen fünfzigtausend zusammengeschossen sind, so kann der Rest der Brut gut werden." murmelte mein Nachbar in der Ecke und ich konnte ihm nur Recht geben. „Voila"! — jetzt wird Appel ab¬ gehalten — 1'uktieialö pg^dore." Sein Blick ruhte auf einer in der Trep¬ penöffnung auftauchenden Eidcchsenphysiognomie, die zu einem Herrn in Civil mit einer Rolle in der Hand gehörte, der jetzt, begleitet von einem Anderen, der sem Gehilfe zu sein schien, das Verdeck betrat. Die Freiwilligen auf dem Vorderdeck scharten sich wie Raubvögel um ihn. Die Nähe hatte nichts Ver- 33*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/269
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/269>, abgerufen am 25.08.2024.