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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Einige Passagiere verweilten hier noch in verschiedenen Gruppirungen. Einige
saßen, Andere lagen, ost in ziemlich grotesken Durcheinander.

Hier und da standen auch einige Gestalten an die Masten gelehnt, wie es schien
ergeben in ihr Geschick, das ihnen nicht einmal einen Sitzplatz beschicken. Ein Wett¬
streit auf dem Verdeck um einen solchen schien ihnen nicht der Mühe werth gewesen,
eine möglichst große Entfernung von den Reisegefährten am liebsten. Sie mochten
jenem Menschenschlag zugehören, den ich so hochachte, der dem Schicksale die
Spitze zu bieten, und wie dieses sich auch gestalte, niemals von seinem Selbst
etwas zu vergeben versteht. In den beiden Ecken, die der Steuerkasten mit
dem hintersten Theile des Vmderdeckes bildet, lagen dicke Schiffstaue, zierlich
'n Ringel zusammengelegt. Oefters hatte res auf meinen Seereisen eins von
diesen als Sitzplatz gewählt; man sitzt dort von zwei Seiten geschützt, und was
die Hauptsache ist, allein. Ich war im Einschlummern, da hörte ich. wie aus
unterirdischer Tiefe, eine Stimme-. "Wollen Sie nicht schlafen gehen, Signor?"
Die Worte kamen von einem Kopf und einem Paar Schultern, welche beinahe
neben meinen Füßen auftauchten. Es sah etwa so aus, wie wenn ein Seehund
sich aus dem Wasser erhebt. Die Stimme schien mir bekannt, der aufgehende
Mond beschien ein Gesicht in einer Kapuze, und ich erkannte dasselbe als Ei¬
genthum meines hauptsächlichsten Quälgeistes zwischen Alessandria und Genua.
Ein nichts weniger als freundliches "Lire volcks?" war meine Entgegnung.
"Mich ein wenig unterhalten, und auch sonst mit Ihnen sprechen. Signor."

Er drehte sich dabei auf den Ellenbogen herum. Die deutsche Sprache. '
>n welcher er den letzten Satz gesprochen, und die er vorher veeläugnet hatte,
nebst einem unbeschreiblich frechen Gesichtsausdruck, erregte meine Aufmerksam¬
keit. Seine Bewegung hatte die Kapuze zurückgeworfen, sein Gesicht war von
ewer originellen Häßlichkeit. Seinen kurzgeschornen Kopf bedeckte eine nach
rückwärts herabhängende schmutzige griechische Mütze. Der obere Theil des Ge¬
sichtes glich dem eines Hechtes, der untere dem einer Dogge. Die ganze Er¬
scheinung hatte etwas außergewöhnlich Widerwärtiges. Ich hatte nicht nöthig
Zu antworten. Er fuhr fort: "Ich bin eigentlich aus Galizien (seiner Aussprache
"ach schien er eher aus Schlesien zu sein), wir hatten 1849 einen Theil unse¬
res Vermögens zugesetzt. Ich wurde in der Akademie zu Neustadt erzogen und
stand dann sechs Jahre in Venedig. Dort hatte ich eine Weile Glück im Spiel
gehabt, aber endlich fing ich an zu verlieren, und war außerdem nahe daran.
Schulden halber entlassen zu werden. Da brannte ich durch und nahm natür¬
lich die Compagniekasse mit. Wie es mir nachher ergangen, können Sie wol
begreifen. Eine Compagniekasse kann einen Gentleman nicht ewig erhalten.
Man fahndete auf mich schon in T. wegen einiger unbezahlter Hotelrechnungcn.
Jetzt will ich doch wenigstens zum Garibaldi. Gehen Sie auch hin. Herr Ka¬
merad; deun ich sehe Sie doch als einen Offizier an."


Grenzboten II. IL61, ^

Einige Passagiere verweilten hier noch in verschiedenen Gruppirungen. Einige
saßen, Andere lagen, ost in ziemlich grotesken Durcheinander.

Hier und da standen auch einige Gestalten an die Masten gelehnt, wie es schien
ergeben in ihr Geschick, das ihnen nicht einmal einen Sitzplatz beschicken. Ein Wett¬
streit auf dem Verdeck um einen solchen schien ihnen nicht der Mühe werth gewesen,
eine möglichst große Entfernung von den Reisegefährten am liebsten. Sie mochten
jenem Menschenschlag zugehören, den ich so hochachte, der dem Schicksale die
Spitze zu bieten, und wie dieses sich auch gestalte, niemals von seinem Selbst
etwas zu vergeben versteht. In den beiden Ecken, die der Steuerkasten mit
dem hintersten Theile des Vmderdeckes bildet, lagen dicke Schiffstaue, zierlich
'n Ringel zusammengelegt. Oefters hatte res auf meinen Seereisen eins von
diesen als Sitzplatz gewählt; man sitzt dort von zwei Seiten geschützt, und was
die Hauptsache ist, allein. Ich war im Einschlummern, da hörte ich. wie aus
unterirdischer Tiefe, eine Stimme-. „Wollen Sie nicht schlafen gehen, Signor?"
Die Worte kamen von einem Kopf und einem Paar Schultern, welche beinahe
neben meinen Füßen auftauchten. Es sah etwa so aus, wie wenn ein Seehund
sich aus dem Wasser erhebt. Die Stimme schien mir bekannt, der aufgehende
Mond beschien ein Gesicht in einer Kapuze, und ich erkannte dasselbe als Ei¬
genthum meines hauptsächlichsten Quälgeistes zwischen Alessandria und Genua.
Ein nichts weniger als freundliches „Lire volcks?" war meine Entgegnung.
»Mich ein wenig unterhalten, und auch sonst mit Ihnen sprechen. Signor."

Er drehte sich dabei auf den Ellenbogen herum. Die deutsche Sprache. '
>n welcher er den letzten Satz gesprochen, und die er vorher veeläugnet hatte,
nebst einem unbeschreiblich frechen Gesichtsausdruck, erregte meine Aufmerksam¬
keit. Seine Bewegung hatte die Kapuze zurückgeworfen, sein Gesicht war von
ewer originellen Häßlichkeit. Seinen kurzgeschornen Kopf bedeckte eine nach
rückwärts herabhängende schmutzige griechische Mütze. Der obere Theil des Ge¬
sichtes glich dem eines Hechtes, der untere dem einer Dogge. Die ganze Er¬
scheinung hatte etwas außergewöhnlich Widerwärtiges. Ich hatte nicht nöthig
Zu antworten. Er fuhr fort: „Ich bin eigentlich aus Galizien (seiner Aussprache
"ach schien er eher aus Schlesien zu sein), wir hatten 1849 einen Theil unse¬
res Vermögens zugesetzt. Ich wurde in der Akademie zu Neustadt erzogen und
stand dann sechs Jahre in Venedig. Dort hatte ich eine Weile Glück im Spiel
gehabt, aber endlich fing ich an zu verlieren, und war außerdem nahe daran.
Schulden halber entlassen zu werden. Da brannte ich durch und nahm natür¬
lich die Compagniekasse mit. Wie es mir nachher ergangen, können Sie wol
begreifen. Eine Compagniekasse kann einen Gentleman nicht ewig erhalten.
Man fahndete auf mich schon in T. wegen einiger unbezahlter Hotelrechnungcn.
Jetzt will ich doch wenigstens zum Garibaldi. Gehen Sie auch hin. Herr Ka¬
merad; deun ich sehe Sie doch als einen Offizier an."


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[0267] Einige Passagiere verweilten hier noch in verschiedenen Gruppirungen. Einige saßen, Andere lagen, ost in ziemlich grotesken Durcheinander. Hier und da standen auch einige Gestalten an die Masten gelehnt, wie es schien ergeben in ihr Geschick, das ihnen nicht einmal einen Sitzplatz beschicken. Ein Wett¬ streit auf dem Verdeck um einen solchen schien ihnen nicht der Mühe werth gewesen, eine möglichst große Entfernung von den Reisegefährten am liebsten. Sie mochten jenem Menschenschlag zugehören, den ich so hochachte, der dem Schicksale die Spitze zu bieten, und wie dieses sich auch gestalte, niemals von seinem Selbst etwas zu vergeben versteht. In den beiden Ecken, die der Steuerkasten mit dem hintersten Theile des Vmderdeckes bildet, lagen dicke Schiffstaue, zierlich 'n Ringel zusammengelegt. Oefters hatte res auf meinen Seereisen eins von diesen als Sitzplatz gewählt; man sitzt dort von zwei Seiten geschützt, und was die Hauptsache ist, allein. Ich war im Einschlummern, da hörte ich. wie aus unterirdischer Tiefe, eine Stimme-. „Wollen Sie nicht schlafen gehen, Signor?" Die Worte kamen von einem Kopf und einem Paar Schultern, welche beinahe neben meinen Füßen auftauchten. Es sah etwa so aus, wie wenn ein Seehund sich aus dem Wasser erhebt. Die Stimme schien mir bekannt, der aufgehende Mond beschien ein Gesicht in einer Kapuze, und ich erkannte dasselbe als Ei¬ genthum meines hauptsächlichsten Quälgeistes zwischen Alessandria und Genua. Ein nichts weniger als freundliches „Lire volcks?" war meine Entgegnung. »Mich ein wenig unterhalten, und auch sonst mit Ihnen sprechen. Signor." Er drehte sich dabei auf den Ellenbogen herum. Die deutsche Sprache. ' >n welcher er den letzten Satz gesprochen, und die er vorher veeläugnet hatte, nebst einem unbeschreiblich frechen Gesichtsausdruck, erregte meine Aufmerksam¬ keit. Seine Bewegung hatte die Kapuze zurückgeworfen, sein Gesicht war von ewer originellen Häßlichkeit. Seinen kurzgeschornen Kopf bedeckte eine nach rückwärts herabhängende schmutzige griechische Mütze. Der obere Theil des Ge¬ sichtes glich dem eines Hechtes, der untere dem einer Dogge. Die ganze Er¬ scheinung hatte etwas außergewöhnlich Widerwärtiges. Ich hatte nicht nöthig Zu antworten. Er fuhr fort: „Ich bin eigentlich aus Galizien (seiner Aussprache "ach schien er eher aus Schlesien zu sein), wir hatten 1849 einen Theil unse¬ res Vermögens zugesetzt. Ich wurde in der Akademie zu Neustadt erzogen und stand dann sechs Jahre in Venedig. Dort hatte ich eine Weile Glück im Spiel gehabt, aber endlich fing ich an zu verlieren, und war außerdem nahe daran. Schulden halber entlassen zu werden. Da brannte ich durch und nahm natür¬ lich die Compagniekasse mit. Wie es mir nachher ergangen, können Sie wol begreifen. Eine Compagniekasse kann einen Gentleman nicht ewig erhalten. Man fahndete auf mich schon in T. wegen einiger unbezahlter Hotelrechnungcn. Jetzt will ich doch wenigstens zum Garibaldi. Gehen Sie auch hin. Herr Ka¬ merad; deun ich sehe Sie doch als einen Offizier an." Grenzboten II. IL61, ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/267>, abgerufen am 23.07.2024.