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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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fahren solle, und fragte: ob ich mit einem Platze in der zweiten Cajüte vor¬
lieb nehmen wollte, da die erste schon mit mehr Passagieren, als sie beherbergen
könnte, besetzt sei. Natürlich sagte ich mit Freuden: ja.

Die baldige Abreise von Genua war also entschieden. Von dem Bureau
des Doctor Bertaui wurde mir eine Anweisung auf eine Dampfschiffexpedi-
tivn zugestellt, in welcher man mir ein Blankett für die freie Ueberfahrt mit
dem Dampfer "Generale Garibaldi" einhändigte. Die Abfahri sollte nach
sechs Uhr Abends stattfinden. Aber auch hier wiederholte sich, als ich mich
um diese Stunde auf dem Schiffe eingefunden, das gewohnte Warten. Erst
nach neun Uhr fing es an, lebendig an der Falltreppe zu werden. Bote mit Pas¬
sagieren kamen und gingen ab. Gepäck und Menschen von jeder Gattung wurden
auf's Deck befördert. Einer schrie nach seinem verlorenen Handschuh, ein An¬
derer wieder nach etwas Anderem. Am glücklichsten waren die Freiwilligen.
Sogar einen Mantel zu vergessen oder dergleichen, wäre der Mehrzahl nicht
möglich gewesen. Ein Bündelchen höchstens in der Hand, eine Korbflasche um¬
gehängt, leicht, wie es einem Soldaten geziemt, kamen die meisten. Sporen
klirrten. Säbel rasselten, Gondoliere fluchten, Damen kreischten; es war ein
Getös. wie es nur bei Einschiffungen auf italienischen Dampfern vorkommen
kann, und wie es jetzt, bei der tiefen Finsterniß, doppelt wirr und toll erschien.

Die letzte Barke hat das Schiff verlassen. In der Ferne klingen noch
die Gesänge der Gondelführer, am Bord aber ist das Gewirr von Gestalten
und das Durcheinanderschreien von Stimmen in den Sprachen aller Länder
eurem Gedanken gewichen, der Alle zu beseelen scheint: wo wird man am be¬
sten schlafen?

Die zweite Cajüte hatte für einen italienischen Dampfer einen ziemlichen
Comfort, war aber sehr klein und jetzt gepackt voll von einer lärmenden, um
ruhig durch einander wimmelnden Menge. Die Bettstellen waren für zwanzig
berechnet. Die meinige war g^'ieber.t, denn ich hatte dem Cameriere bereits die
"buovg, manu" zu Theil werden lassen, und ein Trinkgeld ist in Italien und
besonders bei Neapolitanern mehr wie anderswo der Schlüssel zu Kellner¬
herzen.

Das Vorderdeck war auch voll. Der beste Platz unter der sogenannten
Brücke, neben den Schornsteinen und den Radkasten, war schon in ursprüng¬
licher Bedeutung des Wortes belegt. Später Angekommene schauten neidisch
den mit dicht aneinander lagernden Reisegefährten bedeckten Platz an. Ihr Plan,
das Bündel als Kopfkissen anzuwenden, mußte aufgegeben werden. Nur ein
bescheidener Sitzplatz schien gewünscht zu werden. Er fand sich für den Einen
und den Andern, und Jeder überließ sich nun seinen Empfindungen.

Jetzt erwartet man nur noch den Capitain, und sein Gigg legt auch end-
uch an der Treppe an. Der Blick, welchen der Commandeur sonst in der Re-


fahren solle, und fragte: ob ich mit einem Platze in der zweiten Cajüte vor¬
lieb nehmen wollte, da die erste schon mit mehr Passagieren, als sie beherbergen
könnte, besetzt sei. Natürlich sagte ich mit Freuden: ja.

Die baldige Abreise von Genua war also entschieden. Von dem Bureau
des Doctor Bertaui wurde mir eine Anweisung auf eine Dampfschiffexpedi-
tivn zugestellt, in welcher man mir ein Blankett für die freie Ueberfahrt mit
dem Dampfer „Generale Garibaldi" einhändigte. Die Abfahri sollte nach
sechs Uhr Abends stattfinden. Aber auch hier wiederholte sich, als ich mich
um diese Stunde auf dem Schiffe eingefunden, das gewohnte Warten. Erst
nach neun Uhr fing es an, lebendig an der Falltreppe zu werden. Bote mit Pas¬
sagieren kamen und gingen ab. Gepäck und Menschen von jeder Gattung wurden
auf's Deck befördert. Einer schrie nach seinem verlorenen Handschuh, ein An¬
derer wieder nach etwas Anderem. Am glücklichsten waren die Freiwilligen.
Sogar einen Mantel zu vergessen oder dergleichen, wäre der Mehrzahl nicht
möglich gewesen. Ein Bündelchen höchstens in der Hand, eine Korbflasche um¬
gehängt, leicht, wie es einem Soldaten geziemt, kamen die meisten. Sporen
klirrten. Säbel rasselten, Gondoliere fluchten, Damen kreischten; es war ein
Getös. wie es nur bei Einschiffungen auf italienischen Dampfern vorkommen
kann, und wie es jetzt, bei der tiefen Finsterniß, doppelt wirr und toll erschien.

Die letzte Barke hat das Schiff verlassen. In der Ferne klingen noch
die Gesänge der Gondelführer, am Bord aber ist das Gewirr von Gestalten
und das Durcheinanderschreien von Stimmen in den Sprachen aller Länder
eurem Gedanken gewichen, der Alle zu beseelen scheint: wo wird man am be¬
sten schlafen?

Die zweite Cajüte hatte für einen italienischen Dampfer einen ziemlichen
Comfort, war aber sehr klein und jetzt gepackt voll von einer lärmenden, um
ruhig durch einander wimmelnden Menge. Die Bettstellen waren für zwanzig
berechnet. Die meinige war g^'ieber.t, denn ich hatte dem Cameriere bereits die
»buovg, manu" zu Theil werden lassen, und ein Trinkgeld ist in Italien und
besonders bei Neapolitanern mehr wie anderswo der Schlüssel zu Kellner¬
herzen.

Das Vorderdeck war auch voll. Der beste Platz unter der sogenannten
Brücke, neben den Schornsteinen und den Radkasten, war schon in ursprüng¬
licher Bedeutung des Wortes belegt. Später Angekommene schauten neidisch
den mit dicht aneinander lagernden Reisegefährten bedeckten Platz an. Ihr Plan,
das Bündel als Kopfkissen anzuwenden, mußte aufgegeben werden. Nur ein
bescheidener Sitzplatz schien gewünscht zu werden. Er fand sich für den Einen
und den Andern, und Jeder überließ sich nun seinen Empfindungen.

Jetzt erwartet man nur noch den Capitain, und sein Gigg legt auch end-
uch an der Treppe an. Der Blick, welchen der Commandeur sonst in der Re-


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[0265] fahren solle, und fragte: ob ich mit einem Platze in der zweiten Cajüte vor¬ lieb nehmen wollte, da die erste schon mit mehr Passagieren, als sie beherbergen könnte, besetzt sei. Natürlich sagte ich mit Freuden: ja. Die baldige Abreise von Genua war also entschieden. Von dem Bureau des Doctor Bertaui wurde mir eine Anweisung auf eine Dampfschiffexpedi- tivn zugestellt, in welcher man mir ein Blankett für die freie Ueberfahrt mit dem Dampfer „Generale Garibaldi" einhändigte. Die Abfahri sollte nach sechs Uhr Abends stattfinden. Aber auch hier wiederholte sich, als ich mich um diese Stunde auf dem Schiffe eingefunden, das gewohnte Warten. Erst nach neun Uhr fing es an, lebendig an der Falltreppe zu werden. Bote mit Pas¬ sagieren kamen und gingen ab. Gepäck und Menschen von jeder Gattung wurden auf's Deck befördert. Einer schrie nach seinem verlorenen Handschuh, ein An¬ derer wieder nach etwas Anderem. Am glücklichsten waren die Freiwilligen. Sogar einen Mantel zu vergessen oder dergleichen, wäre der Mehrzahl nicht möglich gewesen. Ein Bündelchen höchstens in der Hand, eine Korbflasche um¬ gehängt, leicht, wie es einem Soldaten geziemt, kamen die meisten. Sporen klirrten. Säbel rasselten, Gondoliere fluchten, Damen kreischten; es war ein Getös. wie es nur bei Einschiffungen auf italienischen Dampfern vorkommen kann, und wie es jetzt, bei der tiefen Finsterniß, doppelt wirr und toll erschien. Die letzte Barke hat das Schiff verlassen. In der Ferne klingen noch die Gesänge der Gondelführer, am Bord aber ist das Gewirr von Gestalten und das Durcheinanderschreien von Stimmen in den Sprachen aller Länder eurem Gedanken gewichen, der Alle zu beseelen scheint: wo wird man am be¬ sten schlafen? Die zweite Cajüte hatte für einen italienischen Dampfer einen ziemlichen Comfort, war aber sehr klein und jetzt gepackt voll von einer lärmenden, um ruhig durch einander wimmelnden Menge. Die Bettstellen waren für zwanzig berechnet. Die meinige war g^'ieber.t, denn ich hatte dem Cameriere bereits die »buovg, manu" zu Theil werden lassen, und ein Trinkgeld ist in Italien und besonders bei Neapolitanern mehr wie anderswo der Schlüssel zu Kellner¬ herzen. Das Vorderdeck war auch voll. Der beste Platz unter der sogenannten Brücke, neben den Schornsteinen und den Radkasten, war schon in ursprüng¬ licher Bedeutung des Wortes belegt. Später Angekommene schauten neidisch den mit dicht aneinander lagernden Reisegefährten bedeckten Platz an. Ihr Plan, das Bündel als Kopfkissen anzuwenden, mußte aufgegeben werden. Nur ein bescheidener Sitzplatz schien gewünscht zu werden. Er fand sich für den Einen und den Andern, und Jeder überließ sich nun seinen Empfindungen. Jetzt erwartet man nur noch den Capitain, und sein Gigg legt auch end- uch an der Treppe an. Der Blick, welchen der Commandeur sonst in der Re-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/265>, abgerufen am 22.07.2024.