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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Nietschels auszeichnet, stammt lediglich von der Einwirkung Rauchs. Riet-
schels erste Studienzeit war in die Blüthe des Nazarenerthums gefallen. Die
Kunst der Plastik war zunächst allerdings von diesen Strömungen unberührt
geblieben; Thorwaldsen mit seinem griechischen Geist, Rauch mit seiner festen
und stilvollen Auffassung und seiner frischen Naturtreue hatten sich fern ge¬
halten von jener übermäßigen Gefühlsweiche. Aber wie später viele andere
junge Bildhauer andere Wege wandelten, so lag auch für Rietschel die Gefahr
einer solchen unplastischen Verirrung nahe. An seinem ursprünglichen Zuge
zu Dannecker können wir erkennen, daß die milde Und fromme Innigkeit Niet¬
schels, eine so herrliche Mitgift sie bei tüchtiger Schulung war, ungeschult
oder wol gar verzogen doch leicht in empfindelnde Schwächlichkeit und unpla¬
stische Weichlichkeit hätte verfallen können. Ueberdies hatte Rietschel, der später
vor der ewig maßgebenden Unübertresflichkcit der Antike mit einer Hingebung
und Ehrfurcht sich beugte, welche gerade jetzt wieder bei unseren jungen Künst¬
lern immer mehr und mehr abhanden zu kommen droht, in seinem ausschlie߬
lichen Umgang mit Malern sich damals in eine Verachtung der Antike hinein-
phantasirt, welche schon dem Maler nicht ansteht, einem Bildhauer aber doppelt
gefährlich ist. Gegen diese Einseitigkeit kämpfte Rauch mit unnachsichtlicher
Strenge. Rietschel erzählte mir folgenden bedeutsamen Vorfall. Einst war
ein Abguß einer Niobe angekommen. Rietschel war an ihr gleichgiltig vorüber
gegangen und hatte sich an seine Arbeit gestellt, gleich als hätte sich nichts
ereignet. Rauch fragte mit scharfem Ton: "Nun, Sie sagen gar nichts?"
"Was denn?" entgegnete Rietschel. "Haben Sie denn draußen das herrliche
Werk, die Niobe, nicht gesehen?" "Welches?" "Sie haben es nicht gesehen?"
antwortete Rauch gereizter; "nicht wahr, wenn es eine Madonna gewesen
wäre, würde sie Ihnen wol in die Augen gefallen sein!" Rauch schmollte
noch einige Zeit. Für Rietschel wurden diese und ähnliche Hinweisungen eine
ernste Mahnung, sich allmälig von dem Bann seiner jugendlichen Anschauung
zu erlösen und sich immer tiefer in die unverbrüchlichen Muster der Alten
hinein zu leben. Rietschel hat glänzend gezeigt, daß bei ihm die eine Ein-
seitigkeit nicht ohne Weiteres an die Stelle der anderen trat, sondern daß er
sich klar bewußt wurde, wo die feine Grenzlinie zwischen geistiger Nachbildung
und bloß äußerer Nachahmung liege.

Mit den steigenden Fortschritten stieg 'der Arbeitseifer. Rietschel war der
thätige Mitarbeiter Rauchs an der Dürerstatue, welche zum dreihundertjährigen
Dürerjubiläum in Nürnberg aufgestellt sein sollte. Für sich selbst führte er
das Modell eines David aus. Da, obgleich noch immer einer der jüngsten
Schüler Rauchs, wagte er sich an die Aufgabe, welche zur Concurrenz für
das italienische Reisestipendium ausgeschrieben war. Die Aufgabe war: "Pe-
"elope, ihrem den Wagen besteigenden Gemahl Ulysses folgend, wird von


Nietschels auszeichnet, stammt lediglich von der Einwirkung Rauchs. Riet-
schels erste Studienzeit war in die Blüthe des Nazarenerthums gefallen. Die
Kunst der Plastik war zunächst allerdings von diesen Strömungen unberührt
geblieben; Thorwaldsen mit seinem griechischen Geist, Rauch mit seiner festen
und stilvollen Auffassung und seiner frischen Naturtreue hatten sich fern ge¬
halten von jener übermäßigen Gefühlsweiche. Aber wie später viele andere
junge Bildhauer andere Wege wandelten, so lag auch für Rietschel die Gefahr
einer solchen unplastischen Verirrung nahe. An seinem ursprünglichen Zuge
zu Dannecker können wir erkennen, daß die milde Und fromme Innigkeit Niet¬
schels, eine so herrliche Mitgift sie bei tüchtiger Schulung war, ungeschult
oder wol gar verzogen doch leicht in empfindelnde Schwächlichkeit und unpla¬
stische Weichlichkeit hätte verfallen können. Ueberdies hatte Rietschel, der später
vor der ewig maßgebenden Unübertresflichkcit der Antike mit einer Hingebung
und Ehrfurcht sich beugte, welche gerade jetzt wieder bei unseren jungen Künst¬
lern immer mehr und mehr abhanden zu kommen droht, in seinem ausschlie߬
lichen Umgang mit Malern sich damals in eine Verachtung der Antike hinein-
phantasirt, welche schon dem Maler nicht ansteht, einem Bildhauer aber doppelt
gefährlich ist. Gegen diese Einseitigkeit kämpfte Rauch mit unnachsichtlicher
Strenge. Rietschel erzählte mir folgenden bedeutsamen Vorfall. Einst war
ein Abguß einer Niobe angekommen. Rietschel war an ihr gleichgiltig vorüber
gegangen und hatte sich an seine Arbeit gestellt, gleich als hätte sich nichts
ereignet. Rauch fragte mit scharfem Ton: „Nun, Sie sagen gar nichts?"
„Was denn?" entgegnete Rietschel. „Haben Sie denn draußen das herrliche
Werk, die Niobe, nicht gesehen?" „Welches?" „Sie haben es nicht gesehen?"
antwortete Rauch gereizter; „nicht wahr, wenn es eine Madonna gewesen
wäre, würde sie Ihnen wol in die Augen gefallen sein!" Rauch schmollte
noch einige Zeit. Für Rietschel wurden diese und ähnliche Hinweisungen eine
ernste Mahnung, sich allmälig von dem Bann seiner jugendlichen Anschauung
zu erlösen und sich immer tiefer in die unverbrüchlichen Muster der Alten
hinein zu leben. Rietschel hat glänzend gezeigt, daß bei ihm die eine Ein-
seitigkeit nicht ohne Weiteres an die Stelle der anderen trat, sondern daß er
sich klar bewußt wurde, wo die feine Grenzlinie zwischen geistiger Nachbildung
und bloß äußerer Nachahmung liege.

Mit den steigenden Fortschritten stieg 'der Arbeitseifer. Rietschel war der
thätige Mitarbeiter Rauchs an der Dürerstatue, welche zum dreihundertjährigen
Dürerjubiläum in Nürnberg aufgestellt sein sollte. Für sich selbst führte er
das Modell eines David aus. Da, obgleich noch immer einer der jüngsten
Schüler Rauchs, wagte er sich an die Aufgabe, welche zur Concurrenz für
das italienische Reisestipendium ausgeschrieben war. Die Aufgabe war: „Pe-
„elope, ihrem den Wagen besteigenden Gemahl Ulysses folgend, wird von


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[0256] Nietschels auszeichnet, stammt lediglich von der Einwirkung Rauchs. Riet- schels erste Studienzeit war in die Blüthe des Nazarenerthums gefallen. Die Kunst der Plastik war zunächst allerdings von diesen Strömungen unberührt geblieben; Thorwaldsen mit seinem griechischen Geist, Rauch mit seiner festen und stilvollen Auffassung und seiner frischen Naturtreue hatten sich fern ge¬ halten von jener übermäßigen Gefühlsweiche. Aber wie später viele andere junge Bildhauer andere Wege wandelten, so lag auch für Rietschel die Gefahr einer solchen unplastischen Verirrung nahe. An seinem ursprünglichen Zuge zu Dannecker können wir erkennen, daß die milde Und fromme Innigkeit Niet¬ schels, eine so herrliche Mitgift sie bei tüchtiger Schulung war, ungeschult oder wol gar verzogen doch leicht in empfindelnde Schwächlichkeit und unpla¬ stische Weichlichkeit hätte verfallen können. Ueberdies hatte Rietschel, der später vor der ewig maßgebenden Unübertresflichkcit der Antike mit einer Hingebung und Ehrfurcht sich beugte, welche gerade jetzt wieder bei unseren jungen Künst¬ lern immer mehr und mehr abhanden zu kommen droht, in seinem ausschlie߬ lichen Umgang mit Malern sich damals in eine Verachtung der Antike hinein- phantasirt, welche schon dem Maler nicht ansteht, einem Bildhauer aber doppelt gefährlich ist. Gegen diese Einseitigkeit kämpfte Rauch mit unnachsichtlicher Strenge. Rietschel erzählte mir folgenden bedeutsamen Vorfall. Einst war ein Abguß einer Niobe angekommen. Rietschel war an ihr gleichgiltig vorüber gegangen und hatte sich an seine Arbeit gestellt, gleich als hätte sich nichts ereignet. Rauch fragte mit scharfem Ton: „Nun, Sie sagen gar nichts?" „Was denn?" entgegnete Rietschel. „Haben Sie denn draußen das herrliche Werk, die Niobe, nicht gesehen?" „Welches?" „Sie haben es nicht gesehen?" antwortete Rauch gereizter; „nicht wahr, wenn es eine Madonna gewesen wäre, würde sie Ihnen wol in die Augen gefallen sein!" Rauch schmollte noch einige Zeit. Für Rietschel wurden diese und ähnliche Hinweisungen eine ernste Mahnung, sich allmälig von dem Bann seiner jugendlichen Anschauung zu erlösen und sich immer tiefer in die unverbrüchlichen Muster der Alten hinein zu leben. Rietschel hat glänzend gezeigt, daß bei ihm die eine Ein- seitigkeit nicht ohne Weiteres an die Stelle der anderen trat, sondern daß er sich klar bewußt wurde, wo die feine Grenzlinie zwischen geistiger Nachbildung und bloß äußerer Nachahmung liege. Mit den steigenden Fortschritten stieg 'der Arbeitseifer. Rietschel war der thätige Mitarbeiter Rauchs an der Dürerstatue, welche zum dreihundertjährigen Dürerjubiläum in Nürnberg aufgestellt sein sollte. Für sich selbst führte er das Modell eines David aus. Da, obgleich noch immer einer der jüngsten Schüler Rauchs, wagte er sich an die Aufgabe, welche zur Concurrenz für das italienische Reisestipendium ausgeschrieben war. Die Aufgabe war: „Pe- „elope, ihrem den Wagen besteigenden Gemahl Ulysses folgend, wird von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/256>, abgerufen am 22.07.2024.