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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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und erwählt hätte. Aber wahrscheinlich erst nach langen Irrungen und Um¬
wegen.

Der erste Eintritt Nietschels in die plastische Kunst war dornenvoll.
Tausende hätten sich durch einen solchen Anfang abschrecken lassen. Sein
erster Lehrer war der Hofbildhauer Professor Pettrich: ein Mann, der nie
etwas Anderes als Grabsteine gefertigt tutte und seine Kunst lediglich vom
Standpunkt des Steinmetzen betrachtete. Weder im Studium der Antike, noch
selbst in den gewöhnlichsten technischen Handgriffen sand Rietschel bei ihm Rath
und Anhalt. Gleichwol unternahm er auf Aufforderung seines Gönners und
Beschützers schon im Jahr 1826 die Ausführung einer acht Fuß hohen Nep-
runsstatue für den Marktbrunnen zu Nordhausen. Sich selbst überlassen, im
peinigenden Widerspruch zwischen Können und Wollen arbeitete"er langer als
ein Jahr an dieser Statue. Sie ist im Lustschloß Glienecke bei Potsdam
wiederholt. Wer heute jene Figur sieht, ohne die näheren Umstände ihrer
Entstehung zu kennen, wird sie schwerlich selbst als Erstlingswerk loben. Das
Urtheil wird billiger, wenn wir wissen, daß es das Werk eines durchaus rath'-
losen. aber emsig ringenden Autodidakten ist. Rietschel hat später die bei Pctt-
nch verbrachte Zeit und die Quai mit dem Neptun immer für unnütz ver¬
loren gehalten.

Rietschel wurde im Anfang des Jahres 1827 von Graf Einsiede! nach
Berlin in die Schule Rauchs geschickt. Das Verhältniß zwischen Lehrer und
Schüler war zuerst nicht erfreulich. Rietschel fühlte sich gedrückt durch das
ruhte, oft kalte und schroffe Wesen Rauchs; und auch künstlerisch neigte seine
weiche, noch unklar befangene Natur weit mehr zu Dannecker. Aber schon
nach wenigen Wochen war alles Fremde und Störende geschwunden. Eines
Tages überreichte Rietschel dem Meister drei Zeichnungen, welche er von drei
eben in Berlin anwesenden tyroler Alpensängern gemacht hatte; sie sind noch
"n Nachlaß vorhanden und sind von höchst charakteristischer Lebendigkeit und
Naturwahrheit. Rauch war überrascht und wurde auf den neuen Schüler
aufmerksamer. Ein Relief des Apostels Petrus, das Rauch später in der
Treppenflur des Lagerhauses einmauern ließ, mehrte das wachsende Vertrauen.
Fortan hegte Rauch für Rietschel das väterlichste Wohlwollen, und der
Schüler lohnte es ihm durch die rückhaltloseste Hingebung und die gedie¬
gensten Fortschritte. Diese Zuneigung ist bis zu Rauchs Tod unverändert
Adlichen; sie gestaltete sich im Laufe der Jahre zur innigsten Freundschaft
und zur tiefsten gegenseitigen Verehrung. Es ist ein schönes Zeugniß für die
neidlose Charaktergröße Beider, für ihr volles Aufgehen in ihrer Kunst.

Es ist sicher nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß ohne Rauchs
^nige Leitung die Richtung Nietschels eine andere und schwerlich eine glück¬
lichere Wendung genommen Hütte. Das tiefe Stilgefühl, das alle Schöpfungen


und erwählt hätte. Aber wahrscheinlich erst nach langen Irrungen und Um¬
wegen.

Der erste Eintritt Nietschels in die plastische Kunst war dornenvoll.
Tausende hätten sich durch einen solchen Anfang abschrecken lassen. Sein
erster Lehrer war der Hofbildhauer Professor Pettrich: ein Mann, der nie
etwas Anderes als Grabsteine gefertigt tutte und seine Kunst lediglich vom
Standpunkt des Steinmetzen betrachtete. Weder im Studium der Antike, noch
selbst in den gewöhnlichsten technischen Handgriffen sand Rietschel bei ihm Rath
und Anhalt. Gleichwol unternahm er auf Aufforderung seines Gönners und
Beschützers schon im Jahr 1826 die Ausführung einer acht Fuß hohen Nep-
runsstatue für den Marktbrunnen zu Nordhausen. Sich selbst überlassen, im
peinigenden Widerspruch zwischen Können und Wollen arbeitete«er langer als
ein Jahr an dieser Statue. Sie ist im Lustschloß Glienecke bei Potsdam
wiederholt. Wer heute jene Figur sieht, ohne die näheren Umstände ihrer
Entstehung zu kennen, wird sie schwerlich selbst als Erstlingswerk loben. Das
Urtheil wird billiger, wenn wir wissen, daß es das Werk eines durchaus rath'-
losen. aber emsig ringenden Autodidakten ist. Rietschel hat später die bei Pctt-
nch verbrachte Zeit und die Quai mit dem Neptun immer für unnütz ver¬
loren gehalten.

Rietschel wurde im Anfang des Jahres 1827 von Graf Einsiede! nach
Berlin in die Schule Rauchs geschickt. Das Verhältniß zwischen Lehrer und
Schüler war zuerst nicht erfreulich. Rietschel fühlte sich gedrückt durch das
ruhte, oft kalte und schroffe Wesen Rauchs; und auch künstlerisch neigte seine
weiche, noch unklar befangene Natur weit mehr zu Dannecker. Aber schon
nach wenigen Wochen war alles Fremde und Störende geschwunden. Eines
Tages überreichte Rietschel dem Meister drei Zeichnungen, welche er von drei
eben in Berlin anwesenden tyroler Alpensängern gemacht hatte; sie sind noch
"n Nachlaß vorhanden und sind von höchst charakteristischer Lebendigkeit und
Naturwahrheit. Rauch war überrascht und wurde auf den neuen Schüler
aufmerksamer. Ein Relief des Apostels Petrus, das Rauch später in der
Treppenflur des Lagerhauses einmauern ließ, mehrte das wachsende Vertrauen.
Fortan hegte Rauch für Rietschel das väterlichste Wohlwollen, und der
Schüler lohnte es ihm durch die rückhaltloseste Hingebung und die gedie¬
gensten Fortschritte. Diese Zuneigung ist bis zu Rauchs Tod unverändert
Adlichen; sie gestaltete sich im Laufe der Jahre zur innigsten Freundschaft
und zur tiefsten gegenseitigen Verehrung. Es ist ein schönes Zeugniß für die
neidlose Charaktergröße Beider, für ihr volles Aufgehen in ihrer Kunst.

Es ist sicher nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß ohne Rauchs
^nige Leitung die Richtung Nietschels eine andere und schwerlich eine glück¬
lichere Wendung genommen Hütte. Das tiefe Stilgefühl, das alle Schöpfungen


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[0255] und erwählt hätte. Aber wahrscheinlich erst nach langen Irrungen und Um¬ wegen. Der erste Eintritt Nietschels in die plastische Kunst war dornenvoll. Tausende hätten sich durch einen solchen Anfang abschrecken lassen. Sein erster Lehrer war der Hofbildhauer Professor Pettrich: ein Mann, der nie etwas Anderes als Grabsteine gefertigt tutte und seine Kunst lediglich vom Standpunkt des Steinmetzen betrachtete. Weder im Studium der Antike, noch selbst in den gewöhnlichsten technischen Handgriffen sand Rietschel bei ihm Rath und Anhalt. Gleichwol unternahm er auf Aufforderung seines Gönners und Beschützers schon im Jahr 1826 die Ausführung einer acht Fuß hohen Nep- runsstatue für den Marktbrunnen zu Nordhausen. Sich selbst überlassen, im peinigenden Widerspruch zwischen Können und Wollen arbeitete«er langer als ein Jahr an dieser Statue. Sie ist im Lustschloß Glienecke bei Potsdam wiederholt. Wer heute jene Figur sieht, ohne die näheren Umstände ihrer Entstehung zu kennen, wird sie schwerlich selbst als Erstlingswerk loben. Das Urtheil wird billiger, wenn wir wissen, daß es das Werk eines durchaus rath'- losen. aber emsig ringenden Autodidakten ist. Rietschel hat später die bei Pctt- nch verbrachte Zeit und die Quai mit dem Neptun immer für unnütz ver¬ loren gehalten. Rietschel wurde im Anfang des Jahres 1827 von Graf Einsiede! nach Berlin in die Schule Rauchs geschickt. Das Verhältniß zwischen Lehrer und Schüler war zuerst nicht erfreulich. Rietschel fühlte sich gedrückt durch das ruhte, oft kalte und schroffe Wesen Rauchs; und auch künstlerisch neigte seine weiche, noch unklar befangene Natur weit mehr zu Dannecker. Aber schon nach wenigen Wochen war alles Fremde und Störende geschwunden. Eines Tages überreichte Rietschel dem Meister drei Zeichnungen, welche er von drei eben in Berlin anwesenden tyroler Alpensängern gemacht hatte; sie sind noch "n Nachlaß vorhanden und sind von höchst charakteristischer Lebendigkeit und Naturwahrheit. Rauch war überrascht und wurde auf den neuen Schüler aufmerksamer. Ein Relief des Apostels Petrus, das Rauch später in der Treppenflur des Lagerhauses einmauern ließ, mehrte das wachsende Vertrauen. Fortan hegte Rauch für Rietschel das väterlichste Wohlwollen, und der Schüler lohnte es ihm durch die rückhaltloseste Hingebung und die gedie¬ gensten Fortschritte. Diese Zuneigung ist bis zu Rauchs Tod unverändert Adlichen; sie gestaltete sich im Laufe der Jahre zur innigsten Freundschaft und zur tiefsten gegenseitigen Verehrung. Es ist ein schönes Zeugniß für die neidlose Charaktergröße Beider, für ihr volles Aufgehen in ihrer Kunst. Es ist sicher nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß ohne Rauchs ^nige Leitung die Richtung Nietschels eine andere und schwerlich eine glück¬ lichere Wendung genommen Hütte. Das tiefe Stilgefühl, das alle Schöpfungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/255>, abgerufen am 24.08.2024.