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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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ihrem Vater Jcarius gebeten, bei ihr zu bleiben." Rietschel gewann den
Preis zwei Jahre nach seinem ersten Eintritt in geordneten Unterricht.

Diese Auszeichnung wurde ein tiefgreifender Wendepunkt. Das Neise-
stipendium selbst konnte Rietschel trotz seines Anrechts nicht erhalten; er war
in Preußen ein Ausländer. Aber der akademische Senat empfahl den Preis¬
gekrönten durch ein besonderes Schreiben aufs Wärmste der sächsischen Regie¬
rung, und diese bewilligte ihm ein außerordentliches Neisestipcndium von zwölf-
hundert Thalern auf drei Jahre. Und was für Rietschel noch wichtiger wurde,
es ward ihm fortan die Möglichkeit gegeben, sich frei zum selbständigen
Künstler ausbilden zu dürfen. Graf Einsiedel, erfreut über die großen Erfolge
seines jungen Schützlings, entband ihn edel und hochherzig aller Verpflichtungen.
Der junge vielversprechende Genius war gerettet. Rietschel hat seinem Wohl¬
thäter sein ganzes Leben hindurch die wärmste Dankbarkeit bewahrt. Graf
Einsiedel hat noch die volle Höhe von Nictschels Ruhm erlebt; in seinem
Hüttenwerk Lauchhammer sind einige der vollendetsten Werke Rietschcls ge¬
gossen. Es war eine eigne Fügung des Schicksals, daß der Graf nur wenige
Tage nach dem Tod Rietschcls ihm in das Grab folgte.

Rietschel ging nicht sogleich nach Italien. Er verweilte noch einige Zeit
in Berlin. Um die Weihnachtszeit 1828 überraschte ihn die Nachricht von
dem Tod seines geliebten Vaters, den er noch einige Wochen zuvor besucht
und durch einige Unterstützungen erfreut hatte; im Schmerz über diesen Ver¬
lust componirte er jene schöne Zeichnung "von dem Wiedersehen Josephs mit
seinem Vater Jacob, der mit seinen Kindern nach Aegypten zog", welche
später in den Besitz des Herrn von Quandt kam. Im Juiü 182!) beglei¬
te Rietschel seinen Meister Rauch nach München, um ihm dort die kolossale
Statue des Königs Mnx vollenden zu helfen; die Bavaria am Postament
'se größtenteils von Rietschel's Hand. In München erhielt Rietschel auf
Veranlassung Klenze's den Auftrag, in Gemeinschaft mit Schwanthaler. Bär¬
bel und Meier an der Ausschmückung des Giebelfeldes der Glyptothek sich zu
betheiligen; ihm gehört die Erfindung und Ausführung des Vasenmalers.
Endlich im August 1830 ging Rietschel nach Italien. Aber für diesmal war
'hin dort nur ein Aufenthalt von neun Monaten gegönnt. Auf Rauch's Em¬
pfehlung hatte Rietschel den ehrenvollen Auftrag erhalten, die Statue Friedrich
August des Gerechten, welche in Dresden errichtet werden sollte, zu über¬
nehmen. Die vier Postcunentfiguren, die Cardinaltugenden darstellend, wur¬
den von ihm noch in Rom ausgeführt. Im März 1831 kehrte Rietschel
Nach Berlin zurück. Dort erwartete ihn der Austrag einer Büste Luthers für
die Walhalla, der ihm um so erfreulicher war, da er noch nie das Glück
gehabt hatte, eine seiner Arbeiten in Marmor ausgeführt zu sehen.

Hier schließt die Jugend- und Bildungsgeschichte Rietschcls.


ihrem Vater Jcarius gebeten, bei ihr zu bleiben." Rietschel gewann den
Preis zwei Jahre nach seinem ersten Eintritt in geordneten Unterricht.

Diese Auszeichnung wurde ein tiefgreifender Wendepunkt. Das Neise-
stipendium selbst konnte Rietschel trotz seines Anrechts nicht erhalten; er war
in Preußen ein Ausländer. Aber der akademische Senat empfahl den Preis¬
gekrönten durch ein besonderes Schreiben aufs Wärmste der sächsischen Regie¬
rung, und diese bewilligte ihm ein außerordentliches Neisestipcndium von zwölf-
hundert Thalern auf drei Jahre. Und was für Rietschel noch wichtiger wurde,
es ward ihm fortan die Möglichkeit gegeben, sich frei zum selbständigen
Künstler ausbilden zu dürfen. Graf Einsiedel, erfreut über die großen Erfolge
seines jungen Schützlings, entband ihn edel und hochherzig aller Verpflichtungen.
Der junge vielversprechende Genius war gerettet. Rietschel hat seinem Wohl¬
thäter sein ganzes Leben hindurch die wärmste Dankbarkeit bewahrt. Graf
Einsiedel hat noch die volle Höhe von Nictschels Ruhm erlebt; in seinem
Hüttenwerk Lauchhammer sind einige der vollendetsten Werke Rietschcls ge¬
gossen. Es war eine eigne Fügung des Schicksals, daß der Graf nur wenige
Tage nach dem Tod Rietschcls ihm in das Grab folgte.

Rietschel ging nicht sogleich nach Italien. Er verweilte noch einige Zeit
in Berlin. Um die Weihnachtszeit 1828 überraschte ihn die Nachricht von
dem Tod seines geliebten Vaters, den er noch einige Wochen zuvor besucht
und durch einige Unterstützungen erfreut hatte; im Schmerz über diesen Ver¬
lust componirte er jene schöne Zeichnung „von dem Wiedersehen Josephs mit
seinem Vater Jacob, der mit seinen Kindern nach Aegypten zog", welche
später in den Besitz des Herrn von Quandt kam. Im Juiü 182!) beglei¬
te Rietschel seinen Meister Rauch nach München, um ihm dort die kolossale
Statue des Königs Mnx vollenden zu helfen; die Bavaria am Postament
'se größtenteils von Rietschel's Hand. In München erhielt Rietschel auf
Veranlassung Klenze's den Auftrag, in Gemeinschaft mit Schwanthaler. Bär¬
bel und Meier an der Ausschmückung des Giebelfeldes der Glyptothek sich zu
betheiligen; ihm gehört die Erfindung und Ausführung des Vasenmalers.
Endlich im August 1830 ging Rietschel nach Italien. Aber für diesmal war
'hin dort nur ein Aufenthalt von neun Monaten gegönnt. Auf Rauch's Em¬
pfehlung hatte Rietschel den ehrenvollen Auftrag erhalten, die Statue Friedrich
August des Gerechten, welche in Dresden errichtet werden sollte, zu über¬
nehmen. Die vier Postcunentfiguren, die Cardinaltugenden darstellend, wur¬
den von ihm noch in Rom ausgeführt. Im März 1831 kehrte Rietschel
Nach Berlin zurück. Dort erwartete ihn der Austrag einer Büste Luthers für
die Walhalla, der ihm um so erfreulicher war, da er noch nie das Glück
gehabt hatte, eine seiner Arbeiten in Marmor ausgeführt zu sehen.

Hier schließt die Jugend- und Bildungsgeschichte Rietschcls.


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[0257] ihrem Vater Jcarius gebeten, bei ihr zu bleiben." Rietschel gewann den Preis zwei Jahre nach seinem ersten Eintritt in geordneten Unterricht. Diese Auszeichnung wurde ein tiefgreifender Wendepunkt. Das Neise- stipendium selbst konnte Rietschel trotz seines Anrechts nicht erhalten; er war in Preußen ein Ausländer. Aber der akademische Senat empfahl den Preis¬ gekrönten durch ein besonderes Schreiben aufs Wärmste der sächsischen Regie¬ rung, und diese bewilligte ihm ein außerordentliches Neisestipcndium von zwölf- hundert Thalern auf drei Jahre. Und was für Rietschel noch wichtiger wurde, es ward ihm fortan die Möglichkeit gegeben, sich frei zum selbständigen Künstler ausbilden zu dürfen. Graf Einsiedel, erfreut über die großen Erfolge seines jungen Schützlings, entband ihn edel und hochherzig aller Verpflichtungen. Der junge vielversprechende Genius war gerettet. Rietschel hat seinem Wohl¬ thäter sein ganzes Leben hindurch die wärmste Dankbarkeit bewahrt. Graf Einsiedel hat noch die volle Höhe von Nictschels Ruhm erlebt; in seinem Hüttenwerk Lauchhammer sind einige der vollendetsten Werke Rietschcls ge¬ gossen. Es war eine eigne Fügung des Schicksals, daß der Graf nur wenige Tage nach dem Tod Rietschcls ihm in das Grab folgte. Rietschel ging nicht sogleich nach Italien. Er verweilte noch einige Zeit in Berlin. Um die Weihnachtszeit 1828 überraschte ihn die Nachricht von dem Tod seines geliebten Vaters, den er noch einige Wochen zuvor besucht und durch einige Unterstützungen erfreut hatte; im Schmerz über diesen Ver¬ lust componirte er jene schöne Zeichnung „von dem Wiedersehen Josephs mit seinem Vater Jacob, der mit seinen Kindern nach Aegypten zog", welche später in den Besitz des Herrn von Quandt kam. Im Juiü 182!) beglei¬ te Rietschel seinen Meister Rauch nach München, um ihm dort die kolossale Statue des Königs Mnx vollenden zu helfen; die Bavaria am Postament 'se größtenteils von Rietschel's Hand. In München erhielt Rietschel auf Veranlassung Klenze's den Auftrag, in Gemeinschaft mit Schwanthaler. Bär¬ bel und Meier an der Ausschmückung des Giebelfeldes der Glyptothek sich zu betheiligen; ihm gehört die Erfindung und Ausführung des Vasenmalers. Endlich im August 1830 ging Rietschel nach Italien. Aber für diesmal war 'hin dort nur ein Aufenthalt von neun Monaten gegönnt. Auf Rauch's Em¬ pfehlung hatte Rietschel den ehrenvollen Auftrag erhalten, die Statue Friedrich August des Gerechten, welche in Dresden errichtet werden sollte, zu über¬ nehmen. Die vier Postcunentfiguren, die Cardinaltugenden darstellend, wur¬ den von ihm noch in Rom ausgeführt. Im März 1831 kehrte Rietschel Nach Berlin zurück. Dort erwartete ihn der Austrag einer Büste Luthers für die Walhalla, der ihm um so erfreulicher war, da er noch nie das Glück gehabt hatte, eine seiner Arbeiten in Marmor ausgeführt zu sehen. Hier schließt die Jugend- und Bildungsgeschichte Rietschcls.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/257>, abgerufen am 22.07.2024.