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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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und inniger Freund war Julius Thäter, jetzt Professor der Kupferstecherkunst
in München, der ebenfalls ein Meister ersten Ranges in seiner Kunst ge¬
worden ist.

Endlich Kalte sich die äußere Lage etwas besser gestaltet. Der junge
Künstler hatte die Aufmerksamkeit der Kunstfreunde erregt, seine liebenswürdige
Persönlichkeit gewann ihm die Liebe Aller. Es wurden ihm fast für alle
Tage der Woche Freitische angeboten; durch Unterrichtgeben und kleine Neben¬
arbeiten gelang es auch, für eine etwas behaglichere Wohnung sorgen zu
können. In diese Zeit fällt das erste fröhliche Ausschauen naus einer tie¬
feren und allgemeineren wissenschaftlichen Bildung, durch welche Rietschel
in späteren Jahre sich vor vielen, selbst berühmten Künstlern sehr vortheil¬
haft auszeichnete und welche leider jetzt die meisten Akademieschüler sträflich
vernachlässigen, in der aberwitzigen Meinung, daß die Bildung ihre Naivetät be>
einträchtige. Zum erstenmal lernte er Goethe, Schiller, Shakespeare und die
alten Dichter mit verständnißvollster Bewunderung kennen. Ein vorgerückterer
junger Künstler, Milde aus Hamburg, führte Rietschel in diese neue Welt
ein. Thäter und, einige Monate hindurch, auch der Landschafter Preller aus
Weimar, der aber bald Dresden verließ, nahmen auch an diesen Studien den
innigsten Antheil.

Trotz alledem lagerten über der Aussicht in die Zukunft nach wie vor
die düstersten Sorgen. Es konnte dem talentvollen Jüngling nicht lange ver¬
borgen bleiben, daß sich die Akademie im kläglichsten Zustand befand. Sei¬
delmann, Nößler. Schubert, Lachmann. Hartmann gehörten einer abgelebten
Kunstepoche um und hatten auch in ihrem Unterricht nichts Anregendes. Eine
glänzende Ausnahme machte zwar Matthäi, dessen sorgfältige Anleitung
Rietschel bis an sein Lebensende immer mit dankbarster Verehrung gerühmt
hat; aber auch dieser war denjenigen, die nicht in sein Privatatelier traten,
verhältnißmüßig fern und unzugänglich. Noch hatte sich Rietschel nicht für
einen bestimmten Kunstzweig entschieden. Er dachte daran Maler zu werden,
aber er war ohne Hilfe und Rath; denn noch bestand aus der Akademie keine
Malerklasse und für die Aufnahme in Matthäi's Privatmalersaal fehlte es
ihm an den Mitteln. Ein günstiger Zufall wurde entscheidend. Der Minister
Graf von Einsiedel suchte zur Vergrößerung seines Hüttenwerks in Lauchhammer
einen geschickten Modelleur und entschloß sich, Rietschel als solchen ausbilden
zu lassen. Es kostete Rietschel einige Ueberwindung, ehe er sich an den Ge¬
danken gewöhnen konnte eine freie und selbständige Künstlerlaufbahn aufzu¬
geben, aber die Noth des Augenblicks und die lockende Aussicht, binnen
Kurzem in die Schule Danneckers oder Rauchs zu kommen, siegte.

Es kann wol kaum ein Zweifel sein, daß Rietschel auch ohne diesen
äußeren Anlaß die Kunst der Plastik als seinen eigensten Lebensberuf erkannt


und inniger Freund war Julius Thäter, jetzt Professor der Kupferstecherkunst
in München, der ebenfalls ein Meister ersten Ranges in seiner Kunst ge¬
worden ist.

Endlich Kalte sich die äußere Lage etwas besser gestaltet. Der junge
Künstler hatte die Aufmerksamkeit der Kunstfreunde erregt, seine liebenswürdige
Persönlichkeit gewann ihm die Liebe Aller. Es wurden ihm fast für alle
Tage der Woche Freitische angeboten; durch Unterrichtgeben und kleine Neben¬
arbeiten gelang es auch, für eine etwas behaglichere Wohnung sorgen zu
können. In diese Zeit fällt das erste fröhliche Ausschauen naus einer tie¬
feren und allgemeineren wissenschaftlichen Bildung, durch welche Rietschel
in späteren Jahre sich vor vielen, selbst berühmten Künstlern sehr vortheil¬
haft auszeichnete und welche leider jetzt die meisten Akademieschüler sträflich
vernachlässigen, in der aberwitzigen Meinung, daß die Bildung ihre Naivetät be>
einträchtige. Zum erstenmal lernte er Goethe, Schiller, Shakespeare und die
alten Dichter mit verständnißvollster Bewunderung kennen. Ein vorgerückterer
junger Künstler, Milde aus Hamburg, führte Rietschel in diese neue Welt
ein. Thäter und, einige Monate hindurch, auch der Landschafter Preller aus
Weimar, der aber bald Dresden verließ, nahmen auch an diesen Studien den
innigsten Antheil.

Trotz alledem lagerten über der Aussicht in die Zukunft nach wie vor
die düstersten Sorgen. Es konnte dem talentvollen Jüngling nicht lange ver¬
borgen bleiben, daß sich die Akademie im kläglichsten Zustand befand. Sei¬
delmann, Nößler. Schubert, Lachmann. Hartmann gehörten einer abgelebten
Kunstepoche um und hatten auch in ihrem Unterricht nichts Anregendes. Eine
glänzende Ausnahme machte zwar Matthäi, dessen sorgfältige Anleitung
Rietschel bis an sein Lebensende immer mit dankbarster Verehrung gerühmt
hat; aber auch dieser war denjenigen, die nicht in sein Privatatelier traten,
verhältnißmüßig fern und unzugänglich. Noch hatte sich Rietschel nicht für
einen bestimmten Kunstzweig entschieden. Er dachte daran Maler zu werden,
aber er war ohne Hilfe und Rath; denn noch bestand aus der Akademie keine
Malerklasse und für die Aufnahme in Matthäi's Privatmalersaal fehlte es
ihm an den Mitteln. Ein günstiger Zufall wurde entscheidend. Der Minister
Graf von Einsiedel suchte zur Vergrößerung seines Hüttenwerks in Lauchhammer
einen geschickten Modelleur und entschloß sich, Rietschel als solchen ausbilden
zu lassen. Es kostete Rietschel einige Ueberwindung, ehe er sich an den Ge¬
danken gewöhnen konnte eine freie und selbständige Künstlerlaufbahn aufzu¬
geben, aber die Noth des Augenblicks und die lockende Aussicht, binnen
Kurzem in die Schule Danneckers oder Rauchs zu kommen, siegte.

Es kann wol kaum ein Zweifel sein, daß Rietschel auch ohne diesen
äußeren Anlaß die Kunst der Plastik als seinen eigensten Lebensberuf erkannt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/254>, abgerufen am 24.08.2024.