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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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damals Inspector der Dresdner Kunstakademie, gab seine Zustimmung. Der
Würfel war gefallen. Michaelis 1820. also beinahe 16 Jahre alt, trat Riet-
lchel in die unterste Klasse der Dresdener Akademie ein.

Wohl erzählt die Kunstgeschichte von gar mannichfachen Bildungsmühen
und Entbehrungen, durch welche sich oft strebende junge Künstler qualvoll
hindurchwinden mußten und welchen nur allzu Viele ermattet unterlagen. Aber
in> schwereres Loos ist selten einem Künstler geworden, als unserem Rietschel.
Und wenn wir heute darüber klagen und trauern, daß eine langjährige Brust¬
krankheit den Meister mitten in seinem freudigsten und gewaltigsten Schaffen da¬
hinraffte, so wird diese Trauer vermehrt durch die Gewißheit, daß der Keim
dieser Krankheit auf die entsetzliche Noth zurückzuführen ist, mit welcher Rietschel
mitten in der anstrengenden Arbeit seines ersten rastlosen Strebens und in
den Jahren seines schnell aufschießenden körperlichen Wachsthums zu käm¬
pfen hatte.

Ich werde es nie vergessen, mit welcher tiefrührenden Bescheidenheit mir
Rietschel einmal von dem Druck dieser seiner ersten Künstlerjahre erzählte.
Es war am Borabend jenes großen Künstlerfestes, mit welchem die Dresdener
Künstler im März 1857 den geliebten Meister nach der Vollendung der großen
Goethe- und Schillcrgruppe feierten. Solche Tage der Siegesfreude, die in
kleinen Menschen die Eitelkeit reizen, stimmten Rietschel ernst, demuthsvoll
und dankbar. Oft hatte der Vater bei freudigen Ereignissen mit Thränen
>in Auge und mit gefalteten Händen die Bibelworte gebetet: "Was bin ich
und mein Haus, daß Du mein so gedenkest?" Dem Sohn war diese Gesinnung
der Leitstern seines Lebens geblieben. Er pflegte sich in solchen Stunden mit
dem entzückendsten Humor in die Erinnerung vergangener Leiden zu versenken.

Sechs Thaler bildeten das Capital, mit welchem der junge Künstler die
Akademie bezog. Er wohnte in einem kleinen einstöckigen Häuschen auf der
Oberseeergasse; er theilte seine Stube mit seiner Wirthin, einer alten Wasch¬
frau; seine Schlafkammer war unter dem niedrigen Dach ein kleiner Holz¬
verschlag, im Sommer erstickend heiß und bei schlechter Witterung nicht einmal
hinlänglich gegen Regen und Schnee geschützt. Des Mittags hatte er nichts
M essen als Obst und Butterbrod; nur am Sonntag fand er bei einer armen
Tante in der Friedrichstadt ein dürftiges Fleischgericht. Aber die Fortschritte in
der Akademie, die er mit leidenschaftlichem Eifer besuchte, waren schnell und
erlangten die allgemeinste Anerkennung. Aus der unteren Klasse, in welcher
die meisten Schüler zwei Jahre, viele noch langer zu sitzen pflegten, wurde
er bereits nach neun Monaten in den Gypssaal versetzt. Auf der Ausstellung
erhielt er die damals übliche Geldprämie von 25 Thalern. Das zweite
Jahr war mit demselben Erfolg gekrönt; nach elf Monaten rückte er in den
Actsaal vor und erhielt wieder die Prämie. Sein wackerer Strebensgenosse


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damals Inspector der Dresdner Kunstakademie, gab seine Zustimmung. Der
Würfel war gefallen. Michaelis 1820. also beinahe 16 Jahre alt, trat Riet-
lchel in die unterste Klasse der Dresdener Akademie ein.

Wohl erzählt die Kunstgeschichte von gar mannichfachen Bildungsmühen
und Entbehrungen, durch welche sich oft strebende junge Künstler qualvoll
hindurchwinden mußten und welchen nur allzu Viele ermattet unterlagen. Aber
in> schwereres Loos ist selten einem Künstler geworden, als unserem Rietschel.
Und wenn wir heute darüber klagen und trauern, daß eine langjährige Brust¬
krankheit den Meister mitten in seinem freudigsten und gewaltigsten Schaffen da¬
hinraffte, so wird diese Trauer vermehrt durch die Gewißheit, daß der Keim
dieser Krankheit auf die entsetzliche Noth zurückzuführen ist, mit welcher Rietschel
mitten in der anstrengenden Arbeit seines ersten rastlosen Strebens und in
den Jahren seines schnell aufschießenden körperlichen Wachsthums zu käm¬
pfen hatte.

Ich werde es nie vergessen, mit welcher tiefrührenden Bescheidenheit mir
Rietschel einmal von dem Druck dieser seiner ersten Künstlerjahre erzählte.
Es war am Borabend jenes großen Künstlerfestes, mit welchem die Dresdener
Künstler im März 1857 den geliebten Meister nach der Vollendung der großen
Goethe- und Schillcrgruppe feierten. Solche Tage der Siegesfreude, die in
kleinen Menschen die Eitelkeit reizen, stimmten Rietschel ernst, demuthsvoll
und dankbar. Oft hatte der Vater bei freudigen Ereignissen mit Thränen
>in Auge und mit gefalteten Händen die Bibelworte gebetet: „Was bin ich
und mein Haus, daß Du mein so gedenkest?" Dem Sohn war diese Gesinnung
der Leitstern seines Lebens geblieben. Er pflegte sich in solchen Stunden mit
dem entzückendsten Humor in die Erinnerung vergangener Leiden zu versenken.

Sechs Thaler bildeten das Capital, mit welchem der junge Künstler die
Akademie bezog. Er wohnte in einem kleinen einstöckigen Häuschen auf der
Oberseeergasse; er theilte seine Stube mit seiner Wirthin, einer alten Wasch¬
frau; seine Schlafkammer war unter dem niedrigen Dach ein kleiner Holz¬
verschlag, im Sommer erstickend heiß und bei schlechter Witterung nicht einmal
hinlänglich gegen Regen und Schnee geschützt. Des Mittags hatte er nichts
M essen als Obst und Butterbrod; nur am Sonntag fand er bei einer armen
Tante in der Friedrichstadt ein dürftiges Fleischgericht. Aber die Fortschritte in
der Akademie, die er mit leidenschaftlichem Eifer besuchte, waren schnell und
erlangten die allgemeinste Anerkennung. Aus der unteren Klasse, in welcher
die meisten Schüler zwei Jahre, viele noch langer zu sitzen pflegten, wurde
er bereits nach neun Monaten in den Gypssaal versetzt. Auf der Ausstellung
erhielt er die damals übliche Geldprämie von 25 Thalern. Das zweite
Jahr war mit demselben Erfolg gekrönt; nach elf Monaten rückte er in den
Actsaal vor und erhielt wieder die Prämie. Sein wackerer Strebensgenosse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/253>, abgerufen am 25.08.2024.