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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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dem Stoff so durchaus angemessen war, in der scharfen Individualisirung der
altdeutschen Meister gehalten, aber geläutert und gehoben durch das feinste
plastische Stilgefühl, durchglüht von der liebevollsten Wärme und Innigkeit.

Der Trieb zur bildenden Kunst erwachte im Knaben schon früh. Bereits
in das vierte Jahr fallen die ersten Versuche zu zeichnen. Für Vater und
Sohn war es die höchste Freude, wenn es gelang, einige Pfennige zum An¬
kauf eines Bilderbogens zu erübrigen. Ein glücklicher Zufall fügte es, daß
in dem kleinen Städtchen ein freilich sehr unzulänglicher Zeichnenlehrer, Namens
Köhler, lebte, der den talentvollen Knaben unentgeltlich in seinen Unterricht
aufnahm. Bald wurde aus dem Schüler der. bereitwilligste Gehilfe. Noch
jetzt befinden sich auf dem Schießhause zu Pnlsnitz einige Scheiben, welche
Rietschel in jener Zejt gemeinsam mit seinem Lehrer für das Prämienschießen
malte. Rietschel wurde das Factotum für alle Dinge, wo Pinsel und Farbe
nöthig waren; er malte Modelltücher zum Sticken, kleine Transparente mit
Tempel und Opferflammen zu Geburtstaggeschenken. Wappen >und Schilder,
Stammbücher und Neujahrswünsche, und konnte mit diesem Erwerb schon
manches Schärflein in den Haushalt der Eltern legen. Der, Unterricht,
welchen der Knabe genoß, war der gewöhnliche Unterricht der Elementar¬
schule; doch durfte er den lateinischen Stunden, welche der Prediger seinen
Söhnen ertheilte, beiwohnen. Rietschel hat mir mehrmals mit leuchtendem
Augen erzählt, wie in dieser engen Jugendzeit die Poesie, die in ihm wohnte,
vornehmlich durch die biblischen Psalmen in ihm geweckt und genährt
wurde.

Nun war die Zeit gekommen, da es galt, einen selbständigen Lebens-
beruf zu wählen. Gegen die Wahl eines Handwerks sträubte sich seine ganze
Seele; er wußte, daß ihm dann keine Muße bleibe, weder für seine Lieb¬
lingsneigung des Malens, noch für seinen unauslöschlichen Drang nach
innerer Ausbildung. Eine Zeitlang dachte er daran Schullehrer zu
werden; ein geliebter Lehrer riech ob ini' Hinblick auf die kümmerliche
Lage, mit welcher leider auch jetzt noch immer die meisten Volksschul-
lehrer zu kämpfen haben. Er trat einige Wochen in die Handlung eines
kleinen Pulsnitzer Kaufmanns; es zeigte sich sehr bald, daß ihm alles ge¬
schäftliche Talent abging. Er sah sich, gestützt auf seine gute Handschrift,
nach einer Schrciberstelle um; er fand keine. Da tauchte immer unabweislieher
der Gedanke in ihm auf, dem Ruf seines Herzens zu folgen und Künstler zu
werden. Dieser Entschluß, bei dem Mangel aller Aussicht auf Unterstützung
doppelt waghalsig, fand endlich auch die Billigung des Vaters, nachdem ein
Dresdener Architekt. Guido, welcher auf einen kurzen Verwandtenbesuch nach
Pulsnitz gekommen war, auf Grund der vorgelegten Zeichnungen und Male¬
reien seine lebhafteste Ermunterung ausgesprochen hatte. Professor Seifert,


dem Stoff so durchaus angemessen war, in der scharfen Individualisirung der
altdeutschen Meister gehalten, aber geläutert und gehoben durch das feinste
plastische Stilgefühl, durchglüht von der liebevollsten Wärme und Innigkeit.

Der Trieb zur bildenden Kunst erwachte im Knaben schon früh. Bereits
in das vierte Jahr fallen die ersten Versuche zu zeichnen. Für Vater und
Sohn war es die höchste Freude, wenn es gelang, einige Pfennige zum An¬
kauf eines Bilderbogens zu erübrigen. Ein glücklicher Zufall fügte es, daß
in dem kleinen Städtchen ein freilich sehr unzulänglicher Zeichnenlehrer, Namens
Köhler, lebte, der den talentvollen Knaben unentgeltlich in seinen Unterricht
aufnahm. Bald wurde aus dem Schüler der. bereitwilligste Gehilfe. Noch
jetzt befinden sich auf dem Schießhause zu Pnlsnitz einige Scheiben, welche
Rietschel in jener Zejt gemeinsam mit seinem Lehrer für das Prämienschießen
malte. Rietschel wurde das Factotum für alle Dinge, wo Pinsel und Farbe
nöthig waren; er malte Modelltücher zum Sticken, kleine Transparente mit
Tempel und Opferflammen zu Geburtstaggeschenken. Wappen >und Schilder,
Stammbücher und Neujahrswünsche, und konnte mit diesem Erwerb schon
manches Schärflein in den Haushalt der Eltern legen. Der, Unterricht,
welchen der Knabe genoß, war der gewöhnliche Unterricht der Elementar¬
schule; doch durfte er den lateinischen Stunden, welche der Prediger seinen
Söhnen ertheilte, beiwohnen. Rietschel hat mir mehrmals mit leuchtendem
Augen erzählt, wie in dieser engen Jugendzeit die Poesie, die in ihm wohnte,
vornehmlich durch die biblischen Psalmen in ihm geweckt und genährt
wurde.

Nun war die Zeit gekommen, da es galt, einen selbständigen Lebens-
beruf zu wählen. Gegen die Wahl eines Handwerks sträubte sich seine ganze
Seele; er wußte, daß ihm dann keine Muße bleibe, weder für seine Lieb¬
lingsneigung des Malens, noch für seinen unauslöschlichen Drang nach
innerer Ausbildung. Eine Zeitlang dachte er daran Schullehrer zu
werden; ein geliebter Lehrer riech ob ini' Hinblick auf die kümmerliche
Lage, mit welcher leider auch jetzt noch immer die meisten Volksschul-
lehrer zu kämpfen haben. Er trat einige Wochen in die Handlung eines
kleinen Pulsnitzer Kaufmanns; es zeigte sich sehr bald, daß ihm alles ge¬
schäftliche Talent abging. Er sah sich, gestützt auf seine gute Handschrift,
nach einer Schrciberstelle um; er fand keine. Da tauchte immer unabweislieher
der Gedanke in ihm auf, dem Ruf seines Herzens zu folgen und Künstler zu
werden. Dieser Entschluß, bei dem Mangel aller Aussicht auf Unterstützung
doppelt waghalsig, fand endlich auch die Billigung des Vaters, nachdem ein
Dresdener Architekt. Guido, welcher auf einen kurzen Verwandtenbesuch nach
Pulsnitz gekommen war, auf Grund der vorgelegten Zeichnungen und Male¬
reien seine lebhafteste Ermunterung ausgesprochen hatte. Professor Seifert,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/252>, abgerufen am 25.08.2024.