Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.Ernst Rietschel. i. Ernst Rietschel war am 15. December 1804 zu Pulsnitz geboren. Puls¬ Rietschel stammte aus einer braven, aber armen Handwerkerfamilie. Grenzboten II. 1361. 31
Ernst Rietschel. i. Ernst Rietschel war am 15. December 1804 zu Pulsnitz geboren. Puls¬ Rietschel stammte aus einer braven, aber armen Handwerkerfamilie. Grenzboten II. 1361. 31
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Ernst Rietschel.
i.
Ernst Rietschel war am 15. December 1804 zu Pulsnitz geboren. Puls¬
nitz. die Geburtsstätte des Schöpfers der Lessingstatue, ist von Camenz. der
Geburtsstätte Lessings. nur zwei Stunden entfernt.
Rietschel stammte aus einer braven, aber armen Handwerkerfamilie.
Sein Großvater war Seilermeister in Pulsnitz gewesen, sein Vater war
Beutler oder Handschuhmacher; in späteren Jahren erhielt er zu diesem Er¬
werb, der in dem kleinen Landstädtchen kümmerlich genug war. das Küster¬
amt. Im Vater waren die Züge des Sohnes bereits ganz bestimmt vor¬
gezeichnet; Rietschel pflegte oft in dankbarster Erinnerung von ihm zu erzählen.
Es ist ein rührendes Bild schlicht deutscher Bürgerlichkeit, wenn wir hören,
wie der arme bildungsbedürftige Mann, der in seiner Jugend große Lust zum
Studiren gehabt hatte, dies aber wegen seiner Mittellosigkeit hatte aufgeben
müssen, überall nach Büchern herumsucht und sich zu diesem Behuf sogar
eine kleine Leihbibliothek anlegt, wie er seinen Freunden und Nachbarn ein
vorsichtiger Rathgeber und Helfer ist und wie er fern von jeder Frömmelei, aber
voll tiefen Gottvertrauens nicht blos allsonntäglich in die Kirche geht, sondern
auch stille Hausandachten hält und jeden Morgen und Abend sein geistlich Lied
singt, in welches Frau und Kinder freudig miteinstimmen. Die Mutter war
sanft und in sich gekehrt, bescheiden und unermüdlich thätig; emsig darauf
bedacht, durch Nähen und Krankenpflege in fremden Häusern das Ihrige zur
Aufrechterhaltung und Förderung des kleinen Hausstandes beizutragen. Wer
von Dresden nach Camenz geht, betrete den dicht an der Straße liegenden
Kirchhof zu Pulsnitz. Sogleich am Eingang desselben, an der rechten Seite,
findet er ein Grab, das die sterblichen Reste von Nietschels Eltern umschließt.
Der Sohn hat in kindlicher Liebe das Grab mit deren Porträtreliefs ge¬
schmückt. Es sind ehrsame, schlichte, tüchtige Bürgergesichter; der Vater hat
ganz und gar die Gesichtszüge seines Sohnes, nur herber und derber. Schöner
und tief empfundener hat wol nie ein Sohn seine Eltern verherrlicht. Die
Formengebung ist. wie es in der Natur Nietschels lag und wie es gerade hier
Grenzboten II. 1361. 31
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