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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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ist, nämlich die der Geistlichen, welche durch tobendes Geschrei auf der Kanzel
das Volk aufwiegeln, das sich sonst um die ganze Frage sehr wenig gekümmert
hätte). Sorgen wir nur für das Wohl des Landes, und seien wir unbekümmert
um das. was die Zeitungen sagen. Man sagt ferner, die unbedingte Tole¬
ranz der Andersgläubigen sei gefordert durch die Humanität unseres Jahrhun¬
derts, die Jntoleranzgesetze verstoßen gegen den Zeitgeist. Meine Herren! lassen
Sie mich über diesen Gegenstand ein paar Worte sagen. Ich sage, der Vor-,
wurf der Intoleranz trifft vor allem die katholische Kirche nicht, wenn auch dieser
Vorwurf noch so oft gehört wird; ich habe in einem dreißigjährigen Studium
der katholischen und protestantischen Theologie mir, wie ich glaube, die Einsicht in
den Geist der Literatur beider Theile verschafft, und wenn ich nun die Resultate
dieser meiner Studien ausspreche, so urtheilt der Katholik vom Protestanten
und der Protestant vom Katholiken so. Der Katholik sagt zum Protestanten:
""Mein Freund, ich bedaure Sie, Sie sind im Irrthum. Sie sind im Irrthum,
weil Sie die Wahrheit auf dem Wege suchen, wo sie nicht gefunden werden
kann, weil Sie überhaupt die Wahrheit erst suchen, da sie bereits gegeben
ist, und zwar gegeben als eine sittliche, unsichtbare Welt, in deren Wunder
der Mensch sich versenken und aus denen er leben soll."" Das ist die Ant¬
wort und das Urtheil des Katholiken, welches er über die Protestanten aus¬
spricht. Wie lautet das Urtheil des Protestanten über den Katholiken?
"Mein Herr! Sie sind ein Dummkopf, Sie stecken voller Borurtheile, Sie
sehen Mcnschensatzungcn für göttliche Wahrheiten an." Ich frage, wer von
beiden ist tolerant und wer von beiden intolerant? Daß wir die Wahrheit,
die von Gott gegebene, beschützen und bewahren, das ist wahr; aber dafür
haben wir einen großen Lehrmeister, es ist kein geringerer als derjenige, der
gesprochen: ""Ich bin in die Welt gekommen, um der Wahrheit Zeugniß zu
geben."" So ist also der Borwurf der Intoleranz unbegründet, den man ge-
gen die katholische Kirche schleudert. (Hat der Redner trotz dreißigjährigen
Studium ein so kurzes Gedächtniß, zu vergessen, daß die katholische Kirche
nicht bloß mit milden Worten Andersgläubige bekehrt, sondern auch mit
Dragonaden und Scheiterhaufen?) -- Er ist eben so unwahr, wenn er gegen
unser tirolisches Volk geschleudert wird. Nein, Tirol ist nicht intolerant, gehen
Sie hin in die Spitäler, wo kein Unterschied zwischen Katholiken und Akatho-
liken besteht; gehen Sie hin auf die Gletscher, wo fast jährlich der Fall vo><
kommt, daß eines unserer Lnndeskinder sein Leben wagt, um einem Akatholi'
l'en das Leben zu retten." -- So der Herr Bischof. Ist das nicht gerade"'
Wegs empörend? Hat man vielleicht in protestantischen Ländern gefragt, ob
ein kranker Tiroler katholisch oder lutherisch sei? Oder fordert vielleicht der
Hochwürdige das Lob der Toleranz, weil die Tiroler die Berwundeten nicht
auffraßen, wie wilde Indianer? Wir wollen nicht schildern, wie nach dem. Bl'


ist, nämlich die der Geistlichen, welche durch tobendes Geschrei auf der Kanzel
das Volk aufwiegeln, das sich sonst um die ganze Frage sehr wenig gekümmert
hätte). Sorgen wir nur für das Wohl des Landes, und seien wir unbekümmert
um das. was die Zeitungen sagen. Man sagt ferner, die unbedingte Tole¬
ranz der Andersgläubigen sei gefordert durch die Humanität unseres Jahrhun¬
derts, die Jntoleranzgesetze verstoßen gegen den Zeitgeist. Meine Herren! lassen
Sie mich über diesen Gegenstand ein paar Worte sagen. Ich sage, der Vor-,
wurf der Intoleranz trifft vor allem die katholische Kirche nicht, wenn auch dieser
Vorwurf noch so oft gehört wird; ich habe in einem dreißigjährigen Studium
der katholischen und protestantischen Theologie mir, wie ich glaube, die Einsicht in
den Geist der Literatur beider Theile verschafft, und wenn ich nun die Resultate
dieser meiner Studien ausspreche, so urtheilt der Katholik vom Protestanten
und der Protestant vom Katholiken so. Der Katholik sagt zum Protestanten:
„„Mein Freund, ich bedaure Sie, Sie sind im Irrthum. Sie sind im Irrthum,
weil Sie die Wahrheit auf dem Wege suchen, wo sie nicht gefunden werden
kann, weil Sie überhaupt die Wahrheit erst suchen, da sie bereits gegeben
ist, und zwar gegeben als eine sittliche, unsichtbare Welt, in deren Wunder
der Mensch sich versenken und aus denen er leben soll."" Das ist die Ant¬
wort und das Urtheil des Katholiken, welches er über die Protestanten aus¬
spricht. Wie lautet das Urtheil des Protestanten über den Katholiken?
„Mein Herr! Sie sind ein Dummkopf, Sie stecken voller Borurtheile, Sie
sehen Mcnschensatzungcn für göttliche Wahrheiten an." Ich frage, wer von
beiden ist tolerant und wer von beiden intolerant? Daß wir die Wahrheit,
die von Gott gegebene, beschützen und bewahren, das ist wahr; aber dafür
haben wir einen großen Lehrmeister, es ist kein geringerer als derjenige, der
gesprochen: „„Ich bin in die Welt gekommen, um der Wahrheit Zeugniß zu
geben."" So ist also der Borwurf der Intoleranz unbegründet, den man ge-
gen die katholische Kirche schleudert. (Hat der Redner trotz dreißigjährigen
Studium ein so kurzes Gedächtniß, zu vergessen, daß die katholische Kirche
nicht bloß mit milden Worten Andersgläubige bekehrt, sondern auch mit
Dragonaden und Scheiterhaufen?) — Er ist eben so unwahr, wenn er gegen
unser tirolisches Volk geschleudert wird. Nein, Tirol ist nicht intolerant, gehen
Sie hin in die Spitäler, wo kein Unterschied zwischen Katholiken und Akatho-
liken besteht; gehen Sie hin auf die Gletscher, wo fast jährlich der Fall vo><
kommt, daß eines unserer Lnndeskinder sein Leben wagt, um einem Akatholi'
l'en das Leben zu retten." — So der Herr Bischof. Ist das nicht gerade»'
Wegs empörend? Hat man vielleicht in protestantischen Ländern gefragt, ob
ein kranker Tiroler katholisch oder lutherisch sei? Oder fordert vielleicht der
Hochwürdige das Lob der Toleranz, weil die Tiroler die Berwundeten nicht
auffraßen, wie wilde Indianer? Wir wollen nicht schildern, wie nach dem. Bl'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/242>, abgerufen am 02.07.2024.