Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

chen Befangenheit des politischen Kampfes dadurch, daß die befreiende und
sühnende Macht"des Todes noch einmal in den würdigen Worten der sterben-
den Gräfin Ausdruck findet.

In dem Wechsel zwischen ausgeführten und verbindenden Scenen liegt
eine große Wirkung. Durch ihn wird jeder Theil des Ganzen von seiner
Umgebung kunstvoll abgehoben, die Hauptsache in stärkeres Licht gesetzt, in
dem Nebeneinander von Licht und Schatten der innere Zusammenhang der
Handlung verständlich. Der Dichter muß deshalb sein warmes Empfinden
wohl controliren und bedächtig prüfen, welche dramatischen Momente für
seine Handlung Hauptsache, welche Beiwerk sind. Er wird seine Neigung
zu Ausführung bestimmter Arten von Charakteren oder Situationen beschrän-
ken, wenn sie für das Ganze nicht von Gewicht sind; wenn er aber dem Reiz
nicht widerstehe" kann, von diesem Gesetze abzuweichen und einem unwesent¬
lichen Moment breitere Ausführung zu gönnen, so wird er es mit der Em¬
pfindung thun, daß er die Störung des Baues durch besondere Schönheit der
Ausführung zu sühnen habe. Solche Unregelmäßigkeit bleibt jedoch immer
gefährlich, nicht nur weil sie die Proportionen des Ganzen verschiebt, sondern
auch weil sie höchst wahrscheinlich.die Zeit für Wesentlicheres beschränkt. Wenn
Shakespeare solche episodische Ausführung in seineu Komödien -- welche
meist lockeres Gefüge haben -- begünstigt, so ist fast immer ihr Zweck, dem
Hörer gute Laune zu erhalten, so die behagliche Schilderung der Bürgerwache
u> "Viel Lärm um Nichts." welche die herbe Handlung verdecken soll.

Die Ncbcnscenen aber, mögen sie die Nachklänge einer Hauptscene, oder
die Vorbereitung zu einer neuen sein, werden dem Dichter immer noch Ge-
legenheit geben, bei der größten Kürze ein Interesse an den Rollen zu er-
weisen, hier ist der Raum für bescheidene Zeichnung, welche mit wenigen
Worten einen erfreuenden Einblick in das innerste Leben der Figuren des
Hintergrundes zu gewähren weiß.

Noch wird erwähnt, daß Shakespeare sür Diesen Kreis kleiner Regeln
N'ehe immer als Muster aufzuführen ist. Niemand hat besser den Aufbau
and die Spannung großer Scenen verstanden, Niemand besser die Wichtigkeit,
welche die Verbindung der großen Scenen durch leicht hingeworfene Nebenscenen
bat. Er schrieb aber nicht für unsere Bühne. Die Einschnitte zwischen den
Unterabtheilungen der Handlung, unsern Scenen und Acten, waren bei ihm
weniger getrennt; sein Publicum. einmal angespannt, hielt länger aus und
vermochte leichter kleine Zwischensätze zu ertragen; zuletzt nimmt er zuweilen
das Vorrecht des Genies in Anspruch, auch da Episoden und breite Ausführung
gen zu wagen und durch aneinandergefügte kleine dramatische Momente zu
snstrcuen. wo ein Anderer Aehnliches nicht wagen dürfte. Wenn man aber von
"nigen solchen genialen Freiheiten und von der veränderten Oekonomie des


chen Befangenheit des politischen Kampfes dadurch, daß die befreiende und
sühnende Macht«des Todes noch einmal in den würdigen Worten der sterben-
den Gräfin Ausdruck findet.

In dem Wechsel zwischen ausgeführten und verbindenden Scenen liegt
eine große Wirkung. Durch ihn wird jeder Theil des Ganzen von seiner
Umgebung kunstvoll abgehoben, die Hauptsache in stärkeres Licht gesetzt, in
dem Nebeneinander von Licht und Schatten der innere Zusammenhang der
Handlung verständlich. Der Dichter muß deshalb sein warmes Empfinden
wohl controliren und bedächtig prüfen, welche dramatischen Momente für
seine Handlung Hauptsache, welche Beiwerk sind. Er wird seine Neigung
zu Ausführung bestimmter Arten von Charakteren oder Situationen beschrän-
ken, wenn sie für das Ganze nicht von Gewicht sind; wenn er aber dem Reiz
nicht widerstehe» kann, von diesem Gesetze abzuweichen und einem unwesent¬
lichen Moment breitere Ausführung zu gönnen, so wird er es mit der Em¬
pfindung thun, daß er die Störung des Baues durch besondere Schönheit der
Ausführung zu sühnen habe. Solche Unregelmäßigkeit bleibt jedoch immer
gefährlich, nicht nur weil sie die Proportionen des Ganzen verschiebt, sondern
auch weil sie höchst wahrscheinlich.die Zeit für Wesentlicheres beschränkt. Wenn
Shakespeare solche episodische Ausführung in seineu Komödien — welche
meist lockeres Gefüge haben — begünstigt, so ist fast immer ihr Zweck, dem
Hörer gute Laune zu erhalten, so die behagliche Schilderung der Bürgerwache
u> „Viel Lärm um Nichts." welche die herbe Handlung verdecken soll.

Die Ncbcnscenen aber, mögen sie die Nachklänge einer Hauptscene, oder
die Vorbereitung zu einer neuen sein, werden dem Dichter immer noch Ge-
legenheit geben, bei der größten Kürze ein Interesse an den Rollen zu er-
weisen, hier ist der Raum für bescheidene Zeichnung, welche mit wenigen
Worten einen erfreuenden Einblick in das innerste Leben der Figuren des
Hintergrundes zu gewähren weiß.

Noch wird erwähnt, daß Shakespeare sür Diesen Kreis kleiner Regeln
N'ehe immer als Muster aufzuführen ist. Niemand hat besser den Aufbau
and die Spannung großer Scenen verstanden, Niemand besser die Wichtigkeit,
welche die Verbindung der großen Scenen durch leicht hingeworfene Nebenscenen
bat. Er schrieb aber nicht für unsere Bühne. Die Einschnitte zwischen den
Unterabtheilungen der Handlung, unsern Scenen und Acten, waren bei ihm
weniger getrennt; sein Publicum. einmal angespannt, hielt länger aus und
vermochte leichter kleine Zwischensätze zu ertragen; zuletzt nimmt er zuweilen
das Vorrecht des Genies in Anspruch, auch da Episoden und breite Ausführung
gen zu wagen und durch aneinandergefügte kleine dramatische Momente zu
snstrcuen. wo ein Anderer Aehnliches nicht wagen dürfte. Wenn man aber von
"nigen solchen genialen Freiheiten und von der veränderten Oekonomie des


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0239" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111671"/>
            <p xml:id="ID_730" prev="#ID_729"> chen Befangenheit des politischen Kampfes dadurch, daß die befreiende und<lb/>
sühnende Macht«des Todes noch einmal in den würdigen Worten der sterben-<lb/>
den Gräfin Ausdruck findet.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_731"> In dem Wechsel zwischen ausgeführten und verbindenden Scenen liegt<lb/>
eine große Wirkung. Durch ihn wird jeder Theil des Ganzen von seiner<lb/>
Umgebung kunstvoll abgehoben, die Hauptsache in stärkeres Licht gesetzt, in<lb/>
dem Nebeneinander von Licht und Schatten der innere Zusammenhang der<lb/>
Handlung verständlich. Der Dichter muß deshalb sein warmes Empfinden<lb/>
wohl controliren und bedächtig prüfen, welche dramatischen Momente für<lb/>
seine Handlung Hauptsache, welche Beiwerk sind. Er wird seine Neigung<lb/>
zu Ausführung bestimmter Arten von Charakteren oder Situationen beschrän-<lb/>
ken, wenn sie für das Ganze nicht von Gewicht sind; wenn er aber dem Reiz<lb/>
nicht widerstehe» kann, von diesem Gesetze abzuweichen und einem unwesent¬<lb/>
lichen Moment breitere Ausführung zu gönnen, so wird er es mit der Em¬<lb/>
pfindung thun, daß er die Störung des Baues durch besondere Schönheit der<lb/>
Ausführung zu sühnen habe. Solche Unregelmäßigkeit bleibt jedoch immer<lb/>
gefährlich, nicht nur weil sie die Proportionen des Ganzen verschiebt, sondern<lb/>
auch weil sie höchst wahrscheinlich.die Zeit für Wesentlicheres beschränkt. Wenn<lb/>
Shakespeare solche episodische Ausführung in seineu Komödien &#x2014; welche<lb/>
meist lockeres Gefüge haben &#x2014; begünstigt, so ist fast immer ihr Zweck, dem<lb/>
Hörer gute Laune zu erhalten, so die behagliche Schilderung der Bürgerwache<lb/>
u&gt; &#x201E;Viel Lärm um Nichts." welche die herbe Handlung verdecken soll.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_732"> Die Ncbcnscenen aber, mögen sie die Nachklänge einer Hauptscene, oder<lb/>
die Vorbereitung zu einer neuen sein, werden dem Dichter immer noch Ge-<lb/>
legenheit geben, bei der größten Kürze ein Interesse an den Rollen zu er-<lb/>
weisen, hier ist der Raum für bescheidene Zeichnung, welche mit wenigen<lb/>
Worten einen erfreuenden Einblick in das innerste Leben der Figuren des<lb/>
Hintergrundes zu gewähren weiß.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_733" next="#ID_734"> Noch wird erwähnt, daß Shakespeare sür Diesen Kreis kleiner Regeln<lb/>
N'ehe immer als Muster aufzuführen ist. Niemand hat besser den Aufbau<lb/>
and die Spannung großer Scenen verstanden, Niemand besser die Wichtigkeit,<lb/>
welche die Verbindung der großen Scenen durch leicht hingeworfene Nebenscenen<lb/>
bat. Er schrieb aber nicht für unsere Bühne. Die Einschnitte zwischen den<lb/>
Unterabtheilungen der Handlung, unsern Scenen und Acten, waren bei ihm<lb/>
weniger getrennt; sein Publicum. einmal angespannt, hielt länger aus und<lb/>
vermochte leichter kleine Zwischensätze zu ertragen; zuletzt nimmt er zuweilen<lb/>
das Vorrecht des Genies in Anspruch, auch da Episoden und breite Ausführung<lb/>
gen zu wagen und durch aneinandergefügte kleine dramatische Momente zu<lb/>
snstrcuen. wo ein Anderer Aehnliches nicht wagen dürfte. Wenn man aber von<lb/>
"nigen solchen genialen Freiheiten und von der veränderten Oekonomie des</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0239] chen Befangenheit des politischen Kampfes dadurch, daß die befreiende und sühnende Macht«des Todes noch einmal in den würdigen Worten der sterben- den Gräfin Ausdruck findet. In dem Wechsel zwischen ausgeführten und verbindenden Scenen liegt eine große Wirkung. Durch ihn wird jeder Theil des Ganzen von seiner Umgebung kunstvoll abgehoben, die Hauptsache in stärkeres Licht gesetzt, in dem Nebeneinander von Licht und Schatten der innere Zusammenhang der Handlung verständlich. Der Dichter muß deshalb sein warmes Empfinden wohl controliren und bedächtig prüfen, welche dramatischen Momente für seine Handlung Hauptsache, welche Beiwerk sind. Er wird seine Neigung zu Ausführung bestimmter Arten von Charakteren oder Situationen beschrän- ken, wenn sie für das Ganze nicht von Gewicht sind; wenn er aber dem Reiz nicht widerstehe» kann, von diesem Gesetze abzuweichen und einem unwesent¬ lichen Moment breitere Ausführung zu gönnen, so wird er es mit der Em¬ pfindung thun, daß er die Störung des Baues durch besondere Schönheit der Ausführung zu sühnen habe. Solche Unregelmäßigkeit bleibt jedoch immer gefährlich, nicht nur weil sie die Proportionen des Ganzen verschiebt, sondern auch weil sie höchst wahrscheinlich.die Zeit für Wesentlicheres beschränkt. Wenn Shakespeare solche episodische Ausführung in seineu Komödien — welche meist lockeres Gefüge haben — begünstigt, so ist fast immer ihr Zweck, dem Hörer gute Laune zu erhalten, so die behagliche Schilderung der Bürgerwache u> „Viel Lärm um Nichts." welche die herbe Handlung verdecken soll. Die Ncbcnscenen aber, mögen sie die Nachklänge einer Hauptscene, oder die Vorbereitung zu einer neuen sein, werden dem Dichter immer noch Ge- legenheit geben, bei der größten Kürze ein Interesse an den Rollen zu er- weisen, hier ist der Raum für bescheidene Zeichnung, welche mit wenigen Worten einen erfreuenden Einblick in das innerste Leben der Figuren des Hintergrundes zu gewähren weiß. Noch wird erwähnt, daß Shakespeare sür Diesen Kreis kleiner Regeln N'ehe immer als Muster aufzuführen ist. Niemand hat besser den Aufbau and die Spannung großer Scenen verstanden, Niemand besser die Wichtigkeit, welche die Verbindung der großen Scenen durch leicht hingeworfene Nebenscenen bat. Er schrieb aber nicht für unsere Bühne. Die Einschnitte zwischen den Unterabtheilungen der Handlung, unsern Scenen und Acten, waren bei ihm weniger getrennt; sein Publicum. einmal angespannt, hielt länger aus und vermochte leichter kleine Zwischensätze zu ertragen; zuletzt nimmt er zuweilen das Vorrecht des Genies in Anspruch, auch da Episoden und breite Ausführung gen zu wagen und durch aneinandergefügte kleine dramatische Momente zu snstrcuen. wo ein Anderer Aehnliches nicht wagen dürfte. Wenn man aber von "nigen solchen genialen Freiheiten und von der veränderten Oekonomie des

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/239
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/239>, abgerufen am 24.08.2024.