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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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kann. Ist er aber durchaus nicht zu vormeiden, so hüte man sich be¬
sonders, ihn in den Acten eintreten zu lassen, welche die größte Ausführung
verlangen, namentlich im vierten, wo bei vielen Stoffen ohnehin die volle
Kraft des Dichters nöthig ist, zu steigern, und die Umkehr imponirend zu
machen. Am leichtesten überwindet man ihn im ersten Acte.

Jeder Act nun muß wieder ein gegliederter Bau sein, welcher kunstvoll
seinen Theil der Handlung in zweckmäßiger und wirksamer Anordnung zusammen¬
faßt. Auch in ihm muß das Interesse des Zuschauers mit sicherer Hand geführt und
gesteigert werden; auch er muß seinen Höhenpunkt haben, eine große, kräftige
ausgeführte Scene. Enthält er mehre solche ausgeführte Höhenpunkte so werden
dieselbe" durch kleinere Scenen wie durch Verbindungsglieder verbunden sein,
in der Art, daß das höhere Interesse immer auf der späteren ausgeführte
Scene ruht. Auch jede einzelne Scene, sowol Ucbcrgangssccne. als ausge¬
führte muß eine gewisse Architectur haben, welche geeignet ist, ihren Inhalt
in höchster Wirkung auszudrücken. Ein spannendes Moment muß die ausge¬
führte Scene einleiten, die Scelcnprocessc in ihr müssen mit einiger Reichlichkeit
in wirksamer Steigerung dargestellt werden, das Resultat derselben dann
energisch, in treffenden Schlägen angedeutet sein; von ihrem Höhenpunkte aus,
auf welchem sie reichlich ausgeführt schwebt, muß schnell und kurz der Schluß
folgen; denn ist einmal ihr Resultat erreicht, die Spannung gelöstj, dann
wird jedes unnütze Wort zu viel. Und wie sie mit einer gewissen Erre¬
gung der Erwartung einzuleiten ist, so braucht auch ihr Eude eine kleine
Erhebung, besonders kräftigen Ausdruck der Persönlichkeiten dann, wenn sie
die Bühne verlasse". Die sogenannten Abgänge find kein unbegründetes
Begehren der Darsteller, wie sehr sie von roher Effectsucherei gemißbraucht
werden. Der Einschnitt am Ende der Scene und die Nothwendigkeit, die
Spannung auf das Folgende herüberzutragen, machen sie vielmehr zu einem
höchst berechtigten Kunstmittel, natürlich nur bei bescheidener Anwendung, zu¬
meist am Schluß der Acte.

Unter den vielen Beispielen eines guten Baues der Acte ist eines der be¬
rühmtesten der fünfte Act von Wallensteins Tod. Er besteht ans drei Thei¬
len, welche bei der Aufführung abweichend von der Intention des Dichters
sehr füglich durch dieselbe Scenerie zusammengeschlossen werde" könne".
Die Idee der ersten Scene ist: Butter wirbt die Werkzeuge des Mordes, die
der zweite": die Freunde Wallensteins, voll böser Ahnungen, warnen vergeb¬
lich den bethörten Verehrer der Sterne. Daran fügt sich unmittelbar die Ka¬
tastrophe, die Ermordung. Auf diese drei Theile des Actes, weiche ohne
verbindende Zwischenscenen zusammengefügt und durch eine schöne Steigerung
der einzelnen Wirkungen gegliedert sind, folgt das Moment der Ausgleichung, die
Vergeltung an Octavio und die Erhebung des Hörers aus der leidenschnftl'-


kann. Ist er aber durchaus nicht zu vormeiden, so hüte man sich be¬
sonders, ihn in den Acten eintreten zu lassen, welche die größte Ausführung
verlangen, namentlich im vierten, wo bei vielen Stoffen ohnehin die volle
Kraft des Dichters nöthig ist, zu steigern, und die Umkehr imponirend zu
machen. Am leichtesten überwindet man ihn im ersten Acte.

Jeder Act nun muß wieder ein gegliederter Bau sein, welcher kunstvoll
seinen Theil der Handlung in zweckmäßiger und wirksamer Anordnung zusammen¬
faßt. Auch in ihm muß das Interesse des Zuschauers mit sicherer Hand geführt und
gesteigert werden; auch er muß seinen Höhenpunkt haben, eine große, kräftige
ausgeführte Scene. Enthält er mehre solche ausgeführte Höhenpunkte so werden
dieselbe» durch kleinere Scenen wie durch Verbindungsglieder verbunden sein,
in der Art, daß das höhere Interesse immer auf der späteren ausgeführte
Scene ruht. Auch jede einzelne Scene, sowol Ucbcrgangssccne. als ausge¬
führte muß eine gewisse Architectur haben, welche geeignet ist, ihren Inhalt
in höchster Wirkung auszudrücken. Ein spannendes Moment muß die ausge¬
führte Scene einleiten, die Scelcnprocessc in ihr müssen mit einiger Reichlichkeit
in wirksamer Steigerung dargestellt werden, das Resultat derselben dann
energisch, in treffenden Schlägen angedeutet sein; von ihrem Höhenpunkte aus,
auf welchem sie reichlich ausgeführt schwebt, muß schnell und kurz der Schluß
folgen; denn ist einmal ihr Resultat erreicht, die Spannung gelöstj, dann
wird jedes unnütze Wort zu viel. Und wie sie mit einer gewissen Erre¬
gung der Erwartung einzuleiten ist, so braucht auch ihr Eude eine kleine
Erhebung, besonders kräftigen Ausdruck der Persönlichkeiten dann, wenn sie
die Bühne verlasse». Die sogenannten Abgänge find kein unbegründetes
Begehren der Darsteller, wie sehr sie von roher Effectsucherei gemißbraucht
werden. Der Einschnitt am Ende der Scene und die Nothwendigkeit, die
Spannung auf das Folgende herüberzutragen, machen sie vielmehr zu einem
höchst berechtigten Kunstmittel, natürlich nur bei bescheidener Anwendung, zu¬
meist am Schluß der Acte.

Unter den vielen Beispielen eines guten Baues der Acte ist eines der be¬
rühmtesten der fünfte Act von Wallensteins Tod. Er besteht ans drei Thei¬
len, welche bei der Aufführung abweichend von der Intention des Dichters
sehr füglich durch dieselbe Scenerie zusammengeschlossen werde» könne».
Die Idee der ersten Scene ist: Butter wirbt die Werkzeuge des Mordes, die
der zweite»: die Freunde Wallensteins, voll böser Ahnungen, warnen vergeb¬
lich den bethörten Verehrer der Sterne. Daran fügt sich unmittelbar die Ka¬
tastrophe, die Ermordung. Auf diese drei Theile des Actes, weiche ohne
verbindende Zwischenscenen zusammengefügt und durch eine schöne Steigerung
der einzelnen Wirkungen gegliedert sind, folgt das Moment der Ausgleichung, die
Vergeltung an Octavio und die Erhebung des Hörers aus der leidenschnftl'-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/238>, abgerufen am 05.02.2025.