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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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zum Muster dienen, sondern die Methode der großen Stücke Shakespeare's,
der Bau von Macbeth, Coriolan, Romeo und Julia. Richard der Dritte
u. s. w., eine Construction der Handlung, welche wenig voraussetzt und kurz
motivirt, und die Helden sogleich in höchst energischer und leidenschaftlicher
Thätigkeit zeigt.

Die Theile der organisirten Handlung sind die Acte. Sie sind durch Ein¬
schnitte von einander getrennt. Der Verschluß unsrer Bühne durch den Vor-
hang und die Pausen mit oder ohne Musik schneiden sehr stark ein. Deshalb
wird der Dichter Ursache haben, schon bei der Einrichtung des Stückes den
langen Zwischenacten zu zürnen, welche seltener durch die scenischen Verände-
rungen, häufiger durch den Costümwechsel der Darsteller veranlaßt werden. Es
ist im Interesse des Dichters, den Schauspielern die Gelegenheit zu solchem
Wechsel so viel als möglich zu beschränken, und wo das Ankleiden noth¬
wendig ist, schon beim Einrichten der Handlung darauf Rücksicht zu nehmen.
Ein längerer Zwischcnact. -- der niemals fünf Minuten überdauern soll,--
wird nach Beschaffenheit des Stücks dem zweiten oder dritten Act folgen
können. Die Acte, welche in näherem Zusammenhange stehen, dürfen nicht
durch ihn auseinandergerissen werden; was ihm folgt, muß noch im Stande
sein, von Neuem zu sammeln und zu spannen. Deshalb sind Pausen zwi¬
schen dem vierten und fünften Act am allernachtheiligsten. Diese beiden letzten
Theile der Handlung sollten selten durch größern Einschnitt getrennt sein, als
zwischen den einzelnen Scenen eines Actes geduldet wird. Der Dichter hat
sich zu hüten, daß er nicht in diesem Theile des Stücks selbst Schlußeffecte er-
finde, welche durch schwer herzustellende Scenerie und Einführung neuer
Massen die Zögerung verschulden.

Unsere Bühne hat serner das Bestreben, auch die Umgebung der austre¬
tenden Personen nicht nur anzudeuten, sondern in ziemlich anspruchsvoller
Ausführung durch Comparsen. Malerei und Geräth darzustellen. Dadurch wird
die Wirkung des Spiels wesentlich gefärbt, nur zuweilen unterstützt. Auch da¬
durch werden die einzelnen dramatischen Momente mehr von einander getrennt,
als noch zu Shakespeare's Zeit der Fall. war. Denn jede Verwandlung der
Bühne, während des Actes, macht einen neuen starken Einschnitt, und die Zer¬
streuung der Zuschauer wird nicht aufgehoben durch den neuen Brauch, die
Operation des Scenenwechsels durch Herablassen der Gardine den Augen des
Zuschauers zu entziehen. Solche Einschnitte, während des Actes, sind, es ist
U'ehe zu leugnen, ein Uebelstand. Es muß idas eifrigste Bemühen des
Dichters sein, sie entbehrlich zu finden; und es wird gut sein, wenn der
Dichter während der Arbeit sich sagt, daß es in seiner Kraft stehen muß,
Alles zu machen, denn häufig hält er solchen Wechsel für ganz unver¬
meidlich, der doch fast immer durch geringe Veränderungen beseitigt werden


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zum Muster dienen, sondern die Methode der großen Stücke Shakespeare's,
der Bau von Macbeth, Coriolan, Romeo und Julia. Richard der Dritte
u. s. w., eine Construction der Handlung, welche wenig voraussetzt und kurz
motivirt, und die Helden sogleich in höchst energischer und leidenschaftlicher
Thätigkeit zeigt.

Die Theile der organisirten Handlung sind die Acte. Sie sind durch Ein¬
schnitte von einander getrennt. Der Verschluß unsrer Bühne durch den Vor-
hang und die Pausen mit oder ohne Musik schneiden sehr stark ein. Deshalb
wird der Dichter Ursache haben, schon bei der Einrichtung des Stückes den
langen Zwischenacten zu zürnen, welche seltener durch die scenischen Verände-
rungen, häufiger durch den Costümwechsel der Darsteller veranlaßt werden. Es
ist im Interesse des Dichters, den Schauspielern die Gelegenheit zu solchem
Wechsel so viel als möglich zu beschränken, und wo das Ankleiden noth¬
wendig ist, schon beim Einrichten der Handlung darauf Rücksicht zu nehmen.
Ein längerer Zwischcnact. — der niemals fünf Minuten überdauern soll,—
wird nach Beschaffenheit des Stücks dem zweiten oder dritten Act folgen
können. Die Acte, welche in näherem Zusammenhange stehen, dürfen nicht
durch ihn auseinandergerissen werden; was ihm folgt, muß noch im Stande
sein, von Neuem zu sammeln und zu spannen. Deshalb sind Pausen zwi¬
schen dem vierten und fünften Act am allernachtheiligsten. Diese beiden letzten
Theile der Handlung sollten selten durch größern Einschnitt getrennt sein, als
zwischen den einzelnen Scenen eines Actes geduldet wird. Der Dichter hat
sich zu hüten, daß er nicht in diesem Theile des Stücks selbst Schlußeffecte er-
finde, welche durch schwer herzustellende Scenerie und Einführung neuer
Massen die Zögerung verschulden.

Unsere Bühne hat serner das Bestreben, auch die Umgebung der austre¬
tenden Personen nicht nur anzudeuten, sondern in ziemlich anspruchsvoller
Ausführung durch Comparsen. Malerei und Geräth darzustellen. Dadurch wird
die Wirkung des Spiels wesentlich gefärbt, nur zuweilen unterstützt. Auch da¬
durch werden die einzelnen dramatischen Momente mehr von einander getrennt,
als noch zu Shakespeare's Zeit der Fall. war. Denn jede Verwandlung der
Bühne, während des Actes, macht einen neuen starken Einschnitt, und die Zer¬
streuung der Zuschauer wird nicht aufgehoben durch den neuen Brauch, die
Operation des Scenenwechsels durch Herablassen der Gardine den Augen des
Zuschauers zu entziehen. Solche Einschnitte, während des Actes, sind, es ist
U'ehe zu leugnen, ein Uebelstand. Es muß idas eifrigste Bemühen des
Dichters sein, sie entbehrlich zu finden; und es wird gut sein, wenn der
Dichter während der Arbeit sich sagt, daß es in seiner Kraft stehen muß,
Alles zu machen, denn häufig hält er solchen Wechsel für ganz unver¬
meidlich, der doch fast immer durch geringe Veränderungen beseitigt werden


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[0237] zum Muster dienen, sondern die Methode der großen Stücke Shakespeare's, der Bau von Macbeth, Coriolan, Romeo und Julia. Richard der Dritte u. s. w., eine Construction der Handlung, welche wenig voraussetzt und kurz motivirt, und die Helden sogleich in höchst energischer und leidenschaftlicher Thätigkeit zeigt. Die Theile der organisirten Handlung sind die Acte. Sie sind durch Ein¬ schnitte von einander getrennt. Der Verschluß unsrer Bühne durch den Vor- hang und die Pausen mit oder ohne Musik schneiden sehr stark ein. Deshalb wird der Dichter Ursache haben, schon bei der Einrichtung des Stückes den langen Zwischenacten zu zürnen, welche seltener durch die scenischen Verände- rungen, häufiger durch den Costümwechsel der Darsteller veranlaßt werden. Es ist im Interesse des Dichters, den Schauspielern die Gelegenheit zu solchem Wechsel so viel als möglich zu beschränken, und wo das Ankleiden noth¬ wendig ist, schon beim Einrichten der Handlung darauf Rücksicht zu nehmen. Ein längerer Zwischcnact. — der niemals fünf Minuten überdauern soll,— wird nach Beschaffenheit des Stücks dem zweiten oder dritten Act folgen können. Die Acte, welche in näherem Zusammenhange stehen, dürfen nicht durch ihn auseinandergerissen werden; was ihm folgt, muß noch im Stande sein, von Neuem zu sammeln und zu spannen. Deshalb sind Pausen zwi¬ schen dem vierten und fünften Act am allernachtheiligsten. Diese beiden letzten Theile der Handlung sollten selten durch größern Einschnitt getrennt sein, als zwischen den einzelnen Scenen eines Actes geduldet wird. Der Dichter hat sich zu hüten, daß er nicht in diesem Theile des Stücks selbst Schlußeffecte er- finde, welche durch schwer herzustellende Scenerie und Einführung neuer Massen die Zögerung verschulden. Unsere Bühne hat serner das Bestreben, auch die Umgebung der austre¬ tenden Personen nicht nur anzudeuten, sondern in ziemlich anspruchsvoller Ausführung durch Comparsen. Malerei und Geräth darzustellen. Dadurch wird die Wirkung des Spiels wesentlich gefärbt, nur zuweilen unterstützt. Auch da¬ durch werden die einzelnen dramatischen Momente mehr von einander getrennt, als noch zu Shakespeare's Zeit der Fall. war. Denn jede Verwandlung der Bühne, während des Actes, macht einen neuen starken Einschnitt, und die Zer¬ streuung der Zuschauer wird nicht aufgehoben durch den neuen Brauch, die Operation des Scenenwechsels durch Herablassen der Gardine den Augen des Zuschauers zu entziehen. Solche Einschnitte, während des Actes, sind, es ist U'ehe zu leugnen, ein Uebelstand. Es muß idas eifrigste Bemühen des Dichters sein, sie entbehrlich zu finden; und es wird gut sein, wenn der Dichter während der Arbeit sich sagt, daß es in seiner Kraft stehen muß, Alles zu machen, denn häufig hält er solchen Wechsel für ganz unver¬ meidlich, der doch fast immer durch geringe Veränderungen beseitigt werden 22*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/237>, abgerufen am 24.08.2024.