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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Das neue preußische Heer.

Sie wünschen zu wissen, welche Fehler ich denn der neuen Organisation
des preußischen Heeres hauptsächlich vorwerfe, wenn ich sage, daß dergleichen
mancherlei begangen worden sind, und ich bin trotz verschiedener erheblicher
Bedenken bereit dazu, da ich meine, daß Wichtiges ohne große Schwierig¬
keiten noch an der Sache zu ändern wäre.

Soll ich die Ausstellungen, welche ich zu machen habe, in einen Haupt¬
vorwurf zusammenfassen, aus dem alle anderen von selber folgen, so ist es
der, daß der Gedanke, welcher dabei der leitende war, ein durchaus reaktio¬
närer ist, und zwar nicht nur im politischen, sondern auch im militärischen
Sinne. Statt nach erlangter Einsicht, daß das Vorhandene nicht mehr aus¬
reicht, die Abhilfe mit historischem Sinn in Dingen zu suchen, die nach
vorwärts liegen, hat man sie vielmehr in der Wiederbelebung alter abge-
nutzter Zustä-nde>zu finden geglaubt.

Um dies zu erkennen, ist es vor Allem nöthig, sich die Bedürfnisse klar
zu machen, welche zu der neuen Organisation geführt haben. Das Bedürfniß,
welches vorlag, war das einer Verstärkung der Streitkräfte des Landes.
Nun aber liegt eine solche Verstärkung nicht einfach in einer Vermehrung
der Menschenzahl, die ich möglicher Weise unter die Waffen bringen kann, so
sei)r diese Zahl auch immer bei richtiger Verwendung ein entscheidendes Mo¬
ment zum Erfolge ist. Sie liegt ferner nicht allein in dieser oder jener ein>
"einen Virtuosität der Truppe, in besserem Laufen oder Schießen etwa; denn
der Werth dieser Geschicklichkeiten reducirt sich an den großen Entscheidungs-
t"dem, an welchen Hunderttausende gegen einander auftreten, auf ein ziem¬
lich gennges Maaß. Sie liegt sodann auch nicht in den Künsten des Exer¬
cierplatzes oder der Reitbahn, so sehr dieselben bis zu einem gewissen Punkt
ihren Werth haben. Sie ist endlich nicht blos in der höheren militärischen
Bildung der Führer, also des Offizier- und Unteroffizier-Corps zu suchen,
sondern einmal in allen diesen Dingen zusammen, und dann mehr noch
"is in diesen Dingen, die alle mehr oder minder äußerliche sind, in
dem Geiste, der das Ganze belebt. Es fragt sich im Wesentlichen, ob
dies ein Geist ist, der zu großen Thaten treibt, ein Geist der Aufopferung
und der Hingebung, erwachsen auf dem Boden eines idealen Gefühls, einer
idealen Anschauung, Glaube. Freiheit. Treue, oder ob es ein Geist ist, der
eigentlich keiner ist, ein Geist der mechanischen Gewöhnung, der Gedanken-
'"sigkeit, der Abtödtung zur Maschine. Die größte Tugend der Masse ist die >
Tapferkeit, der Muth des Angriffs und der Vertheidigung, und dieser our-


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Das neue preußische Heer.

Sie wünschen zu wissen, welche Fehler ich denn der neuen Organisation
des preußischen Heeres hauptsächlich vorwerfe, wenn ich sage, daß dergleichen
mancherlei begangen worden sind, und ich bin trotz verschiedener erheblicher
Bedenken bereit dazu, da ich meine, daß Wichtiges ohne große Schwierig¬
keiten noch an der Sache zu ändern wäre.

Soll ich die Ausstellungen, welche ich zu machen habe, in einen Haupt¬
vorwurf zusammenfassen, aus dem alle anderen von selber folgen, so ist es
der, daß der Gedanke, welcher dabei der leitende war, ein durchaus reaktio¬
närer ist, und zwar nicht nur im politischen, sondern auch im militärischen
Sinne. Statt nach erlangter Einsicht, daß das Vorhandene nicht mehr aus¬
reicht, die Abhilfe mit historischem Sinn in Dingen zu suchen, die nach
vorwärts liegen, hat man sie vielmehr in der Wiederbelebung alter abge-
nutzter Zustä-nde>zu finden geglaubt.

Um dies zu erkennen, ist es vor Allem nöthig, sich die Bedürfnisse klar
zu machen, welche zu der neuen Organisation geführt haben. Das Bedürfniß,
welches vorlag, war das einer Verstärkung der Streitkräfte des Landes.
Nun aber liegt eine solche Verstärkung nicht einfach in einer Vermehrung
der Menschenzahl, die ich möglicher Weise unter die Waffen bringen kann, so
sei)r diese Zahl auch immer bei richtiger Verwendung ein entscheidendes Mo¬
ment zum Erfolge ist. Sie liegt ferner nicht allein in dieser oder jener ein>
»einen Virtuosität der Truppe, in besserem Laufen oder Schießen etwa; denn
der Werth dieser Geschicklichkeiten reducirt sich an den großen Entscheidungs-
t"dem, an welchen Hunderttausende gegen einander auftreten, auf ein ziem¬
lich gennges Maaß. Sie liegt sodann auch nicht in den Künsten des Exer¬
cierplatzes oder der Reitbahn, so sehr dieselben bis zu einem gewissen Punkt
ihren Werth haben. Sie ist endlich nicht blos in der höheren militärischen
Bildung der Führer, also des Offizier- und Unteroffizier-Corps zu suchen,
sondern einmal in allen diesen Dingen zusammen, und dann mehr noch
"is in diesen Dingen, die alle mehr oder minder äußerliche sind, in
dem Geiste, der das Ganze belebt. Es fragt sich im Wesentlichen, ob
dies ein Geist ist, der zu großen Thaten treibt, ein Geist der Aufopferung
und der Hingebung, erwachsen auf dem Boden eines idealen Gefühls, einer
idealen Anschauung, Glaube. Freiheit. Treue, oder ob es ein Geist ist, der
eigentlich keiner ist, ein Geist der mechanischen Gewöhnung, der Gedanken-
'"sigkeit, der Abtödtung zur Maschine. Die größte Tugend der Masse ist die >
Tapferkeit, der Muth des Angriffs und der Vertheidigung, und dieser our-


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[0221] Das neue preußische Heer. Sie wünschen zu wissen, welche Fehler ich denn der neuen Organisation des preußischen Heeres hauptsächlich vorwerfe, wenn ich sage, daß dergleichen mancherlei begangen worden sind, und ich bin trotz verschiedener erheblicher Bedenken bereit dazu, da ich meine, daß Wichtiges ohne große Schwierig¬ keiten noch an der Sache zu ändern wäre. Soll ich die Ausstellungen, welche ich zu machen habe, in einen Haupt¬ vorwurf zusammenfassen, aus dem alle anderen von selber folgen, so ist es der, daß der Gedanke, welcher dabei der leitende war, ein durchaus reaktio¬ närer ist, und zwar nicht nur im politischen, sondern auch im militärischen Sinne. Statt nach erlangter Einsicht, daß das Vorhandene nicht mehr aus¬ reicht, die Abhilfe mit historischem Sinn in Dingen zu suchen, die nach vorwärts liegen, hat man sie vielmehr in der Wiederbelebung alter abge- nutzter Zustä-nde>zu finden geglaubt. Um dies zu erkennen, ist es vor Allem nöthig, sich die Bedürfnisse klar zu machen, welche zu der neuen Organisation geführt haben. Das Bedürfniß, welches vorlag, war das einer Verstärkung der Streitkräfte des Landes. Nun aber liegt eine solche Verstärkung nicht einfach in einer Vermehrung der Menschenzahl, die ich möglicher Weise unter die Waffen bringen kann, so sei)r diese Zahl auch immer bei richtiger Verwendung ein entscheidendes Mo¬ ment zum Erfolge ist. Sie liegt ferner nicht allein in dieser oder jener ein> »einen Virtuosität der Truppe, in besserem Laufen oder Schießen etwa; denn der Werth dieser Geschicklichkeiten reducirt sich an den großen Entscheidungs- t"dem, an welchen Hunderttausende gegen einander auftreten, auf ein ziem¬ lich gennges Maaß. Sie liegt sodann auch nicht in den Künsten des Exer¬ cierplatzes oder der Reitbahn, so sehr dieselben bis zu einem gewissen Punkt ihren Werth haben. Sie ist endlich nicht blos in der höheren militärischen Bildung der Führer, also des Offizier- und Unteroffizier-Corps zu suchen, sondern einmal in allen diesen Dingen zusammen, und dann mehr noch "is in diesen Dingen, die alle mehr oder minder äußerliche sind, in dem Geiste, der das Ganze belebt. Es fragt sich im Wesentlichen, ob dies ein Geist ist, der zu großen Thaten treibt, ein Geist der Aufopferung und der Hingebung, erwachsen auf dem Boden eines idealen Gefühls, einer idealen Anschauung, Glaube. Freiheit. Treue, oder ob es ein Geist ist, der eigentlich keiner ist, ein Geist der mechanischen Gewöhnung, der Gedanken- '"sigkeit, der Abtödtung zur Maschine. Die größte Tugend der Masse ist die > Tapferkeit, der Muth des Angriffs und der Vertheidigung, und dieser our- 27*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/221>, abgerufen am 22.07.2024.