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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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zeit allein auf moralischem Boden, nicht in Gewohnheiten und diesen oder
jenen etwas mehr ausgebildeten Fertigkeiten. Prüfen wir an diesen Grund¬
sätzen die Umbildung des preußischen Heeres, so sehen wir, daß die Rücksicht
auf die Ausbildung der mechanischen Mittel des Kampfes, auf die sogenannte
Dressur viel zu sehr den Vorsitz geführt, und daß man damit -- wissentlich
oder nicht, was für den Erfolg gleichgiltig ist -- den weit wichtigeren geisti¬
gen Heereseigenschaften und Kampfmitteln Abbruch gethan hat. Es drängt sich
zu sehr auf, daß die ganze Aenderung die Tendenz hat, sich von den Formen
und Einrichtungen, welche die Zeit des ungeheuern reinigenden Unglücks von
1806 und der großen Begeisterung von 1813 geschaffen, zu entfernen und sich
dem Antediluvium mit seiner traurigen Trennung von Armee und Volk wie¬
der zu nähern, als daß man nicht schon deshalb mißtrauisch werden sollte.
Man helle nur den Eifer und die Freude, welche die ganze reactionäre Partei
im Lande in Betreff der neuen Einrichtung erfüllen, man bemerke das Wieder¬
erwachen jenes exclusiver Offiziersgcistes, welcher sich leider jetzt so häufig in
den beklagenswerthesten Ereignissen kund gibt, und man wird schon daran
inne werden, welche Fortschritte dadurch täglich gemacht werden auf der un¬
glücklichen Bahn, die bereits einmal Land und Thron an den Rand des Ver¬
derbens geführt hat. Artikel wie die. weiche neulich die Militärischen Blätter
und die Revue geliefert, sind ein so echter Ausdruck jenes wieder ausgelebten
^hassenswerther Kastengeistes, wie er 1806 von den Gensdarmen schmerzlichen
Andenkens nicht besser hätte getroffen werden können. Nun sind wir zwar
weit entfernt von der Behauptung, daß solche Erfolge irgendwie in der Ab¬
sicht der Einrichtenden liegen. Aber es sind dennoch die nothwendigen Fol¬
gen von Maßregeln, die überall darauf berechnet sind, den sogenannten
militärischen Geist durch eine immer entschiedenere Trennung der Armee
von dem Volke als einen exclusiver d. h. als einen solchen, der sich ein¬
bildet, er sei ein ganz besonderes geeigneter sür militärische Thaten/ wie¬
der zu erwecken. In jenem Geiste hat man sich alle Mühe gegeben, die
Landwehr zu Grabe zu tragen. Statt dieselbe zu heben in ihrem Selbst¬
gefühl, hat man den Geist, der in. ihr bei jeder Gelegenheit leicht zu wecken
gewesen wäre, dadurch völlig ertödtet, daß man erklärt hat, sie sei nur noch
eine Besatzungstruppe, ein Ausdruck, der nicht viel mehr sagt als Miliz oder
Stadtsoldatcn. So nimmt es wenigstens die Truppe, und wie sie sich nimmt,
so fühlt sie sich und so viel taugt sie. Dergleichen gehört zum ABC des
geistigen Theiles der Kunst. Ferner, in jenem Geiste ruht die übermäßige
Wichtigkeit, welche man für den militärischen Erfolg der sogenannten Dressur
beilegt; schon an sich ein schlimmes Wort, da wir es sonst ausschließlich vom
Abrichten thierischer Seelen brauchen. In ihm beharrt man starr auf der
Forderung einer dreijährigen Dienstzeit bei der Infanterie, während kaum


zeit allein auf moralischem Boden, nicht in Gewohnheiten und diesen oder
jenen etwas mehr ausgebildeten Fertigkeiten. Prüfen wir an diesen Grund¬
sätzen die Umbildung des preußischen Heeres, so sehen wir, daß die Rücksicht
auf die Ausbildung der mechanischen Mittel des Kampfes, auf die sogenannte
Dressur viel zu sehr den Vorsitz geführt, und daß man damit — wissentlich
oder nicht, was für den Erfolg gleichgiltig ist — den weit wichtigeren geisti¬
gen Heereseigenschaften und Kampfmitteln Abbruch gethan hat. Es drängt sich
zu sehr auf, daß die ganze Aenderung die Tendenz hat, sich von den Formen
und Einrichtungen, welche die Zeit des ungeheuern reinigenden Unglücks von
1806 und der großen Begeisterung von 1813 geschaffen, zu entfernen und sich
dem Antediluvium mit seiner traurigen Trennung von Armee und Volk wie¬
der zu nähern, als daß man nicht schon deshalb mißtrauisch werden sollte.
Man helle nur den Eifer und die Freude, welche die ganze reactionäre Partei
im Lande in Betreff der neuen Einrichtung erfüllen, man bemerke das Wieder¬
erwachen jenes exclusiver Offiziersgcistes, welcher sich leider jetzt so häufig in
den beklagenswerthesten Ereignissen kund gibt, und man wird schon daran
inne werden, welche Fortschritte dadurch täglich gemacht werden auf der un¬
glücklichen Bahn, die bereits einmal Land und Thron an den Rand des Ver¬
derbens geführt hat. Artikel wie die. weiche neulich die Militärischen Blätter
und die Revue geliefert, sind ein so echter Ausdruck jenes wieder ausgelebten
^hassenswerther Kastengeistes, wie er 1806 von den Gensdarmen schmerzlichen
Andenkens nicht besser hätte getroffen werden können. Nun sind wir zwar
weit entfernt von der Behauptung, daß solche Erfolge irgendwie in der Ab¬
sicht der Einrichtenden liegen. Aber es sind dennoch die nothwendigen Fol¬
gen von Maßregeln, die überall darauf berechnet sind, den sogenannten
militärischen Geist durch eine immer entschiedenere Trennung der Armee
von dem Volke als einen exclusiver d. h. als einen solchen, der sich ein¬
bildet, er sei ein ganz besonderes geeigneter sür militärische Thaten/ wie¬
der zu erwecken. In jenem Geiste hat man sich alle Mühe gegeben, die
Landwehr zu Grabe zu tragen. Statt dieselbe zu heben in ihrem Selbst¬
gefühl, hat man den Geist, der in. ihr bei jeder Gelegenheit leicht zu wecken
gewesen wäre, dadurch völlig ertödtet, daß man erklärt hat, sie sei nur noch
eine Besatzungstruppe, ein Ausdruck, der nicht viel mehr sagt als Miliz oder
Stadtsoldatcn. So nimmt es wenigstens die Truppe, und wie sie sich nimmt,
so fühlt sie sich und so viel taugt sie. Dergleichen gehört zum ABC des
geistigen Theiles der Kunst. Ferner, in jenem Geiste ruht die übermäßige
Wichtigkeit, welche man für den militärischen Erfolg der sogenannten Dressur
beilegt; schon an sich ein schlimmes Wort, da wir es sonst ausschließlich vom
Abrichten thierischer Seelen brauchen. In ihm beharrt man starr auf der
Forderung einer dreijährigen Dienstzeit bei der Infanterie, während kaum


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[0222] zeit allein auf moralischem Boden, nicht in Gewohnheiten und diesen oder jenen etwas mehr ausgebildeten Fertigkeiten. Prüfen wir an diesen Grund¬ sätzen die Umbildung des preußischen Heeres, so sehen wir, daß die Rücksicht auf die Ausbildung der mechanischen Mittel des Kampfes, auf die sogenannte Dressur viel zu sehr den Vorsitz geführt, und daß man damit — wissentlich oder nicht, was für den Erfolg gleichgiltig ist — den weit wichtigeren geisti¬ gen Heereseigenschaften und Kampfmitteln Abbruch gethan hat. Es drängt sich zu sehr auf, daß die ganze Aenderung die Tendenz hat, sich von den Formen und Einrichtungen, welche die Zeit des ungeheuern reinigenden Unglücks von 1806 und der großen Begeisterung von 1813 geschaffen, zu entfernen und sich dem Antediluvium mit seiner traurigen Trennung von Armee und Volk wie¬ der zu nähern, als daß man nicht schon deshalb mißtrauisch werden sollte. Man helle nur den Eifer und die Freude, welche die ganze reactionäre Partei im Lande in Betreff der neuen Einrichtung erfüllen, man bemerke das Wieder¬ erwachen jenes exclusiver Offiziersgcistes, welcher sich leider jetzt so häufig in den beklagenswerthesten Ereignissen kund gibt, und man wird schon daran inne werden, welche Fortschritte dadurch täglich gemacht werden auf der un¬ glücklichen Bahn, die bereits einmal Land und Thron an den Rand des Ver¬ derbens geführt hat. Artikel wie die. weiche neulich die Militärischen Blätter und die Revue geliefert, sind ein so echter Ausdruck jenes wieder ausgelebten ^hassenswerther Kastengeistes, wie er 1806 von den Gensdarmen schmerzlichen Andenkens nicht besser hätte getroffen werden können. Nun sind wir zwar weit entfernt von der Behauptung, daß solche Erfolge irgendwie in der Ab¬ sicht der Einrichtenden liegen. Aber es sind dennoch die nothwendigen Fol¬ gen von Maßregeln, die überall darauf berechnet sind, den sogenannten militärischen Geist durch eine immer entschiedenere Trennung der Armee von dem Volke als einen exclusiver d. h. als einen solchen, der sich ein¬ bildet, er sei ein ganz besonderes geeigneter sür militärische Thaten/ wie¬ der zu erwecken. In jenem Geiste hat man sich alle Mühe gegeben, die Landwehr zu Grabe zu tragen. Statt dieselbe zu heben in ihrem Selbst¬ gefühl, hat man den Geist, der in. ihr bei jeder Gelegenheit leicht zu wecken gewesen wäre, dadurch völlig ertödtet, daß man erklärt hat, sie sei nur noch eine Besatzungstruppe, ein Ausdruck, der nicht viel mehr sagt als Miliz oder Stadtsoldatcn. So nimmt es wenigstens die Truppe, und wie sie sich nimmt, so fühlt sie sich und so viel taugt sie. Dergleichen gehört zum ABC des geistigen Theiles der Kunst. Ferner, in jenem Geiste ruht die übermäßige Wichtigkeit, welche man für den militärischen Erfolg der sogenannten Dressur beilegt; schon an sich ein schlimmes Wort, da wir es sonst ausschließlich vom Abrichten thierischer Seelen brauchen. In ihm beharrt man starr auf der Forderung einer dreijährigen Dienstzeit bei der Infanterie, während kaum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/222>, abgerufen am 22.07.2024.