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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Moment präsentirt sich breiter, eine sorgfältige Steigerung muß unter dem Jm-
Ponirenden stattfinden, damit eine höchste Wirkung erreicht werde. So muß die
Kunst zwar die Natur beständig belauschen, aber sie darf sie durchaus nicht co.
piren, ja sie muß zu dem Detail, das die Natur ihr abgibt, noch ein anderes
mischen, was die Natur nicht bietet. Zuerst in der Rede. Für den ener¬
gischen Ausdruck der Poesie ist eins der nächsten Hilfsmittel der Witz des
Vergleiches, die Farbe des Bildes; dieser älteste Schmuck der Rede tritt mit
NaturnothwendigM überall in die Sprache des Menschen, wo die Seele in
gehobener Stimmung ihre Fügel regt, dem begeisterten Redner, wie dem Dich¬
ter. Jcdenr Volk, jeder Bildung sind Vergleich und Bild die unmittelbarsten
Aeußerungen einer souveränen Stimmung, des kräftigen geistigen Schaffens.
Nun aber ist die Aufgabe des Dichters mit der größten souveränen Freiheit
und Gehobenheit seines Wesens die größte Befangenheit seiner Personen in
ihren Leidenschaften darzustellen. Es wird ihm also unvermeidlich sein, daß
seine Charaktere auch in den Momenten hoher Leidenschaft weit mehr von
dieser innern schöpferischen Kraft der Rede, von der souveränen Macht und Herr¬
schaft über Sprache. Ausdruck und Mimik verrathen, als sie in der
Natur jemals zeigen. Ja diese innere Freiheit ist ihnen nothwendig und
der Zuschauer fordert sie. Und doch liegt hier die große Gefahr für den
Schaffenden, daß seine Dialektik der Leidenschaft zu künstlich erscheine. Unsere
größten Dichter haben die Kunstmittel der Poesie oft in einer Reichlichkeit
zu leidenschaftlichen Momenten benutzt, welche verletzt. Es ist bekannt, daß
schon Shakespeare bei pathetischen Ausdruck der Neigung seiner Zeit zu mytholo¬
gischen Vergleichen und prächtigen Bildern zu sehr nachgibt; dadurch kommt häu¬
fig ein Schwulst in die Sprache seiner Charaktere, den wir nur über der
Menge von schönen charakteristischen Zügen, die dem Leben abgelauscht sind,
vergessen. Näher stehen die großen Dichter der Deutschen unserer Bildung,
aber auch bei ihnen, vor allen bei Schiller, drängt sich in das Pathos nicht
selten eine Schönrednerei, welche unbefangener Empfindung schon jetzt unbe¬
quem wird.

Wenn solcher Gegensatz zwischen Kunst und Natur bei jedem leiden¬
schaftlichen Ausdruck Schwierigkeiten bereitet, so gilt dies am meisten von den
innigsten und herzlichsten Empfindungen. Und so wird hier noch einmal an die
sogenannten Liebesscenen erinnert. In der Wirklichkeit ist der Ausdruck der
holden Leidenschaft, welche aus einer Seele in die andere fällt, so zart, wort¬
arm und discret, daß er die Kunst in Verzweiflung bringt. Ein schneller
Strahl des Auges, ein weicher Ton der Rede vermag dem Geliebten mehr
auszudrücken, als jede Rede; gerade die unmittelbarste Aeußerung des süßen
Gefühls bedarf der Worte nur wie nebenbei; auch die Momente der soge¬
nannten Erklärung werden häufig wortarm, dem Fernstehenden kaum sichtbar


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Moment präsentirt sich breiter, eine sorgfältige Steigerung muß unter dem Jm-
Ponirenden stattfinden, damit eine höchste Wirkung erreicht werde. So muß die
Kunst zwar die Natur beständig belauschen, aber sie darf sie durchaus nicht co.
piren, ja sie muß zu dem Detail, das die Natur ihr abgibt, noch ein anderes
mischen, was die Natur nicht bietet. Zuerst in der Rede. Für den ener¬
gischen Ausdruck der Poesie ist eins der nächsten Hilfsmittel der Witz des
Vergleiches, die Farbe des Bildes; dieser älteste Schmuck der Rede tritt mit
NaturnothwendigM überall in die Sprache des Menschen, wo die Seele in
gehobener Stimmung ihre Fügel regt, dem begeisterten Redner, wie dem Dich¬
ter. Jcdenr Volk, jeder Bildung sind Vergleich und Bild die unmittelbarsten
Aeußerungen einer souveränen Stimmung, des kräftigen geistigen Schaffens.
Nun aber ist die Aufgabe des Dichters mit der größten souveränen Freiheit
und Gehobenheit seines Wesens die größte Befangenheit seiner Personen in
ihren Leidenschaften darzustellen. Es wird ihm also unvermeidlich sein, daß
seine Charaktere auch in den Momenten hoher Leidenschaft weit mehr von
dieser innern schöpferischen Kraft der Rede, von der souveränen Macht und Herr¬
schaft über Sprache. Ausdruck und Mimik verrathen, als sie in der
Natur jemals zeigen. Ja diese innere Freiheit ist ihnen nothwendig und
der Zuschauer fordert sie. Und doch liegt hier die große Gefahr für den
Schaffenden, daß seine Dialektik der Leidenschaft zu künstlich erscheine. Unsere
größten Dichter haben die Kunstmittel der Poesie oft in einer Reichlichkeit
zu leidenschaftlichen Momenten benutzt, welche verletzt. Es ist bekannt, daß
schon Shakespeare bei pathetischen Ausdruck der Neigung seiner Zeit zu mytholo¬
gischen Vergleichen und prächtigen Bildern zu sehr nachgibt; dadurch kommt häu¬
fig ein Schwulst in die Sprache seiner Charaktere, den wir nur über der
Menge von schönen charakteristischen Zügen, die dem Leben abgelauscht sind,
vergessen. Näher stehen die großen Dichter der Deutschen unserer Bildung,
aber auch bei ihnen, vor allen bei Schiller, drängt sich in das Pathos nicht
selten eine Schönrednerei, welche unbefangener Empfindung schon jetzt unbe¬
quem wird.

Wenn solcher Gegensatz zwischen Kunst und Natur bei jedem leiden¬
schaftlichen Ausdruck Schwierigkeiten bereitet, so gilt dies am meisten von den
innigsten und herzlichsten Empfindungen. Und so wird hier noch einmal an die
sogenannten Liebesscenen erinnert. In der Wirklichkeit ist der Ausdruck der
holden Leidenschaft, welche aus einer Seele in die andere fällt, so zart, wort¬
arm und discret, daß er die Kunst in Verzweiflung bringt. Ein schneller
Strahl des Auges, ein weicher Ton der Rede vermag dem Geliebten mehr
auszudrücken, als jede Rede; gerade die unmittelbarste Aeußerung des süßen
Gefühls bedarf der Worte nur wie nebenbei; auch die Momente der soge¬
nannten Erklärung werden häufig wortarm, dem Fernstehenden kaum sichtbar


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[0197] Moment präsentirt sich breiter, eine sorgfältige Steigerung muß unter dem Jm- Ponirenden stattfinden, damit eine höchste Wirkung erreicht werde. So muß die Kunst zwar die Natur beständig belauschen, aber sie darf sie durchaus nicht co. piren, ja sie muß zu dem Detail, das die Natur ihr abgibt, noch ein anderes mischen, was die Natur nicht bietet. Zuerst in der Rede. Für den ener¬ gischen Ausdruck der Poesie ist eins der nächsten Hilfsmittel der Witz des Vergleiches, die Farbe des Bildes; dieser älteste Schmuck der Rede tritt mit NaturnothwendigM überall in die Sprache des Menschen, wo die Seele in gehobener Stimmung ihre Fügel regt, dem begeisterten Redner, wie dem Dich¬ ter. Jcdenr Volk, jeder Bildung sind Vergleich und Bild die unmittelbarsten Aeußerungen einer souveränen Stimmung, des kräftigen geistigen Schaffens. Nun aber ist die Aufgabe des Dichters mit der größten souveränen Freiheit und Gehobenheit seines Wesens die größte Befangenheit seiner Personen in ihren Leidenschaften darzustellen. Es wird ihm also unvermeidlich sein, daß seine Charaktere auch in den Momenten hoher Leidenschaft weit mehr von dieser innern schöpferischen Kraft der Rede, von der souveränen Macht und Herr¬ schaft über Sprache. Ausdruck und Mimik verrathen, als sie in der Natur jemals zeigen. Ja diese innere Freiheit ist ihnen nothwendig und der Zuschauer fordert sie. Und doch liegt hier die große Gefahr für den Schaffenden, daß seine Dialektik der Leidenschaft zu künstlich erscheine. Unsere größten Dichter haben die Kunstmittel der Poesie oft in einer Reichlichkeit zu leidenschaftlichen Momenten benutzt, welche verletzt. Es ist bekannt, daß schon Shakespeare bei pathetischen Ausdruck der Neigung seiner Zeit zu mytholo¬ gischen Vergleichen und prächtigen Bildern zu sehr nachgibt; dadurch kommt häu¬ fig ein Schwulst in die Sprache seiner Charaktere, den wir nur über der Menge von schönen charakteristischen Zügen, die dem Leben abgelauscht sind, vergessen. Näher stehen die großen Dichter der Deutschen unserer Bildung, aber auch bei ihnen, vor allen bei Schiller, drängt sich in das Pathos nicht selten eine Schönrednerei, welche unbefangener Empfindung schon jetzt unbe¬ quem wird. Wenn solcher Gegensatz zwischen Kunst und Natur bei jedem leiden¬ schaftlichen Ausdruck Schwierigkeiten bereitet, so gilt dies am meisten von den innigsten und herzlichsten Empfindungen. Und so wird hier noch einmal an die sogenannten Liebesscenen erinnert. In der Wirklichkeit ist der Ausdruck der holden Leidenschaft, welche aus einer Seele in die andere fällt, so zart, wort¬ arm und discret, daß er die Kunst in Verzweiflung bringt. Ein schneller Strahl des Auges, ein weicher Ton der Rede vermag dem Geliebten mehr auszudrücken, als jede Rede; gerade die unmittelbarste Aeußerung des süßen Gefühls bedarf der Worte nur wie nebenbei; auch die Momente der soge¬ nannten Erklärung werden häufig wortarm, dem Fernstehenden kaum sichtbar 24*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/197>, abgerufen am 22.07.2024.