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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Leicht ist die Vorschrift gegeben, daß der dramatische Charakter wahr sein
müsse, daß nämlich die einzelnen Lebensmomente desselben mit einander in
Harmonie stehen und als zusammengehörig empfunden werden, daß ferner der
Charakter dem Ganzen der Handlung auch in Beziehung aus Farbe und
Costüm genau entspreche. Aber solche Regel wird, so allgemein ausgedrückt,
dem modernen Dichter in vielen Füllen keinen Nutzen gewahren, wo ihm der
Gegensatz zwischen den letzten Bedürfnissen seiner Kunst und der historischen
selbst mancher poetischen Wahrheit geheime Schwierigkeiten bereitet.

Allerdings versteht sich, daß auch der Dichter die Ueberlieferungen der Ge¬
schichte treu bewahren wird, wo sie ihm nützen, und wo sie ihn nicht stören.
Denn unsere Zeit, so fortgeschritten in historischer Bildung und in der Kenntniß
früherer Culturverhältnisse, controllirt auch die historische Bildung ihrer Drama¬
tiker. Der Dichter soll sich hüten, zunächst, daß er seinen Helden nicht zu wenig
von dem Inhalte chrer Zeit gebe und daß ein modernes Empfinden der Cha¬
raktere dem gebildeten Zuschauer nicht im Gegensatz erscheine zu den ihm wol
bekannten Befangenheiten und Eigenthümlichkeiten des Seelenlebens der alten
Zeit. Die jungen Dichter verlciyen ihren Helden leicht ein Verständniß der eige¬
nen Zeit, eine Gewandtheit, über die höchsten Angelegenheiten derselben zu
Philosophiren, und vor allem solche Gesichtspunkte, wie sie aus modernen histo¬
rischen Werken geläufig sind. Es ist unbequem, einen alten Kaiser des frän¬
kischen oder hohenstaufischen Hauses so bewußt, zwcckvoll und weise die
Tendenzen seiner Zeit ausdrücken zu hören, wie etwa Stenzcl und Raumer
diese dargestellt haben. Nicht weniger gefährlich aber ist die entgegengesetzte
Versuchung, in welche der Dichter durch das Bestreben kommt, die Eigen¬
thümlichkeiten der Vergangenheit lebendig zu erfassen; leicht erscheint ihm
dann das Besondere, von unserm Wesen Abweichende der alten Zeit als
das Charakteristische und deshalb für seine Kunst Wirksame. Dann ist er in
Gefahr, das unmittelbare Interesse, welches wir an dem schnell Verständlichen,
allgemein Menschlichen nehmen, zu verdecken, und in der noch größern Gefahr,
den Verlauf seiner Handlung auszubauen auf Absonderlichkeiten jener Ver¬
gangenheit, auf Vergängliches, welches in der Kunst den Eindruck des Zufäl¬
ligen und Willkürlichen macht. Es ist jedem historischen Stoff gegenüber nicht
ganz leicht, zwischen solchen Gefahren durchzustellen,.

Und doch bleibt in einem historischen Stück oft ein unvermeidlicher Gegen¬
satz zwischen den dramatisch zugerichteten Charakteren und der dramatisch zu¬
gerichteten Handlung. Es lohnt bei diesem bcdeiMichen Punkt zu verweilen.
Da der moderne Dichter bei historischen Stoffen allerdings die Verpflichtung hat,
sorgfältig auf das zu.achten, was wir Farbe und Costüm der Zeit nennen, und da
nicht nur die Charaktere, sondern auch die Handlung aus entfernter Zeit genom¬
men sind, so wird sicher auch in der Idee des Stückes und der Handlung, in den


Leicht ist die Vorschrift gegeben, daß der dramatische Charakter wahr sein
müsse, daß nämlich die einzelnen Lebensmomente desselben mit einander in
Harmonie stehen und als zusammengehörig empfunden werden, daß ferner der
Charakter dem Ganzen der Handlung auch in Beziehung aus Farbe und
Costüm genau entspreche. Aber solche Regel wird, so allgemein ausgedrückt,
dem modernen Dichter in vielen Füllen keinen Nutzen gewahren, wo ihm der
Gegensatz zwischen den letzten Bedürfnissen seiner Kunst und der historischen
selbst mancher poetischen Wahrheit geheime Schwierigkeiten bereitet.

Allerdings versteht sich, daß auch der Dichter die Ueberlieferungen der Ge¬
schichte treu bewahren wird, wo sie ihm nützen, und wo sie ihn nicht stören.
Denn unsere Zeit, so fortgeschritten in historischer Bildung und in der Kenntniß
früherer Culturverhältnisse, controllirt auch die historische Bildung ihrer Drama¬
tiker. Der Dichter soll sich hüten, zunächst, daß er seinen Helden nicht zu wenig
von dem Inhalte chrer Zeit gebe und daß ein modernes Empfinden der Cha¬
raktere dem gebildeten Zuschauer nicht im Gegensatz erscheine zu den ihm wol
bekannten Befangenheiten und Eigenthümlichkeiten des Seelenlebens der alten
Zeit. Die jungen Dichter verlciyen ihren Helden leicht ein Verständniß der eige¬
nen Zeit, eine Gewandtheit, über die höchsten Angelegenheiten derselben zu
Philosophiren, und vor allem solche Gesichtspunkte, wie sie aus modernen histo¬
rischen Werken geläufig sind. Es ist unbequem, einen alten Kaiser des frän¬
kischen oder hohenstaufischen Hauses so bewußt, zwcckvoll und weise die
Tendenzen seiner Zeit ausdrücken zu hören, wie etwa Stenzcl und Raumer
diese dargestellt haben. Nicht weniger gefährlich aber ist die entgegengesetzte
Versuchung, in welche der Dichter durch das Bestreben kommt, die Eigen¬
thümlichkeiten der Vergangenheit lebendig zu erfassen; leicht erscheint ihm
dann das Besondere, von unserm Wesen Abweichende der alten Zeit als
das Charakteristische und deshalb für seine Kunst Wirksame. Dann ist er in
Gefahr, das unmittelbare Interesse, welches wir an dem schnell Verständlichen,
allgemein Menschlichen nehmen, zu verdecken, und in der noch größern Gefahr,
den Verlauf seiner Handlung auszubauen auf Absonderlichkeiten jener Ver¬
gangenheit, auf Vergängliches, welches in der Kunst den Eindruck des Zufäl¬
ligen und Willkürlichen macht. Es ist jedem historischen Stoff gegenüber nicht
ganz leicht, zwischen solchen Gefahren durchzustellen,.

Und doch bleibt in einem historischen Stück oft ein unvermeidlicher Gegen¬
satz zwischen den dramatisch zugerichteten Charakteren und der dramatisch zu¬
gerichteten Handlung. Es lohnt bei diesem bcdeiMichen Punkt zu verweilen.
Da der moderne Dichter bei historischen Stoffen allerdings die Verpflichtung hat,
sorgfältig auf das zu.achten, was wir Farbe und Costüm der Zeit nennen, und da
nicht nur die Charaktere, sondern auch die Handlung aus entfernter Zeit genom¬
men sind, so wird sicher auch in der Idee des Stückes und der Handlung, in den


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[0194] Leicht ist die Vorschrift gegeben, daß der dramatische Charakter wahr sein müsse, daß nämlich die einzelnen Lebensmomente desselben mit einander in Harmonie stehen und als zusammengehörig empfunden werden, daß ferner der Charakter dem Ganzen der Handlung auch in Beziehung aus Farbe und Costüm genau entspreche. Aber solche Regel wird, so allgemein ausgedrückt, dem modernen Dichter in vielen Füllen keinen Nutzen gewahren, wo ihm der Gegensatz zwischen den letzten Bedürfnissen seiner Kunst und der historischen selbst mancher poetischen Wahrheit geheime Schwierigkeiten bereitet. Allerdings versteht sich, daß auch der Dichter die Ueberlieferungen der Ge¬ schichte treu bewahren wird, wo sie ihm nützen, und wo sie ihn nicht stören. Denn unsere Zeit, so fortgeschritten in historischer Bildung und in der Kenntniß früherer Culturverhältnisse, controllirt auch die historische Bildung ihrer Drama¬ tiker. Der Dichter soll sich hüten, zunächst, daß er seinen Helden nicht zu wenig von dem Inhalte chrer Zeit gebe und daß ein modernes Empfinden der Cha¬ raktere dem gebildeten Zuschauer nicht im Gegensatz erscheine zu den ihm wol bekannten Befangenheiten und Eigenthümlichkeiten des Seelenlebens der alten Zeit. Die jungen Dichter verlciyen ihren Helden leicht ein Verständniß der eige¬ nen Zeit, eine Gewandtheit, über die höchsten Angelegenheiten derselben zu Philosophiren, und vor allem solche Gesichtspunkte, wie sie aus modernen histo¬ rischen Werken geläufig sind. Es ist unbequem, einen alten Kaiser des frän¬ kischen oder hohenstaufischen Hauses so bewußt, zwcckvoll und weise die Tendenzen seiner Zeit ausdrücken zu hören, wie etwa Stenzcl und Raumer diese dargestellt haben. Nicht weniger gefährlich aber ist die entgegengesetzte Versuchung, in welche der Dichter durch das Bestreben kommt, die Eigen¬ thümlichkeiten der Vergangenheit lebendig zu erfassen; leicht erscheint ihm dann das Besondere, von unserm Wesen Abweichende der alten Zeit als das Charakteristische und deshalb für seine Kunst Wirksame. Dann ist er in Gefahr, das unmittelbare Interesse, welches wir an dem schnell Verständlichen, allgemein Menschlichen nehmen, zu verdecken, und in der noch größern Gefahr, den Verlauf seiner Handlung auszubauen auf Absonderlichkeiten jener Ver¬ gangenheit, auf Vergängliches, welches in der Kunst den Eindruck des Zufäl¬ ligen und Willkürlichen macht. Es ist jedem historischen Stoff gegenüber nicht ganz leicht, zwischen solchen Gefahren durchzustellen,. Und doch bleibt in einem historischen Stück oft ein unvermeidlicher Gegen¬ satz zwischen den dramatisch zugerichteten Charakteren und der dramatisch zu¬ gerichteten Handlung. Es lohnt bei diesem bcdeiMichen Punkt zu verweilen. Da der moderne Dichter bei historischen Stoffen allerdings die Verpflichtung hat, sorgfältig auf das zu.achten, was wir Farbe und Costüm der Zeit nennen, und da nicht nur die Charaktere, sondern auch die Handlung aus entfernter Zeit genom¬ men sind, so wird sicher auch in der Idee des Stückes und der Handlung, in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/194>, abgerufen am 22.07.2024.