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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Gott, der du durch das geduldige Leiden deines Sohnes den Hochmuth des
alten Feindes gebrochen hast, verleihe deinem Diener die nöthige Geduld,
um mit frommer Ergebung das Uebel zu tragen, welches auf ihm lastet.
Amen."

Selbstverständlich war ein derartiger Leprose bürgerlich todt. Der Aus-
sähige.konnte weder ein Lehen empfangen, noch vor Gericht als Zeuge auf¬
treten, konnte weder herausfordern, noch gefordert werden. Er selbst konnte
nichts mehr erben, sondern nur seine Angehörigen. Besaß er ein vor der Abson¬
derung verfallenes Erbe, so war ihm nur die Nutznießung gestattet, das Ver¬
äußerungsrecht aber entzogen.

Es kam im Mittelalter aber auch vor, daß Gesunde die Kleidung dieser
Leute wählten, um sich unkenntlich zu machen oder andere Zwecke dadurch zu
erreichen. So ist in der Chronik des baslerischcn Kaplans Knebel zu lesen,
daß in dieser Periode, dem goldenen Zeitalter des Strvlchenthums. auch
"Jungfrowen umbgingen. ti do Kleffloten tragen, als ob sy ussetzig weren,
was doch nit ist." Wie es damals fahrende (reisende) Ritter, fahrende Schü¬
ler und Aerzte gab, so waren auch stets fahrende (offene) Frauen und Bettler
auf den Straßen. Die damaligen kriegerischen Zeiten, das Einwandern der
Zigeuner und manche andere Ursache brachten das Bettel- und Vagantenwesen
in einen nie gesehenen Flor. Es ging demnach das Streben der meisten
Städte dahin, dafür zu sorgen, daß. wo Siechenhäuser waren, die Kranken
darin zurückgehalten wurden. Um dem Herumschweifen derselben zu steuern,
sah man sich an verschiedenen Orten veranlaßt, den Zöllnern und Schiffleuten
ju gebieten, derlei fahrende Leprosen nicht über die Grenze oder einen Fluß
zulassen..

Als das fünfzehnte Jahrhundert sich zum Ende neigte, nahm dieses schreck¬
liche Uebel nach und "nach ab. Aus den Wohnungen der Leprosen wurden
wieder andere Spitäler, Correctionshäuser und Beschäftigungsanstalten. Noch
ZU Anfang dieses Jahrhunderts aber wurden in der. Schweiz, in Oberschwaben
und am Rhein als vereinzelte Erscheinungen wandernde Leprosen gesehen.
Sie erschienen in dunkle, schwarze oder graue Mäntel gehüllt, die etwas über
die Knie hinabreichten, mit der Klapper in der Hand. Weibliche Siechen
trugen um dieje Zeit mehrentheils Harzmäntelchen bis ungefähr an die Hüfte
und einen dunklen Rock. Ihre Anwesenheit gaben sie nicht durch Sprechen,
sondern durch Klappern kund. Auch mußten sie sich beim Begegnen mit ^Ge¬
sunden gegen den Wind stellen und die Mitte der Straße einhalten. Kinder
ließ man niemals > in ihre Nähe und das Almosen wurde ihnen vor die
Hauser gebracht und an schicklicher Stelle für sie hingelegt. Als besonders
gnadenwirkend wurden die "drei weißen Almosen" gehalten. Dieselben bestan¬
den in Mehl. Milch und Eiern.


Grenzboten II. 18"1. 20

Gott, der du durch das geduldige Leiden deines Sohnes den Hochmuth des
alten Feindes gebrochen hast, verleihe deinem Diener die nöthige Geduld,
um mit frommer Ergebung das Uebel zu tragen, welches auf ihm lastet.
Amen."

Selbstverständlich war ein derartiger Leprose bürgerlich todt. Der Aus-
sähige.konnte weder ein Lehen empfangen, noch vor Gericht als Zeuge auf¬
treten, konnte weder herausfordern, noch gefordert werden. Er selbst konnte
nichts mehr erben, sondern nur seine Angehörigen. Besaß er ein vor der Abson¬
derung verfallenes Erbe, so war ihm nur die Nutznießung gestattet, das Ver¬
äußerungsrecht aber entzogen.

Es kam im Mittelalter aber auch vor, daß Gesunde die Kleidung dieser
Leute wählten, um sich unkenntlich zu machen oder andere Zwecke dadurch zu
erreichen. So ist in der Chronik des baslerischcn Kaplans Knebel zu lesen,
daß in dieser Periode, dem goldenen Zeitalter des Strvlchenthums. auch
»Jungfrowen umbgingen. ti do Kleffloten tragen, als ob sy ussetzig weren,
was doch nit ist." Wie es damals fahrende (reisende) Ritter, fahrende Schü¬
ler und Aerzte gab, so waren auch stets fahrende (offene) Frauen und Bettler
auf den Straßen. Die damaligen kriegerischen Zeiten, das Einwandern der
Zigeuner und manche andere Ursache brachten das Bettel- und Vagantenwesen
in einen nie gesehenen Flor. Es ging demnach das Streben der meisten
Städte dahin, dafür zu sorgen, daß. wo Siechenhäuser waren, die Kranken
darin zurückgehalten wurden. Um dem Herumschweifen derselben zu steuern,
sah man sich an verschiedenen Orten veranlaßt, den Zöllnern und Schiffleuten
ju gebieten, derlei fahrende Leprosen nicht über die Grenze oder einen Fluß
zulassen..

Als das fünfzehnte Jahrhundert sich zum Ende neigte, nahm dieses schreck¬
liche Uebel nach und »nach ab. Aus den Wohnungen der Leprosen wurden
wieder andere Spitäler, Correctionshäuser und Beschäftigungsanstalten. Noch
ZU Anfang dieses Jahrhunderts aber wurden in der. Schweiz, in Oberschwaben
und am Rhein als vereinzelte Erscheinungen wandernde Leprosen gesehen.
Sie erschienen in dunkle, schwarze oder graue Mäntel gehüllt, die etwas über
die Knie hinabreichten, mit der Klapper in der Hand. Weibliche Siechen
trugen um dieje Zeit mehrentheils Harzmäntelchen bis ungefähr an die Hüfte
und einen dunklen Rock. Ihre Anwesenheit gaben sie nicht durch Sprechen,
sondern durch Klappern kund. Auch mußten sie sich beim Begegnen mit ^Ge¬
sunden gegen den Wind stellen und die Mitte der Straße einhalten. Kinder
ließ man niemals > in ihre Nähe und das Almosen wurde ihnen vor die
Hauser gebracht und an schicklicher Stelle für sie hingelegt. Als besonders
gnadenwirkend wurden die „drei weißen Almosen" gehalten. Dieselben bestan¬
den in Mehl. Milch und Eiern.


Grenzboten II. 18«1. 20
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[0163] Gott, der du durch das geduldige Leiden deines Sohnes den Hochmuth des alten Feindes gebrochen hast, verleihe deinem Diener die nöthige Geduld, um mit frommer Ergebung das Uebel zu tragen, welches auf ihm lastet. Amen." Selbstverständlich war ein derartiger Leprose bürgerlich todt. Der Aus- sähige.konnte weder ein Lehen empfangen, noch vor Gericht als Zeuge auf¬ treten, konnte weder herausfordern, noch gefordert werden. Er selbst konnte nichts mehr erben, sondern nur seine Angehörigen. Besaß er ein vor der Abson¬ derung verfallenes Erbe, so war ihm nur die Nutznießung gestattet, das Ver¬ äußerungsrecht aber entzogen. Es kam im Mittelalter aber auch vor, daß Gesunde die Kleidung dieser Leute wählten, um sich unkenntlich zu machen oder andere Zwecke dadurch zu erreichen. So ist in der Chronik des baslerischcn Kaplans Knebel zu lesen, daß in dieser Periode, dem goldenen Zeitalter des Strvlchenthums. auch »Jungfrowen umbgingen. ti do Kleffloten tragen, als ob sy ussetzig weren, was doch nit ist." Wie es damals fahrende (reisende) Ritter, fahrende Schü¬ ler und Aerzte gab, so waren auch stets fahrende (offene) Frauen und Bettler auf den Straßen. Die damaligen kriegerischen Zeiten, das Einwandern der Zigeuner und manche andere Ursache brachten das Bettel- und Vagantenwesen in einen nie gesehenen Flor. Es ging demnach das Streben der meisten Städte dahin, dafür zu sorgen, daß. wo Siechenhäuser waren, die Kranken darin zurückgehalten wurden. Um dem Herumschweifen derselben zu steuern, sah man sich an verschiedenen Orten veranlaßt, den Zöllnern und Schiffleuten ju gebieten, derlei fahrende Leprosen nicht über die Grenze oder einen Fluß zulassen.. Als das fünfzehnte Jahrhundert sich zum Ende neigte, nahm dieses schreck¬ liche Uebel nach und »nach ab. Aus den Wohnungen der Leprosen wurden wieder andere Spitäler, Correctionshäuser und Beschäftigungsanstalten. Noch ZU Anfang dieses Jahrhunderts aber wurden in der. Schweiz, in Oberschwaben und am Rhein als vereinzelte Erscheinungen wandernde Leprosen gesehen. Sie erschienen in dunkle, schwarze oder graue Mäntel gehüllt, die etwas über die Knie hinabreichten, mit der Klapper in der Hand. Weibliche Siechen trugen um dieje Zeit mehrentheils Harzmäntelchen bis ungefähr an die Hüfte und einen dunklen Rock. Ihre Anwesenheit gaben sie nicht durch Sprechen, sondern durch Klappern kund. Auch mußten sie sich beim Begegnen mit ^Ge¬ sunden gegen den Wind stellen und die Mitte der Straße einhalten. Kinder ließ man niemals > in ihre Nähe und das Almosen wurde ihnen vor die Hauser gebracht und an schicklicher Stelle für sie hingelegt. Als besonders gnadenwirkend wurden die „drei weißen Almosen" gehalten. Dieselben bestan¬ den in Mehl. Milch und Eiern. Grenzboten II. 18«1. 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/163>, abgerufen am 01.07.2024.