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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Pläne Mondains und Orellis wieder hervorsuchen, ordnete die Einführung
des Landwehrsystems an, verdoppelte die Thätigkeit in der Kanonengießcrei,
dem Laboratorium und den militärischen Werkstätten und verstärkte und re¬
organisierte das stehende Heer. Er schüttelte ferner den Einfluß der Consuln
Oestreichs und Rußlands völlig von sich ab, begünstigte die Errichtung einer
französisch-serbischen Donau-Dampfschifffahrtsgesellschaft, die er zu seinen
Zwecken benutzen zu können hoffte, und veranlaßte, daß die seit Jahren in
Belgien bestellten, aber wegen mangelnder Durchfuhrcrlaubniß nicht expedir-
ten Waffen unter englischer Flagge über Marseille und Konstantinopel nach
Serbien gebracht würden, was in der That geschah. Fortwährend verkehrten
Deputationen aus Montenegro, Bosnien und Bulgarien mit Milosch, und
es leidet keinen Zweifel, daß derselbe, als der Krieg mit Oestreich ausgebrochen
und die Schlacht bei Magenta gewonnen war. im Begriff stand, den Rajah
der Türkei das Zeichen zum Losbrechen gegen die Pforte zu geben. Um
Pfingsten 1859 erwartete in Konstantinopel, wie wir uns selbst überzeugten,
Jedermann das Losschlagen der Serben. Der Friede von Villafranca änderte
die Lage der Dinge, und man mußte sich abermals entschließen, die Revolution
zu vertagen. Inzwischen starb Milosch. aber die Partei, die ihn erhoben,
lebt fort, und sein Sohn und Nachfolger ist zwar kein so energischer Charak¬
ter wie der Vater, aber immerhin befähigter und willenskräftiger als Alexan¬
der, überdies ehrgeizig und schon deshalb der nationalen Partei geneigt.

Hat der jetzt im Westen der illyrischen Halbinsel entbrannte Kampf Erfolg,
und kommt es zu einem neuen Krieg zwischen Oestreich und Italien, so kann
man fast mit Bestimmtheit darauf rechnen, daß Serbien der Pforte ebenfalls
den Krieg erklären wird. Die Mittel dazu find in genügendem Maß vorhan¬
den. Von Kindheit auf mit den Waffen vertraut, ist jeder Serbe über 18
Jahre, wenn kein Soldat, doch ein Krieger, der zum kleinen Krieg zu verwen¬
den ist, und wenn sich die waffenfähige Mannschaft des Landes auch gewiß
nicht auf annähernd 200,000 Köpfe beläuft, wie die Denkschrift meint, so
werden die vorhandenen Streitkräfte doch sehr wahrscheinlich hinreichen, einer
türkischen Armee von 30 bis 40,000 Mann die Spitze zu bieten. Das regel¬
mäßige Heer des Fürstenthums bestand bis 1858 aus 2000 Mann Infanterie,
200 Reitern und einer sechspfündigen Feldbatterie. Milosch erhöhte diesen
Stamm regulärer Truppen auf 5000 Mann zu Fuß, 300 zu Pferde und 3
Batterien und gab zugleich Befehl, die Errichtung einer regelmäßigen Land¬
wehr von 50,000 Mann zu beschleunigen, die in diesem Augenblicke von den
in der serbischen Militärakademie gebildeten Offizieren eingeübt wird und an
Bedürfnißlosigkeit und Befähigung zum Ertragen von Strapazen zu den beste"
Truppen der Welt gehören dürfte, wenn sie auch mit den Soldaten von Cul¬
turländern kaum einen Vergleich aushalten wird. An Waffen mangelt es


Pläne Mondains und Orellis wieder hervorsuchen, ordnete die Einführung
des Landwehrsystems an, verdoppelte die Thätigkeit in der Kanonengießcrei,
dem Laboratorium und den militärischen Werkstätten und verstärkte und re¬
organisierte das stehende Heer. Er schüttelte ferner den Einfluß der Consuln
Oestreichs und Rußlands völlig von sich ab, begünstigte die Errichtung einer
französisch-serbischen Donau-Dampfschifffahrtsgesellschaft, die er zu seinen
Zwecken benutzen zu können hoffte, und veranlaßte, daß die seit Jahren in
Belgien bestellten, aber wegen mangelnder Durchfuhrcrlaubniß nicht expedir-
ten Waffen unter englischer Flagge über Marseille und Konstantinopel nach
Serbien gebracht würden, was in der That geschah. Fortwährend verkehrten
Deputationen aus Montenegro, Bosnien und Bulgarien mit Milosch, und
es leidet keinen Zweifel, daß derselbe, als der Krieg mit Oestreich ausgebrochen
und die Schlacht bei Magenta gewonnen war. im Begriff stand, den Rajah
der Türkei das Zeichen zum Losbrechen gegen die Pforte zu geben. Um
Pfingsten 1859 erwartete in Konstantinopel, wie wir uns selbst überzeugten,
Jedermann das Losschlagen der Serben. Der Friede von Villafranca änderte
die Lage der Dinge, und man mußte sich abermals entschließen, die Revolution
zu vertagen. Inzwischen starb Milosch. aber die Partei, die ihn erhoben,
lebt fort, und sein Sohn und Nachfolger ist zwar kein so energischer Charak¬
ter wie der Vater, aber immerhin befähigter und willenskräftiger als Alexan¬
der, überdies ehrgeizig und schon deshalb der nationalen Partei geneigt.

Hat der jetzt im Westen der illyrischen Halbinsel entbrannte Kampf Erfolg,
und kommt es zu einem neuen Krieg zwischen Oestreich und Italien, so kann
man fast mit Bestimmtheit darauf rechnen, daß Serbien der Pforte ebenfalls
den Krieg erklären wird. Die Mittel dazu find in genügendem Maß vorhan¬
den. Von Kindheit auf mit den Waffen vertraut, ist jeder Serbe über 18
Jahre, wenn kein Soldat, doch ein Krieger, der zum kleinen Krieg zu verwen¬
den ist, und wenn sich die waffenfähige Mannschaft des Landes auch gewiß
nicht auf annähernd 200,000 Köpfe beläuft, wie die Denkschrift meint, so
werden die vorhandenen Streitkräfte doch sehr wahrscheinlich hinreichen, einer
türkischen Armee von 30 bis 40,000 Mann die Spitze zu bieten. Das regel¬
mäßige Heer des Fürstenthums bestand bis 1858 aus 2000 Mann Infanterie,
200 Reitern und einer sechspfündigen Feldbatterie. Milosch erhöhte diesen
Stamm regulärer Truppen auf 5000 Mann zu Fuß, 300 zu Pferde und 3
Batterien und gab zugleich Befehl, die Errichtung einer regelmäßigen Land¬
wehr von 50,000 Mann zu beschleunigen, die in diesem Augenblicke von den
in der serbischen Militärakademie gebildeten Offizieren eingeübt wird und an
Bedürfnißlosigkeit und Befähigung zum Ertragen von Strapazen zu den beste»
Truppen der Welt gehören dürfte, wenn sie auch mit den Soldaten von Cul¬
turländern kaum einen Vergleich aushalten wird. An Waffen mangelt es


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[0142] Pläne Mondains und Orellis wieder hervorsuchen, ordnete die Einführung des Landwehrsystems an, verdoppelte die Thätigkeit in der Kanonengießcrei, dem Laboratorium und den militärischen Werkstätten und verstärkte und re¬ organisierte das stehende Heer. Er schüttelte ferner den Einfluß der Consuln Oestreichs und Rußlands völlig von sich ab, begünstigte die Errichtung einer französisch-serbischen Donau-Dampfschifffahrtsgesellschaft, die er zu seinen Zwecken benutzen zu können hoffte, und veranlaßte, daß die seit Jahren in Belgien bestellten, aber wegen mangelnder Durchfuhrcrlaubniß nicht expedir- ten Waffen unter englischer Flagge über Marseille und Konstantinopel nach Serbien gebracht würden, was in der That geschah. Fortwährend verkehrten Deputationen aus Montenegro, Bosnien und Bulgarien mit Milosch, und es leidet keinen Zweifel, daß derselbe, als der Krieg mit Oestreich ausgebrochen und die Schlacht bei Magenta gewonnen war. im Begriff stand, den Rajah der Türkei das Zeichen zum Losbrechen gegen die Pforte zu geben. Um Pfingsten 1859 erwartete in Konstantinopel, wie wir uns selbst überzeugten, Jedermann das Losschlagen der Serben. Der Friede von Villafranca änderte die Lage der Dinge, und man mußte sich abermals entschließen, die Revolution zu vertagen. Inzwischen starb Milosch. aber die Partei, die ihn erhoben, lebt fort, und sein Sohn und Nachfolger ist zwar kein so energischer Charak¬ ter wie der Vater, aber immerhin befähigter und willenskräftiger als Alexan¬ der, überdies ehrgeizig und schon deshalb der nationalen Partei geneigt. Hat der jetzt im Westen der illyrischen Halbinsel entbrannte Kampf Erfolg, und kommt es zu einem neuen Krieg zwischen Oestreich und Italien, so kann man fast mit Bestimmtheit darauf rechnen, daß Serbien der Pforte ebenfalls den Krieg erklären wird. Die Mittel dazu find in genügendem Maß vorhan¬ den. Von Kindheit auf mit den Waffen vertraut, ist jeder Serbe über 18 Jahre, wenn kein Soldat, doch ein Krieger, der zum kleinen Krieg zu verwen¬ den ist, und wenn sich die waffenfähige Mannschaft des Landes auch gewiß nicht auf annähernd 200,000 Köpfe beläuft, wie die Denkschrift meint, so werden die vorhandenen Streitkräfte doch sehr wahrscheinlich hinreichen, einer türkischen Armee von 30 bis 40,000 Mann die Spitze zu bieten. Das regel¬ mäßige Heer des Fürstenthums bestand bis 1858 aus 2000 Mann Infanterie, 200 Reitern und einer sechspfündigen Feldbatterie. Milosch erhöhte diesen Stamm regulärer Truppen auf 5000 Mann zu Fuß, 300 zu Pferde und 3 Batterien und gab zugleich Befehl, die Errichtung einer regelmäßigen Land¬ wehr von 50,000 Mann zu beschleunigen, die in diesem Augenblicke von den in der serbischen Militärakademie gebildeten Offizieren eingeübt wird und an Bedürfnißlosigkeit und Befähigung zum Ertragen von Strapazen zu den beste» Truppen der Welt gehören dürfte, wenn sie auch mit den Soldaten von Cul¬ turländern kaum einen Vergleich aushalten wird. An Waffen mangelt es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/142>, abgerufen am 27.09.2024.