Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sprachen ward. Gab es auch schon einzelne Dialekte, so konnten doch solche
bei der fortwährenden Veränderung der Wohnsitze der einzelnen Nationen nicht
so stabil werden, schliffen sich einander ub und traten weniger schroff wie in
den spätern Zeiten hervor. So konnten sich auch selbst die Gothen. obwol,
wie oben bemerkt, deren Sprache durch die mehr isolirte Stellung des Volkes
wol manches Eigenthümliche angenommen hatte, mit den anderen deutschen
Nationen verständigen, und war dieses selbst noch im Mittelalter der Fall.
Als Rubruquis im 13. Jahrhundert zu dem Mongolen-Chan reiste, kam er
nach der Krim oder dem taurischen Chersones. Hier gibt es. erzählt er.
von Kersowa (Cherson) bis zur Mündung des Tanais (Don) sehr bedeutende
Vorgebirge; südlich von Kersowa, zwischen diesem Hafen und Soldaga, welches
die Niederlage des Pclzwaarenhandels bildet, findet man 40 befestigte Schlös¬
ser, und fast in jedem derselben wird eine andere Sprache gesprochen. Unter
dieser Bevölkerung gibt es viele Gothen, welche den niederdeutschen (hol¬
ländischen) Dialekt sprechen, was Roger Baco übersetzt: IvMuuwi' teu-
tonieum. Ebenso berichtet der Venetianer Josefo Barbara, indem er seinen
sechzehnjähriger Ausenthalt zu Tana (Azow) und den benachbarten Gegenden
beschreibt, daß die Gothen, Alanen oder Asen und die Gotholcmer (Mischvolk
beider Racen) den Landstrich zwischen Capka (Kaffa) und dein Erdil (Wolga)
bewohnten, und daß die Gothen eine Sprache redeten, die sein deut¬
scher Diener eben so leicht verstanden hätte, wie ein Florentiner
den Dialekt von Furto verstände. Ergibt sich nun hieraus, daß die Gothen
und Sachsen sich einer gleichen Sprache bedienten, so differirte dieselbe nicht
wesentlich von der ImZug, wutomeg, der Franken und Langobarden, und wurde
von allen deutscheu Völkern verstanden. Es heißt in den Lorscher Annalen:
"Im Jahr 788 berief König Karl eine Versammlung auf sein Gut Jngilen-
heim (Ingelheim). Daselbst erschien Thassilo. Und die Getreuen aus Baiern
hoben an: Thassilo bewahre nicht die gelobte Treue. Als er dessen über¬
wiesen war, da gedachten die Franken und Baiern, die Langobarden und
Sachsen und alle, welche aus den verschiedenen Ländern auf dieser Versamm¬
lung erschienen waren, seiner früheren Uebelthaten, und wie er (im Jahre 763)
den König Pipin im Felde verlassen, was in deutscher Sprache Harisliz
(Heeresverlassung) heißt." Also in deutscher Sprache wurde bei der Reichs¬
versammlung verhandelt, und sie war allen Kaiser Karl unterworfenen
germanischen Völkern bekannt. Wie Hütte auch die Verhandlung über einen
Gegenstand, den alle Anwesenden kannten, und wo Alle die gleiche Ueber¬
zeugung erhielten, in einer anderen Sprache geführt werden können, die vielen
der Gegenwärtigen unbekannt sein mußte. Selbst die Mehrzahl der Geistlichen
sprach nur deutsch. "Es wurde, lesen wir bei Richer im Jahre 948, auf Be¬
fehl des Papstes Agapit eine allgemeine Kirchenversammlung in der Pfalz zu


sprachen ward. Gab es auch schon einzelne Dialekte, so konnten doch solche
bei der fortwährenden Veränderung der Wohnsitze der einzelnen Nationen nicht
so stabil werden, schliffen sich einander ub und traten weniger schroff wie in
den spätern Zeiten hervor. So konnten sich auch selbst die Gothen. obwol,
wie oben bemerkt, deren Sprache durch die mehr isolirte Stellung des Volkes
wol manches Eigenthümliche angenommen hatte, mit den anderen deutschen
Nationen verständigen, und war dieses selbst noch im Mittelalter der Fall.
Als Rubruquis im 13. Jahrhundert zu dem Mongolen-Chan reiste, kam er
nach der Krim oder dem taurischen Chersones. Hier gibt es. erzählt er.
von Kersowa (Cherson) bis zur Mündung des Tanais (Don) sehr bedeutende
Vorgebirge; südlich von Kersowa, zwischen diesem Hafen und Soldaga, welches
die Niederlage des Pclzwaarenhandels bildet, findet man 40 befestigte Schlös¬
ser, und fast in jedem derselben wird eine andere Sprache gesprochen. Unter
dieser Bevölkerung gibt es viele Gothen, welche den niederdeutschen (hol¬
ländischen) Dialekt sprechen, was Roger Baco übersetzt: IvMuuwi' teu-
tonieum. Ebenso berichtet der Venetianer Josefo Barbara, indem er seinen
sechzehnjähriger Ausenthalt zu Tana (Azow) und den benachbarten Gegenden
beschreibt, daß die Gothen, Alanen oder Asen und die Gotholcmer (Mischvolk
beider Racen) den Landstrich zwischen Capka (Kaffa) und dein Erdil (Wolga)
bewohnten, und daß die Gothen eine Sprache redeten, die sein deut¬
scher Diener eben so leicht verstanden hätte, wie ein Florentiner
den Dialekt von Furto verstände. Ergibt sich nun hieraus, daß die Gothen
und Sachsen sich einer gleichen Sprache bedienten, so differirte dieselbe nicht
wesentlich von der ImZug, wutomeg, der Franken und Langobarden, und wurde
von allen deutscheu Völkern verstanden. Es heißt in den Lorscher Annalen:
„Im Jahr 788 berief König Karl eine Versammlung auf sein Gut Jngilen-
heim (Ingelheim). Daselbst erschien Thassilo. Und die Getreuen aus Baiern
hoben an: Thassilo bewahre nicht die gelobte Treue. Als er dessen über¬
wiesen war, da gedachten die Franken und Baiern, die Langobarden und
Sachsen und alle, welche aus den verschiedenen Ländern auf dieser Versamm¬
lung erschienen waren, seiner früheren Uebelthaten, und wie er (im Jahre 763)
den König Pipin im Felde verlassen, was in deutscher Sprache Harisliz
(Heeresverlassung) heißt." Also in deutscher Sprache wurde bei der Reichs¬
versammlung verhandelt, und sie war allen Kaiser Karl unterworfenen
germanischen Völkern bekannt. Wie Hütte auch die Verhandlung über einen
Gegenstand, den alle Anwesenden kannten, und wo Alle die gleiche Ueber¬
zeugung erhielten, in einer anderen Sprache geführt werden können, die vielen
der Gegenwärtigen unbekannt sein mußte. Selbst die Mehrzahl der Geistlichen
sprach nur deutsch. „Es wurde, lesen wir bei Richer im Jahre 948, auf Be¬
fehl des Papstes Agapit eine allgemeine Kirchenversammlung in der Pfalz zu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0103" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111535"/>
            <p xml:id="ID_294" prev="#ID_293" next="#ID_295"> sprachen ward. Gab es auch schon einzelne Dialekte, so konnten doch solche<lb/>
bei der fortwährenden Veränderung der Wohnsitze der einzelnen Nationen nicht<lb/>
so stabil werden, schliffen sich einander ub und traten weniger schroff wie in<lb/>
den spätern Zeiten hervor. So konnten sich auch selbst die Gothen. obwol,<lb/>
wie oben bemerkt, deren Sprache durch die mehr isolirte Stellung des Volkes<lb/>
wol manches Eigenthümliche angenommen hatte, mit den anderen deutschen<lb/>
Nationen verständigen, und war dieses selbst noch im Mittelalter der Fall.<lb/>
Als Rubruquis im 13. Jahrhundert zu dem Mongolen-Chan reiste, kam er<lb/>
nach der Krim oder dem taurischen Chersones. Hier gibt es. erzählt er.<lb/>
von Kersowa (Cherson) bis zur Mündung des Tanais (Don) sehr bedeutende<lb/>
Vorgebirge; südlich von Kersowa, zwischen diesem Hafen und Soldaga, welches<lb/>
die Niederlage des Pclzwaarenhandels bildet, findet man 40 befestigte Schlös¬<lb/>
ser, und fast in jedem derselben wird eine andere Sprache gesprochen. Unter<lb/>
dieser Bevölkerung gibt es viele Gothen, welche den niederdeutschen (hol¬<lb/>
ländischen) Dialekt sprechen, was Roger Baco übersetzt: IvMuuwi' teu-<lb/>
tonieum. Ebenso berichtet der Venetianer Josefo Barbara, indem er seinen<lb/>
sechzehnjähriger Ausenthalt zu Tana (Azow) und den benachbarten Gegenden<lb/>
beschreibt, daß die Gothen, Alanen oder Asen und die Gotholcmer (Mischvolk<lb/>
beider Racen) den Landstrich zwischen Capka (Kaffa) und dein Erdil (Wolga)<lb/>
bewohnten, und daß die Gothen eine Sprache redeten, die sein deut¬<lb/>
scher Diener eben so leicht verstanden hätte, wie ein Florentiner<lb/>
den Dialekt von Furto verstände. Ergibt sich nun hieraus, daß die Gothen<lb/>
und Sachsen sich einer gleichen Sprache bedienten, so differirte dieselbe nicht<lb/>
wesentlich von der ImZug, wutomeg, der Franken und Langobarden, und wurde<lb/>
von allen deutscheu Völkern verstanden. Es heißt in den Lorscher Annalen:<lb/>
&#x201E;Im Jahr 788 berief König Karl eine Versammlung auf sein Gut Jngilen-<lb/>
heim (Ingelheim). Daselbst erschien Thassilo. Und die Getreuen aus Baiern<lb/>
hoben an: Thassilo bewahre nicht die gelobte Treue. Als er dessen über¬<lb/>
wiesen war, da gedachten die Franken und Baiern, die Langobarden und<lb/>
Sachsen und alle, welche aus den verschiedenen Ländern auf dieser Versamm¬<lb/>
lung erschienen waren, seiner früheren Uebelthaten, und wie er (im Jahre 763)<lb/>
den König Pipin im Felde verlassen, was in deutscher Sprache Harisliz<lb/>
(Heeresverlassung) heißt." Also in deutscher Sprache wurde bei der Reichs¬<lb/>
versammlung verhandelt, und sie war allen Kaiser Karl unterworfenen<lb/>
germanischen Völkern bekannt. Wie Hütte auch die Verhandlung über einen<lb/>
Gegenstand, den alle Anwesenden kannten, und wo Alle die gleiche Ueber¬<lb/>
zeugung erhielten, in einer anderen Sprache geführt werden können, die vielen<lb/>
der Gegenwärtigen unbekannt sein mußte. Selbst die Mehrzahl der Geistlichen<lb/>
sprach nur deutsch. &#x201E;Es wurde, lesen wir bei Richer im Jahre 948, auf Be¬<lb/>
fehl des Papstes Agapit eine allgemeine Kirchenversammlung in der Pfalz zu</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0103] sprachen ward. Gab es auch schon einzelne Dialekte, so konnten doch solche bei der fortwährenden Veränderung der Wohnsitze der einzelnen Nationen nicht so stabil werden, schliffen sich einander ub und traten weniger schroff wie in den spätern Zeiten hervor. So konnten sich auch selbst die Gothen. obwol, wie oben bemerkt, deren Sprache durch die mehr isolirte Stellung des Volkes wol manches Eigenthümliche angenommen hatte, mit den anderen deutschen Nationen verständigen, und war dieses selbst noch im Mittelalter der Fall. Als Rubruquis im 13. Jahrhundert zu dem Mongolen-Chan reiste, kam er nach der Krim oder dem taurischen Chersones. Hier gibt es. erzählt er. von Kersowa (Cherson) bis zur Mündung des Tanais (Don) sehr bedeutende Vorgebirge; südlich von Kersowa, zwischen diesem Hafen und Soldaga, welches die Niederlage des Pclzwaarenhandels bildet, findet man 40 befestigte Schlös¬ ser, und fast in jedem derselben wird eine andere Sprache gesprochen. Unter dieser Bevölkerung gibt es viele Gothen, welche den niederdeutschen (hol¬ ländischen) Dialekt sprechen, was Roger Baco übersetzt: IvMuuwi' teu- tonieum. Ebenso berichtet der Venetianer Josefo Barbara, indem er seinen sechzehnjähriger Ausenthalt zu Tana (Azow) und den benachbarten Gegenden beschreibt, daß die Gothen, Alanen oder Asen und die Gotholcmer (Mischvolk beider Racen) den Landstrich zwischen Capka (Kaffa) und dein Erdil (Wolga) bewohnten, und daß die Gothen eine Sprache redeten, die sein deut¬ scher Diener eben so leicht verstanden hätte, wie ein Florentiner den Dialekt von Furto verstände. Ergibt sich nun hieraus, daß die Gothen und Sachsen sich einer gleichen Sprache bedienten, so differirte dieselbe nicht wesentlich von der ImZug, wutomeg, der Franken und Langobarden, und wurde von allen deutscheu Völkern verstanden. Es heißt in den Lorscher Annalen: „Im Jahr 788 berief König Karl eine Versammlung auf sein Gut Jngilen- heim (Ingelheim). Daselbst erschien Thassilo. Und die Getreuen aus Baiern hoben an: Thassilo bewahre nicht die gelobte Treue. Als er dessen über¬ wiesen war, da gedachten die Franken und Baiern, die Langobarden und Sachsen und alle, welche aus den verschiedenen Ländern auf dieser Versamm¬ lung erschienen waren, seiner früheren Uebelthaten, und wie er (im Jahre 763) den König Pipin im Felde verlassen, was in deutscher Sprache Harisliz (Heeresverlassung) heißt." Also in deutscher Sprache wurde bei der Reichs¬ versammlung verhandelt, und sie war allen Kaiser Karl unterworfenen germanischen Völkern bekannt. Wie Hütte auch die Verhandlung über einen Gegenstand, den alle Anwesenden kannten, und wo Alle die gleiche Ueber¬ zeugung erhielten, in einer anderen Sprache geführt werden können, die vielen der Gegenwärtigen unbekannt sein mußte. Selbst die Mehrzahl der Geistlichen sprach nur deutsch. „Es wurde, lesen wir bei Richer im Jahre 948, auf Be¬ fehl des Papstes Agapit eine allgemeine Kirchenversammlung in der Pfalz zu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/103
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/103>, abgerufen am 02.07.2024.