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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Ingelheim abgehalten. Erzbischof Artold zeigte ein Schreiben vor, welches
der Papst ganz kürzlich an ihn erlassen. Dieses Schreiben ward übersetzt.
Flodoard sagt ausdrücklich, daß der Brief an die beiden Könige (Otto und
Ludwig) in die deutsche Sprache übersetzt wurde. Diese deutsche Sprache
redete auch Kaiser Karl mit seinen Franken, und Einhard im Leben Kaiser
Karls versichert, daß sich dieser große Fürst nicht mit seiner Muttersprache
begnügt, sondern auch auf die Erlernung fremder Sprachen großen Fleiß ver¬
wendet gehabt, namentlich hätte er es im Lateinischen so weit gebracht, daß
er es wie deutsch gesprochen; auch ließ er die uralten deutschen Lieder, in
denen die Thaten und Kriege der alten Könige besungen waren, aufschreiben,
um sie unvergeßlich zu erhalten, und begann sogar eine deutsche Grammatik
zu schreiben. Diese letztere muß zur Zeit des Abtes Tritheim noch existirt
haben, denn er erzählt, daß er einen Theil dieser Grammatik mit so seltsamen
Buchstaben gefunden habe, daß sie Niemand habe weder lesen noch verstehen
können.

Der bei den Franken gebräuchliche Sprachdialekt wurde dadurch, daß sie
das herrschende deutsche Volk wurden, welches die andern deutschen Nationen
sich incorporirtc, auch die herrschende Sprache. An dem fränkischen Hofe
ward sie gesprochen sowie bei den späteren deutschen Kaisern, und durch die
Reichstage, welche in verschiedenen deutschen Gauen abgehalten wurden, und
wohin die Deutschen aller Stämme kamen, wurde sie überall bekannt. Sie
erhielt unter dem Namen der althochdeutscher Sprache allgemeine Geltung,
aus welcher sich dann später die mittelhochdeutsche entwickelte, welche endlich
in die jetzige neuhochdeutsche übergegangen ist. Nut die Sachsen verloren erst
unter Karl dem Großen ihre Unabhängigkeit, weshalb sich auch deren Sprach¬
dialekt in seiner Eigenthümlichkeit als niedersächsische Sprache bis aus den
heutigen Tag erhalten.

Während jedoch die Franken germanisch oder deutsch sprachen, redeten
die ihnen unterworfenen Gallier eine Sprache, die, aus dem früheren Gallischen
mit Rudimenten der lateinischen Sprache entstanden und lingug. ruLtioa romava,
auch wol bloß die gallische genannt, die Mutter des heutigen Französisch ge¬
worden ist. So erzählt Richer, daß. als König Karl um 920 nach der Worm-
ser Gau gezogen war, um sich mit dem überrheinischen Heinrich zu besprechen,
während der Verhandlung die jungen Leute der Germanen und Gallier, ärger¬
lich über die Verschiedenheit ihrer Sprache, sich gegenseitig aufdas Hef¬
tigste mit Schmähreden zu reizen begannen. Gleichfalls berichtet Widukind,
daß, als Heinrich, der Bruder des König Otto, und Jselberth (Herzog von >
Lothringen) dem Könige gegenüberstanden, und dieser die Feinde von vorn
und von hinten bedrängte, sich unter den Deutschen Einige befanden, die
etwas gallisch sprechen konnten. Diese erhoben auf gallisch ein lautes Ge-


Ingelheim abgehalten. Erzbischof Artold zeigte ein Schreiben vor, welches
der Papst ganz kürzlich an ihn erlassen. Dieses Schreiben ward übersetzt.
Flodoard sagt ausdrücklich, daß der Brief an die beiden Könige (Otto und
Ludwig) in die deutsche Sprache übersetzt wurde. Diese deutsche Sprache
redete auch Kaiser Karl mit seinen Franken, und Einhard im Leben Kaiser
Karls versichert, daß sich dieser große Fürst nicht mit seiner Muttersprache
begnügt, sondern auch auf die Erlernung fremder Sprachen großen Fleiß ver¬
wendet gehabt, namentlich hätte er es im Lateinischen so weit gebracht, daß
er es wie deutsch gesprochen; auch ließ er die uralten deutschen Lieder, in
denen die Thaten und Kriege der alten Könige besungen waren, aufschreiben,
um sie unvergeßlich zu erhalten, und begann sogar eine deutsche Grammatik
zu schreiben. Diese letztere muß zur Zeit des Abtes Tritheim noch existirt
haben, denn er erzählt, daß er einen Theil dieser Grammatik mit so seltsamen
Buchstaben gefunden habe, daß sie Niemand habe weder lesen noch verstehen
können.

Der bei den Franken gebräuchliche Sprachdialekt wurde dadurch, daß sie
das herrschende deutsche Volk wurden, welches die andern deutschen Nationen
sich incorporirtc, auch die herrschende Sprache. An dem fränkischen Hofe
ward sie gesprochen sowie bei den späteren deutschen Kaisern, und durch die
Reichstage, welche in verschiedenen deutschen Gauen abgehalten wurden, und
wohin die Deutschen aller Stämme kamen, wurde sie überall bekannt. Sie
erhielt unter dem Namen der althochdeutscher Sprache allgemeine Geltung,
aus welcher sich dann später die mittelhochdeutsche entwickelte, welche endlich
in die jetzige neuhochdeutsche übergegangen ist. Nut die Sachsen verloren erst
unter Karl dem Großen ihre Unabhängigkeit, weshalb sich auch deren Sprach¬
dialekt in seiner Eigenthümlichkeit als niedersächsische Sprache bis aus den
heutigen Tag erhalten.

Während jedoch die Franken germanisch oder deutsch sprachen, redeten
die ihnen unterworfenen Gallier eine Sprache, die, aus dem früheren Gallischen
mit Rudimenten der lateinischen Sprache entstanden und lingug. ruLtioa romava,
auch wol bloß die gallische genannt, die Mutter des heutigen Französisch ge¬
worden ist. So erzählt Richer, daß. als König Karl um 920 nach der Worm-
ser Gau gezogen war, um sich mit dem überrheinischen Heinrich zu besprechen,
während der Verhandlung die jungen Leute der Germanen und Gallier, ärger¬
lich über die Verschiedenheit ihrer Sprache, sich gegenseitig aufdas Hef¬
tigste mit Schmähreden zu reizen begannen. Gleichfalls berichtet Widukind,
daß, als Heinrich, der Bruder des König Otto, und Jselberth (Herzog von >
Lothringen) dem Könige gegenüberstanden, und dieser die Feinde von vorn
und von hinten bedrängte, sich unter den Deutschen Einige befanden, die
etwas gallisch sprechen konnten. Diese erhoben auf gallisch ein lautes Ge-


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[0104] Ingelheim abgehalten. Erzbischof Artold zeigte ein Schreiben vor, welches der Papst ganz kürzlich an ihn erlassen. Dieses Schreiben ward übersetzt. Flodoard sagt ausdrücklich, daß der Brief an die beiden Könige (Otto und Ludwig) in die deutsche Sprache übersetzt wurde. Diese deutsche Sprache redete auch Kaiser Karl mit seinen Franken, und Einhard im Leben Kaiser Karls versichert, daß sich dieser große Fürst nicht mit seiner Muttersprache begnügt, sondern auch auf die Erlernung fremder Sprachen großen Fleiß ver¬ wendet gehabt, namentlich hätte er es im Lateinischen so weit gebracht, daß er es wie deutsch gesprochen; auch ließ er die uralten deutschen Lieder, in denen die Thaten und Kriege der alten Könige besungen waren, aufschreiben, um sie unvergeßlich zu erhalten, und begann sogar eine deutsche Grammatik zu schreiben. Diese letztere muß zur Zeit des Abtes Tritheim noch existirt haben, denn er erzählt, daß er einen Theil dieser Grammatik mit so seltsamen Buchstaben gefunden habe, daß sie Niemand habe weder lesen noch verstehen können. Der bei den Franken gebräuchliche Sprachdialekt wurde dadurch, daß sie das herrschende deutsche Volk wurden, welches die andern deutschen Nationen sich incorporirtc, auch die herrschende Sprache. An dem fränkischen Hofe ward sie gesprochen sowie bei den späteren deutschen Kaisern, und durch die Reichstage, welche in verschiedenen deutschen Gauen abgehalten wurden, und wohin die Deutschen aller Stämme kamen, wurde sie überall bekannt. Sie erhielt unter dem Namen der althochdeutscher Sprache allgemeine Geltung, aus welcher sich dann später die mittelhochdeutsche entwickelte, welche endlich in die jetzige neuhochdeutsche übergegangen ist. Nut die Sachsen verloren erst unter Karl dem Großen ihre Unabhängigkeit, weshalb sich auch deren Sprach¬ dialekt in seiner Eigenthümlichkeit als niedersächsische Sprache bis aus den heutigen Tag erhalten. Während jedoch die Franken germanisch oder deutsch sprachen, redeten die ihnen unterworfenen Gallier eine Sprache, die, aus dem früheren Gallischen mit Rudimenten der lateinischen Sprache entstanden und lingug. ruLtioa romava, auch wol bloß die gallische genannt, die Mutter des heutigen Französisch ge¬ worden ist. So erzählt Richer, daß. als König Karl um 920 nach der Worm- ser Gau gezogen war, um sich mit dem überrheinischen Heinrich zu besprechen, während der Verhandlung die jungen Leute der Germanen und Gallier, ärger¬ lich über die Verschiedenheit ihrer Sprache, sich gegenseitig aufdas Hef¬ tigste mit Schmähreden zu reizen begannen. Gleichfalls berichtet Widukind, daß, als Heinrich, der Bruder des König Otto, und Jselberth (Herzog von > Lothringen) dem Könige gegenüberstanden, und dieser die Feinde von vorn und von hinten bedrängte, sich unter den Deutschen Einige befanden, die etwas gallisch sprechen konnten. Diese erhoben auf gallisch ein lautes Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/104>, abgerufen am 01.07.2024.