Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.Schutt herumwühlte, welchen die Aufklärung scheinbar beseitigt, aber nicht Die Literatur drang in die Kreise der Staatsmänner ein, und 1823 Als König Friedrich Wilhelm der Vierte zur Regierung kam, fragte er An sich war es eine fruchtbare Idee von Seiten des Königs, daß er dem Sie fand ihn im Februarpatent 1847. Die sämmtlichen Provinzialstände 65*
Schutt herumwühlte, welchen die Aufklärung scheinbar beseitigt, aber nicht Die Literatur drang in die Kreise der Staatsmänner ein, und 1823 Als König Friedrich Wilhelm der Vierte zur Regierung kam, fragte er An sich war es eine fruchtbare Idee von Seiten des Königs, daß er dem Sie fand ihn im Februarpatent 1847. Die sämmtlichen Provinzialstände 65*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0525" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111419"/> <p xml:id="ID_1759" prev="#ID_1758"> Schutt herumwühlte, welchen die Aufklärung scheinbar beseitigt, aber nicht<lb/> durch ein neues Lebensprincip ersetzt hatte, entdeckte sie unter Andern auch die<lb/> Stände.</p><lb/> <p xml:id="ID_1760"> Die Literatur drang in die Kreise der Staatsmänner ein, und 1823<lb/> wurden in Preußen die Provinzialstände wieder eingeführt: eine Repräsen¬<lb/> tation, in welcher der ritterschaftliche Grundbesitz einzig und allein die entschei¬<lb/> dende Stimme hatte. Für den oberflächlichen Beobachter eine ganz unschäd¬<lb/> liche Einrichtung, da im Großen und Ganzen wirklich der Absolutismus noch<lb/> dazustehen schien wie ein roolivi- von trouve; die Büreaukratie aber wußte<lb/> sehr wohl, an welchen Pfahl sie sich damit gebunden hatte: es war keine Re¬<lb/> form mehr durchzuführen, die den Interessen der Ritterschaft zu widersprechen<lb/> schien. Seitdem bestand zwischen der Büreaukratie und den Provinzialständen<lb/> eine stetige Opposition, in der sich zwei Elemente mischten, der Feudalismus<lb/> und der Liberalismus.</p><lb/> <p xml:id="ID_1761"> Als König Friedrich Wilhelm der Vierte zur Regierung kam, fragte er<lb/> bei dem preußischen Provinziallandtag an, ob er nicht Sondcrprivilcgien und<lb/> einen Herrenstand haben wollte? Beides wurde abgelehnt: statt der Sondcr-<lb/> privilegien wurde eine Gesammtverfassung gewünscht, und in Bezug auf den<lb/> Herrenstand meinte die Ritterschaft: wir sind alle Herren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1762"> An sich war es eine fruchtbare Idee von Seiten des Königs, daß er dem<lb/> hoben Adel und den mediatisirten Fürsten, die sich bis dahin um das preu¬<lb/> ßische Staatsleben gar nicht gekümmert, Gelegenheit geben wollte, sich an<lb/> demselben zu betheiligen; aber die Idee hatte keinen deutlichen Ausdruck ge¬<lb/> funden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1763"> Sie fand ihn im Februarpatent 1847. Die sämmtlichen Provinzialstände<lb/> wurden vereinigt und dem hohen Adel eine gesonderte Stellung in der Herren¬<lb/> curie gegeben. Manchem erschien es sehr wunderbar, daß die zweite Curie<lb/> des Landtags, die doch hauptsächlich aus dem ritterschaftlichen Element beruhte,<lb/> sich in der großen Majorität liberal zeigte: man hatte vergessen, daß in dem<lb/> Kampf der Provinzialstände gegen die Büreaukratie Feudalismus und Libe¬<lb/> ralismus durch einander geworfen; daß die Mehrzahl der Liberalen nicht wegen<lb/> ihres Liberalismus, sondern wegen ihrer Opposition gegen die Büreaukratie<lb/> gewählt waren. Die neue Verfassung litt an einem doppelten Fehler: in der<lb/> Herrencune setzte man voraus, daß ein Stand, den sür das Staatsleben<lb/> heranzuziehen allerdings wünschenswert!) war, bereits wirklich an demselben<lb/> betheiligt sei. da doch die Mehrzahl des hohen Adels von dem preußischen<lb/> Leben nicht den mindesten Begriff hatte; in der zweiten Curie gab man<lb/> der Ritterschaft die ausschließliche Herrschaft. Wir fürchten, im Lauf einer<lb/> friedlichen Entwickelung wäre aus dieser Verfassung ein Iunkerparlcunent ge¬<lb/> worden.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 65*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0525]
Schutt herumwühlte, welchen die Aufklärung scheinbar beseitigt, aber nicht
durch ein neues Lebensprincip ersetzt hatte, entdeckte sie unter Andern auch die
Stände.
Die Literatur drang in die Kreise der Staatsmänner ein, und 1823
wurden in Preußen die Provinzialstände wieder eingeführt: eine Repräsen¬
tation, in welcher der ritterschaftliche Grundbesitz einzig und allein die entschei¬
dende Stimme hatte. Für den oberflächlichen Beobachter eine ganz unschäd¬
liche Einrichtung, da im Großen und Ganzen wirklich der Absolutismus noch
dazustehen schien wie ein roolivi- von trouve; die Büreaukratie aber wußte
sehr wohl, an welchen Pfahl sie sich damit gebunden hatte: es war keine Re¬
form mehr durchzuführen, die den Interessen der Ritterschaft zu widersprechen
schien. Seitdem bestand zwischen der Büreaukratie und den Provinzialständen
eine stetige Opposition, in der sich zwei Elemente mischten, der Feudalismus
und der Liberalismus.
Als König Friedrich Wilhelm der Vierte zur Regierung kam, fragte er
bei dem preußischen Provinziallandtag an, ob er nicht Sondcrprivilcgien und
einen Herrenstand haben wollte? Beides wurde abgelehnt: statt der Sondcr-
privilegien wurde eine Gesammtverfassung gewünscht, und in Bezug auf den
Herrenstand meinte die Ritterschaft: wir sind alle Herren.
An sich war es eine fruchtbare Idee von Seiten des Königs, daß er dem
hoben Adel und den mediatisirten Fürsten, die sich bis dahin um das preu¬
ßische Staatsleben gar nicht gekümmert, Gelegenheit geben wollte, sich an
demselben zu betheiligen; aber die Idee hatte keinen deutlichen Ausdruck ge¬
funden.
Sie fand ihn im Februarpatent 1847. Die sämmtlichen Provinzialstände
wurden vereinigt und dem hohen Adel eine gesonderte Stellung in der Herren¬
curie gegeben. Manchem erschien es sehr wunderbar, daß die zweite Curie
des Landtags, die doch hauptsächlich aus dem ritterschaftlichen Element beruhte,
sich in der großen Majorität liberal zeigte: man hatte vergessen, daß in dem
Kampf der Provinzialstände gegen die Büreaukratie Feudalismus und Libe¬
ralismus durch einander geworfen; daß die Mehrzahl der Liberalen nicht wegen
ihres Liberalismus, sondern wegen ihrer Opposition gegen die Büreaukratie
gewählt waren. Die neue Verfassung litt an einem doppelten Fehler: in der
Herrencune setzte man voraus, daß ein Stand, den sür das Staatsleben
heranzuziehen allerdings wünschenswert!) war, bereits wirklich an demselben
betheiligt sei. da doch die Mehrzahl des hohen Adels von dem preußischen
Leben nicht den mindesten Begriff hatte; in der zweiten Curie gab man
der Ritterschaft die ausschließliche Herrschaft. Wir fürchten, im Lauf einer
friedlichen Entwickelung wäre aus dieser Verfassung ein Iunkerparlcunent ge¬
worden.
65*
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |