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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Sie sollte dieser Gefahr nicht ausgesetzt werden. Den Unruhen von
1848 gegenüber zeigte sich der Landtag eben so unhaltbar wie die Regierung;
er trat' mit einer an Einstimmigkeit grenzenden Majorität seine Rechte an
eine constituirende Versammlung ab. Die Mißgriffe dieser Versammlung auf¬
zuzählen, haben wir nicht nöthig, wol aber müssen wir hinzusetzen, daß die
Hauptschuld an der Regierung lag, die in dem Wahn stand, sie könne die
Dinge gehen lassen wie in ruhigen Zeiten. Einer schöpferischen und energischen
Regierung gegenüber ist die Demokratie stets machtlos.

Es war ein wunderbarer Glücksfall für Preußen, daß man nach der
Reaction nicht zum vereinigten Landtag griff, sondern die Verfassung im
Wesentlichen beibehielt. Gegen das Wahlgesetz von 1850 läßt sich viel ein¬
wenden, es genügt aber, sobald das Volk nicht blos gutgesinnt, sondern auch
bereit ist für seine Ueberzeugung etwas zu thun, dieser Ueberzeugung einen
deutlichen Ausdruck zu schaffen. -- Nur ein neues Element wurde eingeschoben,
das Herrenhaus.

Das Herrenhaus war nicht einfach die Herrencurie von 1847, die eigent¬
lichen "Herren" sind zwar rechtlich alle darin, aber sie zeigen sich wenig; die
wirkliche Basis ist theils die Ritterschaft (durch Wahlen), theils die Partei/
welche bloß in dem Kampf gegen den Liberalismus lebt. Die Wirkung zeigte
sich wenig, solange die Regierung im Sinn des Herrenhauses auf die Wah¬
len der Abgeordneten Einfluß übte; sie mußte aber als ein schreiender Mi߬
klang hervortreten, sobald das Herrenhaus einem "liberalen" Ministerium und
einer liberalen Kammer gegenüberstand.

Bald drei Jahre ernster Erfahrung liegen vor; die Staatsmaschine steht
still, kein Gesetz von durchgreifender Bedeutung kann durchgesetzt werden; der
schüchterne Einschüchterungsversuch vom vorigen Jahr ist fehlgeschlagen, und
die gegenwärtige Majorität des Hauses ist in einer Stimmung, daß man die
Lage der Minister ihr gegenüber nicht beneiden darf. Auf diese Weise geht
es nicht fort; wenn man die Majorität nicht ändern will oder kann, so wird
man sich entschließen, ihr die Regierung übergeben zu müssen. -- Was das
heißt, kann man nach den Reden der Herren von Kleist-Retzow und von Senft-
Pilsach abmessen; und jener Ausspruch, den wir an die Spitze stellten,, zeigt
deutlicher als alles, wie diese Art der Aristokratie das Königthum auf¬
faßt. -

Es scheint uns ein Mißgriff, daß man das Ministerium immer nur
drängte, die Spitzen der Verwaltung im liberalen Sinn zu modificiren. Den
Uebelstand geben wir zu, aber der Uebelstand ist gering, neben der Unmöglich¬
keit eine neue Kreis- und Provinzialverfassung durchzuführen, d. h. die Basis des
Staatslebens mit seiner Spitze in Einklang zu bringen. Jeder Versuch der^
Art scheitert am Herrenhause. Die Krone hat die Mittel in den Händen, auf


Sie sollte dieser Gefahr nicht ausgesetzt werden. Den Unruhen von
1848 gegenüber zeigte sich der Landtag eben so unhaltbar wie die Regierung;
er trat' mit einer an Einstimmigkeit grenzenden Majorität seine Rechte an
eine constituirende Versammlung ab. Die Mißgriffe dieser Versammlung auf¬
zuzählen, haben wir nicht nöthig, wol aber müssen wir hinzusetzen, daß die
Hauptschuld an der Regierung lag, die in dem Wahn stand, sie könne die
Dinge gehen lassen wie in ruhigen Zeiten. Einer schöpferischen und energischen
Regierung gegenüber ist die Demokratie stets machtlos.

Es war ein wunderbarer Glücksfall für Preußen, daß man nach der
Reaction nicht zum vereinigten Landtag griff, sondern die Verfassung im
Wesentlichen beibehielt. Gegen das Wahlgesetz von 1850 läßt sich viel ein¬
wenden, es genügt aber, sobald das Volk nicht blos gutgesinnt, sondern auch
bereit ist für seine Ueberzeugung etwas zu thun, dieser Ueberzeugung einen
deutlichen Ausdruck zu schaffen. — Nur ein neues Element wurde eingeschoben,
das Herrenhaus.

Das Herrenhaus war nicht einfach die Herrencurie von 1847, die eigent¬
lichen „Herren" sind zwar rechtlich alle darin, aber sie zeigen sich wenig; die
wirkliche Basis ist theils die Ritterschaft (durch Wahlen), theils die Partei/
welche bloß in dem Kampf gegen den Liberalismus lebt. Die Wirkung zeigte
sich wenig, solange die Regierung im Sinn des Herrenhauses auf die Wah¬
len der Abgeordneten Einfluß übte; sie mußte aber als ein schreiender Mi߬
klang hervortreten, sobald das Herrenhaus einem „liberalen" Ministerium und
einer liberalen Kammer gegenüberstand.

Bald drei Jahre ernster Erfahrung liegen vor; die Staatsmaschine steht
still, kein Gesetz von durchgreifender Bedeutung kann durchgesetzt werden; der
schüchterne Einschüchterungsversuch vom vorigen Jahr ist fehlgeschlagen, und
die gegenwärtige Majorität des Hauses ist in einer Stimmung, daß man die
Lage der Minister ihr gegenüber nicht beneiden darf. Auf diese Weise geht
es nicht fort; wenn man die Majorität nicht ändern will oder kann, so wird
man sich entschließen, ihr die Regierung übergeben zu müssen. — Was das
heißt, kann man nach den Reden der Herren von Kleist-Retzow und von Senft-
Pilsach abmessen; und jener Ausspruch, den wir an die Spitze stellten,, zeigt
deutlicher als alles, wie diese Art der Aristokratie das Königthum auf¬
faßt. -

Es scheint uns ein Mißgriff, daß man das Ministerium immer nur
drängte, die Spitzen der Verwaltung im liberalen Sinn zu modificiren. Den
Uebelstand geben wir zu, aber der Uebelstand ist gering, neben der Unmöglich¬
keit eine neue Kreis- und Provinzialverfassung durchzuführen, d. h. die Basis des
Staatslebens mit seiner Spitze in Einklang zu bringen. Jeder Versuch der^
Art scheitert am Herrenhause. Die Krone hat die Mittel in den Händen, auf


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[0526] Sie sollte dieser Gefahr nicht ausgesetzt werden. Den Unruhen von 1848 gegenüber zeigte sich der Landtag eben so unhaltbar wie die Regierung; er trat' mit einer an Einstimmigkeit grenzenden Majorität seine Rechte an eine constituirende Versammlung ab. Die Mißgriffe dieser Versammlung auf¬ zuzählen, haben wir nicht nöthig, wol aber müssen wir hinzusetzen, daß die Hauptschuld an der Regierung lag, die in dem Wahn stand, sie könne die Dinge gehen lassen wie in ruhigen Zeiten. Einer schöpferischen und energischen Regierung gegenüber ist die Demokratie stets machtlos. Es war ein wunderbarer Glücksfall für Preußen, daß man nach der Reaction nicht zum vereinigten Landtag griff, sondern die Verfassung im Wesentlichen beibehielt. Gegen das Wahlgesetz von 1850 läßt sich viel ein¬ wenden, es genügt aber, sobald das Volk nicht blos gutgesinnt, sondern auch bereit ist für seine Ueberzeugung etwas zu thun, dieser Ueberzeugung einen deutlichen Ausdruck zu schaffen. — Nur ein neues Element wurde eingeschoben, das Herrenhaus. Das Herrenhaus war nicht einfach die Herrencurie von 1847, die eigent¬ lichen „Herren" sind zwar rechtlich alle darin, aber sie zeigen sich wenig; die wirkliche Basis ist theils die Ritterschaft (durch Wahlen), theils die Partei/ welche bloß in dem Kampf gegen den Liberalismus lebt. Die Wirkung zeigte sich wenig, solange die Regierung im Sinn des Herrenhauses auf die Wah¬ len der Abgeordneten Einfluß übte; sie mußte aber als ein schreiender Mi߬ klang hervortreten, sobald das Herrenhaus einem „liberalen" Ministerium und einer liberalen Kammer gegenüberstand. Bald drei Jahre ernster Erfahrung liegen vor; die Staatsmaschine steht still, kein Gesetz von durchgreifender Bedeutung kann durchgesetzt werden; der schüchterne Einschüchterungsversuch vom vorigen Jahr ist fehlgeschlagen, und die gegenwärtige Majorität des Hauses ist in einer Stimmung, daß man die Lage der Minister ihr gegenüber nicht beneiden darf. Auf diese Weise geht es nicht fort; wenn man die Majorität nicht ändern will oder kann, so wird man sich entschließen, ihr die Regierung übergeben zu müssen. — Was das heißt, kann man nach den Reden der Herren von Kleist-Retzow und von Senft- Pilsach abmessen; und jener Ausspruch, den wir an die Spitze stellten,, zeigt deutlicher als alles, wie diese Art der Aristokratie das Königthum auf¬ faßt. - Es scheint uns ein Mißgriff, daß man das Ministerium immer nur drängte, die Spitzen der Verwaltung im liberalen Sinn zu modificiren. Den Uebelstand geben wir zu, aber der Uebelstand ist gering, neben der Unmöglich¬ keit eine neue Kreis- und Provinzialverfassung durchzuführen, d. h. die Basis des Staatslebens mit seiner Spitze in Einklang zu bringen. Jeder Versuch der^ Art scheitert am Herrenhause. Die Krone hat die Mittel in den Händen, auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/526>, abgerufen am 15.01.2025.