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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Die Stände wurden entfernt, der Adel aber für diesen Verlust theils im
Militär theils in den höheren Civilämtern entschädigt. Das System des mili¬
tärischen Absolutismus bestand die Probe von 1806 nicht; es wurde gestürzt
und die Regierung entschloß sich, den Staat auf volksthümlicher Grundlage
wieder herzustellen. In dieser Beziehung sind wir berechtigt, auf die Jahre
der größten äußerlichen Erniedrigung Preußens mit dem größten Stolz zurück¬
zublicken.

Die Frucht dieser Jahre war die Möglichkeit des Freiheitskampfes, des
glorreichsten, den wir gekämpft haben. Aber was folgte auf diesen Krieg?
Das. Land war verarmt, ausgesogen; ein Theil der besten Kräfte gefallen;
eine blinde Angst vor der Demagogie bemächtigte sich des Beamtenthums, die
brutalsten Verfolgungen traten ein und der militärische Absolutismus wurde
wieder hergestellt. Diesmal nicht zu kriegerischen, sondern zu friedlich polizei¬
lichen Zwecken.

Wem erzählen wir das? das weiß ja jedes Kind! -- Wir erzählen das
denjenigen Liberalen, die, weil sie sonst keine Ideen im Kopf, oder nicht den
Muth und die Stetigkeit haben, eine ernste und männliche Ueberzeugung an der
Stelle, wo es nöthig ist. ernst und männlich auszusprechen, jetzt das Stichwort
austheilen: nur einen Krieg! dann ist Deutschland geeinigt und alle Verlegen¬
heiten überwunden, Krieg, gleichviel gegen wen! Am liebsten gegen den Erb¬
feind, gegen Napoleon. Um aber Krieg zu führen Rekruten! Rekruten! und
immer wieder Rekruten! haben wir nur erst ein glänzendes Heer, dann fürch¬
tet sich Alles vor uns und wir können thun was wir wollen!

Was wir wollen! -- Wenn wir nur erst wüßten, was wir wollen! --
. Wenn Herwegh solche Kriegslieder machte um "Schwager" auf "Meleager"
zu reimen, so war das einem Dichter, der sich später gar nicht sehr kriegerisch
erwies, nicht zu verargen. Den Staatsmännern aber, die jetzt in dieselbe
Trompete stoßen, rathen wir einmal den Stielerschen Handatlas aufzuschlagen
und die Einheit Deutschlands zu bewundern, welche die damaligen Kriege
hervorgebracht haben; und dann die Acten des deutschen Bundes bis 1848.
Ein großer ernsthafter Krieg entzieht der Cultur nicht blos die Jahre, die er
dauert, sondern wenigstens eine dreifach so lange Zeit der Erschlaffung. Ein
Krieg ist mitunter nicht zu vermeiden, wer sich aber durch einen absiracten
Krieg, durch einen Krieg, der keinen.andern Zweck hat. als sich selbst, aus der
Verlegenheit zu ziehen hofft, der gleicht dem Verschwender, der, weil er sich
vor Schulden nicht mehr zu retten weiß, sein eignes Haus anzündet. -- Fahren
wir in unserer Geschichte weiter fort.

Die Zeit vor dem Kriege hatte eine Literatur hervorgebracht, welche in
Napoleon den Erben der Revolution, in der Revolution die Folge der Auf¬
klärung sah, und deshalb die Aufklärung bekämpfte. Indem sie in dem alten


Die Stände wurden entfernt, der Adel aber für diesen Verlust theils im
Militär theils in den höheren Civilämtern entschädigt. Das System des mili¬
tärischen Absolutismus bestand die Probe von 1806 nicht; es wurde gestürzt
und die Regierung entschloß sich, den Staat auf volksthümlicher Grundlage
wieder herzustellen. In dieser Beziehung sind wir berechtigt, auf die Jahre
der größten äußerlichen Erniedrigung Preußens mit dem größten Stolz zurück¬
zublicken.

Die Frucht dieser Jahre war die Möglichkeit des Freiheitskampfes, des
glorreichsten, den wir gekämpft haben. Aber was folgte auf diesen Krieg?
Das. Land war verarmt, ausgesogen; ein Theil der besten Kräfte gefallen;
eine blinde Angst vor der Demagogie bemächtigte sich des Beamtenthums, die
brutalsten Verfolgungen traten ein und der militärische Absolutismus wurde
wieder hergestellt. Diesmal nicht zu kriegerischen, sondern zu friedlich polizei¬
lichen Zwecken.

Wem erzählen wir das? das weiß ja jedes Kind! — Wir erzählen das
denjenigen Liberalen, die, weil sie sonst keine Ideen im Kopf, oder nicht den
Muth und die Stetigkeit haben, eine ernste und männliche Ueberzeugung an der
Stelle, wo es nöthig ist. ernst und männlich auszusprechen, jetzt das Stichwort
austheilen: nur einen Krieg! dann ist Deutschland geeinigt und alle Verlegen¬
heiten überwunden, Krieg, gleichviel gegen wen! Am liebsten gegen den Erb¬
feind, gegen Napoleon. Um aber Krieg zu führen Rekruten! Rekruten! und
immer wieder Rekruten! haben wir nur erst ein glänzendes Heer, dann fürch¬
tet sich Alles vor uns und wir können thun was wir wollen!

Was wir wollen! — Wenn wir nur erst wüßten, was wir wollen! —
. Wenn Herwegh solche Kriegslieder machte um „Schwager" auf „Meleager"
zu reimen, so war das einem Dichter, der sich später gar nicht sehr kriegerisch
erwies, nicht zu verargen. Den Staatsmännern aber, die jetzt in dieselbe
Trompete stoßen, rathen wir einmal den Stielerschen Handatlas aufzuschlagen
und die Einheit Deutschlands zu bewundern, welche die damaligen Kriege
hervorgebracht haben; und dann die Acten des deutschen Bundes bis 1848.
Ein großer ernsthafter Krieg entzieht der Cultur nicht blos die Jahre, die er
dauert, sondern wenigstens eine dreifach so lange Zeit der Erschlaffung. Ein
Krieg ist mitunter nicht zu vermeiden, wer sich aber durch einen absiracten
Krieg, durch einen Krieg, der keinen.andern Zweck hat. als sich selbst, aus der
Verlegenheit zu ziehen hofft, der gleicht dem Verschwender, der, weil er sich
vor Schulden nicht mehr zu retten weiß, sein eignes Haus anzündet. — Fahren
wir in unserer Geschichte weiter fort.

Die Zeit vor dem Kriege hatte eine Literatur hervorgebracht, welche in
Napoleon den Erben der Revolution, in der Revolution die Folge der Auf¬
klärung sah, und deshalb die Aufklärung bekämpfte. Indem sie in dem alten


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[0524] Die Stände wurden entfernt, der Adel aber für diesen Verlust theils im Militär theils in den höheren Civilämtern entschädigt. Das System des mili¬ tärischen Absolutismus bestand die Probe von 1806 nicht; es wurde gestürzt und die Regierung entschloß sich, den Staat auf volksthümlicher Grundlage wieder herzustellen. In dieser Beziehung sind wir berechtigt, auf die Jahre der größten äußerlichen Erniedrigung Preußens mit dem größten Stolz zurück¬ zublicken. Die Frucht dieser Jahre war die Möglichkeit des Freiheitskampfes, des glorreichsten, den wir gekämpft haben. Aber was folgte auf diesen Krieg? Das. Land war verarmt, ausgesogen; ein Theil der besten Kräfte gefallen; eine blinde Angst vor der Demagogie bemächtigte sich des Beamtenthums, die brutalsten Verfolgungen traten ein und der militärische Absolutismus wurde wieder hergestellt. Diesmal nicht zu kriegerischen, sondern zu friedlich polizei¬ lichen Zwecken. Wem erzählen wir das? das weiß ja jedes Kind! — Wir erzählen das denjenigen Liberalen, die, weil sie sonst keine Ideen im Kopf, oder nicht den Muth und die Stetigkeit haben, eine ernste und männliche Ueberzeugung an der Stelle, wo es nöthig ist. ernst und männlich auszusprechen, jetzt das Stichwort austheilen: nur einen Krieg! dann ist Deutschland geeinigt und alle Verlegen¬ heiten überwunden, Krieg, gleichviel gegen wen! Am liebsten gegen den Erb¬ feind, gegen Napoleon. Um aber Krieg zu führen Rekruten! Rekruten! und immer wieder Rekruten! haben wir nur erst ein glänzendes Heer, dann fürch¬ tet sich Alles vor uns und wir können thun was wir wollen! Was wir wollen! — Wenn wir nur erst wüßten, was wir wollen! — . Wenn Herwegh solche Kriegslieder machte um „Schwager" auf „Meleager" zu reimen, so war das einem Dichter, der sich später gar nicht sehr kriegerisch erwies, nicht zu verargen. Den Staatsmännern aber, die jetzt in dieselbe Trompete stoßen, rathen wir einmal den Stielerschen Handatlas aufzuschlagen und die Einheit Deutschlands zu bewundern, welche die damaligen Kriege hervorgebracht haben; und dann die Acten des deutschen Bundes bis 1848. Ein großer ernsthafter Krieg entzieht der Cultur nicht blos die Jahre, die er dauert, sondern wenigstens eine dreifach so lange Zeit der Erschlaffung. Ein Krieg ist mitunter nicht zu vermeiden, wer sich aber durch einen absiracten Krieg, durch einen Krieg, der keinen.andern Zweck hat. als sich selbst, aus der Verlegenheit zu ziehen hofft, der gleicht dem Verschwender, der, weil er sich vor Schulden nicht mehr zu retten weiß, sein eignes Haus anzündet. — Fahren wir in unserer Geschichte weiter fort. Die Zeit vor dem Kriege hatte eine Literatur hervorgebracht, welche in Napoleon den Erben der Revolution, in der Revolution die Folge der Auf¬ klärung sah, und deshalb die Aufklärung bekämpfte. Indem sie in dem alten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/524>, abgerufen am 28.09.2024.