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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Diese Unerschrockenheit hat er in seiner ganzen ruhmvollen Laufbahn be¬
währt. Als vorübergehend ein neuer Souverain aufkam, dem auch die Höf¬
linge im ersten Schrecken schmeichelten, das Volk, hat er ihm ebenso unum¬
wunden die Wahrheit gesagt als dem alten; er hat in Frankfurt, wo ein
halb verrückter Preußenhaß die herrschende Stimmung war, sehr stark den
Preußen heraustreten lassen, er hat in Berlin ebenso entschieden die Rechte
des deutschen Volks und der deutschen Nationalversammlung verfochten. Es
ist eine sehr häufige Erscheinung, daß man bei sich selbst gerade auf die
Eigenheiten den meisten Werth legt, die nicht die besten sind: so ist Vincke
hauptsächlich auf seinen Rechtsboden stolz. Er hätte Ursache auf etwas An¬
deres stolz zu sein, auf den starken gesunden Menschenverstand, der ihm in
jedem Augenblick in der Hauptsache das zeigte, worauf es ankam, und ihn
bestimmte, sich mit aller Macht seiner Natur darauf zu werfen. Es ist das
größte Unrecht, ihm feines schroffen Wesens wegen die Bildungsfähigkeit ab¬
zusprechen; er hat im Gegentheil in Frankfurt sehr viel gelernt, und von
Jahr zu Jahr einen immer vorurtheilsfreicrcn Standpunkt gewonnen. Man
lasse sich doch nicht dadurch irren, daß er bei seiner Heftigkeit in Nebensachen
oft Dinge behauptete, die uicht zu vertreten waren, und die er aus einem
falschen ?vint ä'Ircmirvui' nachher doch zu vertreten suchte. Stein ist gewiß
ein großer Staatsmann gewesen: wenn man aber alle Behauptungen zu¬
sammennehmen wollte, die er in der Hitze des Gefechts aufstellte, welcher
Unsinn würde dabei herauskommen! Wer die Bedeutung einer Persönlichkeit
für den Fortschritt des Landes anerkennt, muß schon das mit hinnehmen,
was nothwendig mit zu dieser Persönlichkeit gehört.

Aber gegen einen Fehler muß Vincke in der That ernsthaft ankämpfen,
gegen die Neigung zu unzeitiger Polemik. Der Witz und die Schlagfertig¬
st ist eine große und schöne Gabe, aber eine gefährliche, und man muß vor
5hr auf der Hut sein, wenn man auf die Dauer wirken will. --

Daß Vincke's Angriff nicht unerwidert bleiben würde, hatten wir erwartet;
Wir hatten namentlich erwartet, daß die "Nationalzeitung" über das
Mciaß hinnusgehn würde. Denn während diese Zeitung in der richtigen
Ueberzeugung, daß der alte Streit unzeitgemäß ist. im Allgemeinen vermeidet,
ihrerseits die Polemik zu eröffnen, stürzt sie doch, sobald ein Gothaer sich ein¬
mal vergessen hat, mit dem blinden Eifer eines Kampfstiers über ihn her,
und verliert vollständig die Haltung, die ihr sonst so gut steht. So hatte sie,
">s Beckerath rein aus politischen Gründen die Wahl Waldecks bekämpfte,
nichts Besseres zu antworten als Scheltworte; und so erwarteten wir es auch
W diesem Fall.

Unsere Erwartungen wurden vollständig befriedigt. "Professionsmähiger
Zünker". "absurdes Gebelfer", "die Vernunft ist dem schäumenden Redner aus-


Grenzboten I. 1861. 66

Diese Unerschrockenheit hat er in seiner ganzen ruhmvollen Laufbahn be¬
währt. Als vorübergehend ein neuer Souverain aufkam, dem auch die Höf¬
linge im ersten Schrecken schmeichelten, das Volk, hat er ihm ebenso unum¬
wunden die Wahrheit gesagt als dem alten; er hat in Frankfurt, wo ein
halb verrückter Preußenhaß die herrschende Stimmung war, sehr stark den
Preußen heraustreten lassen, er hat in Berlin ebenso entschieden die Rechte
des deutschen Volks und der deutschen Nationalversammlung verfochten. Es
ist eine sehr häufige Erscheinung, daß man bei sich selbst gerade auf die
Eigenheiten den meisten Werth legt, die nicht die besten sind: so ist Vincke
hauptsächlich auf seinen Rechtsboden stolz. Er hätte Ursache auf etwas An¬
deres stolz zu sein, auf den starken gesunden Menschenverstand, der ihm in
jedem Augenblick in der Hauptsache das zeigte, worauf es ankam, und ihn
bestimmte, sich mit aller Macht seiner Natur darauf zu werfen. Es ist das
größte Unrecht, ihm feines schroffen Wesens wegen die Bildungsfähigkeit ab¬
zusprechen; er hat im Gegentheil in Frankfurt sehr viel gelernt, und von
Jahr zu Jahr einen immer vorurtheilsfreicrcn Standpunkt gewonnen. Man
lasse sich doch nicht dadurch irren, daß er bei seiner Heftigkeit in Nebensachen
oft Dinge behauptete, die uicht zu vertreten waren, und die er aus einem
falschen ?vint ä'Ircmirvui' nachher doch zu vertreten suchte. Stein ist gewiß
ein großer Staatsmann gewesen: wenn man aber alle Behauptungen zu¬
sammennehmen wollte, die er in der Hitze des Gefechts aufstellte, welcher
Unsinn würde dabei herauskommen! Wer die Bedeutung einer Persönlichkeit
für den Fortschritt des Landes anerkennt, muß schon das mit hinnehmen,
was nothwendig mit zu dieser Persönlichkeit gehört.

Aber gegen einen Fehler muß Vincke in der That ernsthaft ankämpfen,
gegen die Neigung zu unzeitiger Polemik. Der Witz und die Schlagfertig¬
st ist eine große und schöne Gabe, aber eine gefährliche, und man muß vor
5hr auf der Hut sein, wenn man auf die Dauer wirken will. —

Daß Vincke's Angriff nicht unerwidert bleiben würde, hatten wir erwartet;
Wir hatten namentlich erwartet, daß die „Nationalzeitung" über das
Mciaß hinnusgehn würde. Denn während diese Zeitung in der richtigen
Ueberzeugung, daß der alte Streit unzeitgemäß ist. im Allgemeinen vermeidet,
ihrerseits die Polemik zu eröffnen, stürzt sie doch, sobald ein Gothaer sich ein¬
mal vergessen hat, mit dem blinden Eifer eines Kampfstiers über ihn her,
und verliert vollständig die Haltung, die ihr sonst so gut steht. So hatte sie,
">s Beckerath rein aus politischen Gründen die Wahl Waldecks bekämpfte,
nichts Besseres zu antworten als Scheltworte; und so erwarteten wir es auch
W diesem Fall.

Unsere Erwartungen wurden vollständig befriedigt. „Professionsmähiger
Zünker". „absurdes Gebelfer", „die Vernunft ist dem schäumenden Redner aus-


Grenzboten I. 1861. 66
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[0483] Diese Unerschrockenheit hat er in seiner ganzen ruhmvollen Laufbahn be¬ währt. Als vorübergehend ein neuer Souverain aufkam, dem auch die Höf¬ linge im ersten Schrecken schmeichelten, das Volk, hat er ihm ebenso unum¬ wunden die Wahrheit gesagt als dem alten; er hat in Frankfurt, wo ein halb verrückter Preußenhaß die herrschende Stimmung war, sehr stark den Preußen heraustreten lassen, er hat in Berlin ebenso entschieden die Rechte des deutschen Volks und der deutschen Nationalversammlung verfochten. Es ist eine sehr häufige Erscheinung, daß man bei sich selbst gerade auf die Eigenheiten den meisten Werth legt, die nicht die besten sind: so ist Vincke hauptsächlich auf seinen Rechtsboden stolz. Er hätte Ursache auf etwas An¬ deres stolz zu sein, auf den starken gesunden Menschenverstand, der ihm in jedem Augenblick in der Hauptsache das zeigte, worauf es ankam, und ihn bestimmte, sich mit aller Macht seiner Natur darauf zu werfen. Es ist das größte Unrecht, ihm feines schroffen Wesens wegen die Bildungsfähigkeit ab¬ zusprechen; er hat im Gegentheil in Frankfurt sehr viel gelernt, und von Jahr zu Jahr einen immer vorurtheilsfreicrcn Standpunkt gewonnen. Man lasse sich doch nicht dadurch irren, daß er bei seiner Heftigkeit in Nebensachen oft Dinge behauptete, die uicht zu vertreten waren, und die er aus einem falschen ?vint ä'Ircmirvui' nachher doch zu vertreten suchte. Stein ist gewiß ein großer Staatsmann gewesen: wenn man aber alle Behauptungen zu¬ sammennehmen wollte, die er in der Hitze des Gefechts aufstellte, welcher Unsinn würde dabei herauskommen! Wer die Bedeutung einer Persönlichkeit für den Fortschritt des Landes anerkennt, muß schon das mit hinnehmen, was nothwendig mit zu dieser Persönlichkeit gehört. Aber gegen einen Fehler muß Vincke in der That ernsthaft ankämpfen, gegen die Neigung zu unzeitiger Polemik. Der Witz und die Schlagfertig¬ st ist eine große und schöne Gabe, aber eine gefährliche, und man muß vor 5hr auf der Hut sein, wenn man auf die Dauer wirken will. — Daß Vincke's Angriff nicht unerwidert bleiben würde, hatten wir erwartet; Wir hatten namentlich erwartet, daß die „Nationalzeitung" über das Mciaß hinnusgehn würde. Denn während diese Zeitung in der richtigen Ueberzeugung, daß der alte Streit unzeitgemäß ist. im Allgemeinen vermeidet, ihrerseits die Polemik zu eröffnen, stürzt sie doch, sobald ein Gothaer sich ein¬ mal vergessen hat, mit dem blinden Eifer eines Kampfstiers über ihn her, und verliert vollständig die Haltung, die ihr sonst so gut steht. So hatte sie, ">s Beckerath rein aus politischen Gründen die Wahl Waldecks bekämpfte, nichts Besseres zu antworten als Scheltworte; und so erwarteten wir es auch W diesem Fall. Unsere Erwartungen wurden vollständig befriedigt. „Professionsmähiger Zünker". „absurdes Gebelfer", „die Vernunft ist dem schäumenden Redner aus- Grenzboten I. 1861. 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/483>, abgerufen am 27.08.2024.