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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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gegangen"; "er stürzt kopfüber wie in Raserei"; "er macht die Tribüne zur Stätte
eines Deliriums" u. s. w. -- das Alles hatten wir erwartet und wollen mit dem
Ton nicht weiter rechten. So angegriffen zu werden, kann Vincke nur lieb
sein; denn wenn man vorher mit seinem Angriff unzufrieden war, so stellt
sich jetzt natürlich Jeder auf seine Seite.

Aber Eins haben wir nicht erwartet, und wir trauten unsern Augen
nicht, als wir es lasen: die Geschichte mit dem Landrath a, D. Im An¬
fang schien uns die Stelle reiner Unsinn zu sein, und -- wir wollen noch
jetzt hoffen, daß dieser erste Eindruck uns nicht getäuscht hat. Denn sollte in
der Stelle: "wie sehr er sich gestern auch mit seinen rettenden Thaten und
mit seiner monarchischen Gesinnung gebläht hat, er bleibt deshalb doch Land¬
rath a. D-," sollte in dieser Stelle wirklich die Insinuation liegen, daß Vincke
deshalb Waldeck angegriffen habe, um sich bei Hof beliebt zu machen und
eine Stelle zu erhalten, so finden wir keine Worte für diese bodenlose
Gemeinheit! Glücklicherweise wäre die Insinuation ebenso lächerlich als gemein.
Wir wollen lieber annehmen, daß der Verfasser wirklich Unsinn geredet hat,
daß er seinem Gegner "Landrath a. D!" nachschrie, wie man Einem "Kahlkopf!"
oder "lahme Ziege!" nachruft, wenn einem grade nichts Besseres einfällt.

In früheren Zeiten hat doch die Nationalzeitung, und zwar mit unserer
vollständigen Beistimmung, einem Theil, unserer speciellen Parteigenossen
gegenüber die Behauptung aufgestellt: der preußische Landtag habe nicht die
Aufgabe, Candidaten für Minister- und andere höhere Veamtenstellen zu lie¬
fern, sondern jedem Ministerium gegenüber, gleichviel welches es sein möge,
die Rechte und Interessen des Volkes zu wahnn. Wenn sie noch heute dieser
Ansicht ist, wie wir hoffen, so muß es ihr ja gerade hockst erfreulich sein, daß
ein unabhängiger Mann von Einsicht und Entschlossenheit ein Amt verschmäht
und rücksichtslos die schöne Aufgabe eines Volksvertreters erfüllt. Und daß
Vincke diese Einsicht besitzt, daß er in der Hauptsache für den gegenwärtigen
Augenblick das Nichtige will, das wird doch die Nationalzeitnng nicht in Ab¬
rede stellen wollen, da sie ihm bis jetzt so ziemlich in allen Punkten beigepflich¬
tet hat.

Wenn sie serner dem Volk empfiehlt, für den nächsten Landtag einen Hans¬
wurst zu wählen, der darauf dressirt werden toll. Vincke zu widerlegen, ^
verdient dieser Vorschlag Erwägung. Wir haben bis jetzt entschieden den
Grundsatz ausgesprochen, daß jeder tüchtige Mann, der die freiheitliche Ent¬
wicklung Preußens zu fördern verspricht, gewählt werden soll, gleichviel ob er
früher Demokrat oder Gothaer war. Jetzt müssen wir doch einige Vorsicht
empfehlen; wir müssen daraus dringen, daß jedem Candidaten, den dieNatw-
nalzeitung empfiehlt, die Frage vorgelegt werde: ob er auch nicht etwa jener
Hanswurst ist, der gegen Vincke dressirt werden soll?


gegangen"; „er stürzt kopfüber wie in Raserei"; „er macht die Tribüne zur Stätte
eines Deliriums" u. s. w. — das Alles hatten wir erwartet und wollen mit dem
Ton nicht weiter rechten. So angegriffen zu werden, kann Vincke nur lieb
sein; denn wenn man vorher mit seinem Angriff unzufrieden war, so stellt
sich jetzt natürlich Jeder auf seine Seite.

Aber Eins haben wir nicht erwartet, und wir trauten unsern Augen
nicht, als wir es lasen: die Geschichte mit dem Landrath a, D. Im An¬
fang schien uns die Stelle reiner Unsinn zu sein, und — wir wollen noch
jetzt hoffen, daß dieser erste Eindruck uns nicht getäuscht hat. Denn sollte in
der Stelle: „wie sehr er sich gestern auch mit seinen rettenden Thaten und
mit seiner monarchischen Gesinnung gebläht hat, er bleibt deshalb doch Land¬
rath a. D-," sollte in dieser Stelle wirklich die Insinuation liegen, daß Vincke
deshalb Waldeck angegriffen habe, um sich bei Hof beliebt zu machen und
eine Stelle zu erhalten, so finden wir keine Worte für diese bodenlose
Gemeinheit! Glücklicherweise wäre die Insinuation ebenso lächerlich als gemein.
Wir wollen lieber annehmen, daß der Verfasser wirklich Unsinn geredet hat,
daß er seinem Gegner „Landrath a. D!" nachschrie, wie man Einem „Kahlkopf!"
oder „lahme Ziege!" nachruft, wenn einem grade nichts Besseres einfällt.

In früheren Zeiten hat doch die Nationalzeitung, und zwar mit unserer
vollständigen Beistimmung, einem Theil, unserer speciellen Parteigenossen
gegenüber die Behauptung aufgestellt: der preußische Landtag habe nicht die
Aufgabe, Candidaten für Minister- und andere höhere Veamtenstellen zu lie¬
fern, sondern jedem Ministerium gegenüber, gleichviel welches es sein möge,
die Rechte und Interessen des Volkes zu wahnn. Wenn sie noch heute dieser
Ansicht ist, wie wir hoffen, so muß es ihr ja gerade hockst erfreulich sein, daß
ein unabhängiger Mann von Einsicht und Entschlossenheit ein Amt verschmäht
und rücksichtslos die schöne Aufgabe eines Volksvertreters erfüllt. Und daß
Vincke diese Einsicht besitzt, daß er in der Hauptsache für den gegenwärtigen
Augenblick das Nichtige will, das wird doch die Nationalzeitnng nicht in Ab¬
rede stellen wollen, da sie ihm bis jetzt so ziemlich in allen Punkten beigepflich¬
tet hat.

Wenn sie serner dem Volk empfiehlt, für den nächsten Landtag einen Hans¬
wurst zu wählen, der darauf dressirt werden toll. Vincke zu widerlegen, ^
verdient dieser Vorschlag Erwägung. Wir haben bis jetzt entschieden den
Grundsatz ausgesprochen, daß jeder tüchtige Mann, der die freiheitliche Ent¬
wicklung Preußens zu fördern verspricht, gewählt werden soll, gleichviel ob er
früher Demokrat oder Gothaer war. Jetzt müssen wir doch einige Vorsicht
empfehlen; wir müssen daraus dringen, daß jedem Candidaten, den dieNatw-
nalzeitung empfiehlt, die Frage vorgelegt werde: ob er auch nicht etwa jener
Hanswurst ist, der gegen Vincke dressirt werden soll?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/484>, abgerufen am 27.08.2024.