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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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eine ab und zu wandernde Klasse theilen. Zu der ersteren rechnen wir die
Kreolen, die als Eingeborne und an das. Klima Gewöhnte die Stadt nur
selten verlassen, und die Sklaven, welche sie nicht verlassen dürfen. Die zweite
besteht hauptsachlich aus Angloamerikanern und wohlhabenden Deutschen, von
denen nur ein Theil hier geboren ist, während die Mehrzahl, wenn sie nicht
dem Fieber zum Opfer fallen will, bei Annäherung der ungesunden Monate
nach Norden auszuwandern genöthigt ist. Etwas über ein Fünftheil der Ge-
sammtbevölkerung verläßt in dieser Weise zu Anfang des Juli die Stadt, um
erst im October zurückzukehren. Früher hauste das gelbe Fieber hier fast jedes
Jahr auf das Furchtbarste, jetzt kehrt diese Geißel in Folge besserer Reinigung,
Lüftung und Entwässerung seltner wieder und trifft dann gewöhnlich nur Solche,
die entweder noch nicht accluuatisirt sind, oder sich in einem ausschweifenden
Leben gefallen. Einmal acclimatisirt. erfreut man sich bei regelmäßiger Hal¬
tung der besten Gesundheit, und die dort gebornen Angloamerikaner sind ein
Menschenschlag so groß und kräftig, wie man ihn selten in der Union findet.

Wenn katholische Länder und Städte in der Regel vergnügungssüchtiger
und zu geschlechtlichen Ausschweifungen geneigter sind, als protestantische, so
trifft das auch in Neuorleans zu, wo der Katholicismus stärker als ander¬
wärts in den Vereinigten Staaten vertreten ist. Die Kreolen gehören mit
wenigen Ausnahmen diesem Bekenntniß an, und die Strenge und Nüchtern¬
heit der zugewanderten Presbyterianer, Methodisten und Episkopalen englischer
Abkunft hat auf die Leichtfertigkeit und Genußsucht jener Klasse bisher nicht
nur keinen Einfluß gehabt, sondern ist durch deren Sitten theilweise selbst ver¬
dorben worden. Nirgends in der Union ist das Maitressenwesen so ausgebil¬
det, nirgends, selbst in Neuyork nicht, gedeihen die öffentlichen Häuser so üp¬
pig, und die sogenannten Quadroncnbälle sind in der ganzen amerikanischen
Welt berüchtigt.

Als Aus- und Einfnhrplatz für den größten Theil des Mississippithales
ist Neuorleans nächst Neuyork die wichtigste Handelsstadt der Union. Jener
ungeheure Landstrich ist einer der fruchtbarsten der Erde, und nirgends findet
man eine so große Fläche, die so in eine Form gegossen, so für ein einheit¬
liches Verkehrssystem von Natur schon organisirt wäre. Ist Neuorleans gegen¬
wärtig schon der Stapelplatz für eine Bevölkerung von mehr als elf Millionen,
so läßt sich, wenn man das rasche Wachsthum der nordwestlichen Staaten in
den letzten Jahren betrachtet, voraussagen, daß sich seine Bedeutung in dieser
Hinsicht bis zu Ende unseres Jahrhunderts wenigstens um das Fünffache ge¬
steigert haben wird. Allerdings wird künftig noch mehr wie jetzt ein sehr be¬
deutender Theil der überflüssigen Producte von Missouri, Illinois. Iowa.
Ohio, Tennessee und Kentucky seinen Weg nach den atlantischen Hafenplätzen
nehmen, aber selbst wenn Neuorleans nur als Stapelplatz für die Hälfte dieser


Grenzboten I. 1S61. 58

eine ab und zu wandernde Klasse theilen. Zu der ersteren rechnen wir die
Kreolen, die als Eingeborne und an das. Klima Gewöhnte die Stadt nur
selten verlassen, und die Sklaven, welche sie nicht verlassen dürfen. Die zweite
besteht hauptsachlich aus Angloamerikanern und wohlhabenden Deutschen, von
denen nur ein Theil hier geboren ist, während die Mehrzahl, wenn sie nicht
dem Fieber zum Opfer fallen will, bei Annäherung der ungesunden Monate
nach Norden auszuwandern genöthigt ist. Etwas über ein Fünftheil der Ge-
sammtbevölkerung verläßt in dieser Weise zu Anfang des Juli die Stadt, um
erst im October zurückzukehren. Früher hauste das gelbe Fieber hier fast jedes
Jahr auf das Furchtbarste, jetzt kehrt diese Geißel in Folge besserer Reinigung,
Lüftung und Entwässerung seltner wieder und trifft dann gewöhnlich nur Solche,
die entweder noch nicht accluuatisirt sind, oder sich in einem ausschweifenden
Leben gefallen. Einmal acclimatisirt. erfreut man sich bei regelmäßiger Hal¬
tung der besten Gesundheit, und die dort gebornen Angloamerikaner sind ein
Menschenschlag so groß und kräftig, wie man ihn selten in der Union findet.

Wenn katholische Länder und Städte in der Regel vergnügungssüchtiger
und zu geschlechtlichen Ausschweifungen geneigter sind, als protestantische, so
trifft das auch in Neuorleans zu, wo der Katholicismus stärker als ander¬
wärts in den Vereinigten Staaten vertreten ist. Die Kreolen gehören mit
wenigen Ausnahmen diesem Bekenntniß an, und die Strenge und Nüchtern¬
heit der zugewanderten Presbyterianer, Methodisten und Episkopalen englischer
Abkunft hat auf die Leichtfertigkeit und Genußsucht jener Klasse bisher nicht
nur keinen Einfluß gehabt, sondern ist durch deren Sitten theilweise selbst ver¬
dorben worden. Nirgends in der Union ist das Maitressenwesen so ausgebil¬
det, nirgends, selbst in Neuyork nicht, gedeihen die öffentlichen Häuser so üp¬
pig, und die sogenannten Quadroncnbälle sind in der ganzen amerikanischen
Welt berüchtigt.

Als Aus- und Einfnhrplatz für den größten Theil des Mississippithales
ist Neuorleans nächst Neuyork die wichtigste Handelsstadt der Union. Jener
ungeheure Landstrich ist einer der fruchtbarsten der Erde, und nirgends findet
man eine so große Fläche, die so in eine Form gegossen, so für ein einheit¬
liches Verkehrssystem von Natur schon organisirt wäre. Ist Neuorleans gegen¬
wärtig schon der Stapelplatz für eine Bevölkerung von mehr als elf Millionen,
so läßt sich, wenn man das rasche Wachsthum der nordwestlichen Staaten in
den letzten Jahren betrachtet, voraussagen, daß sich seine Bedeutung in dieser
Hinsicht bis zu Ende unseres Jahrhunderts wenigstens um das Fünffache ge¬
steigert haben wird. Allerdings wird künftig noch mehr wie jetzt ein sehr be¬
deutender Theil der überflüssigen Producte von Missouri, Illinois. Iowa.
Ohio, Tennessee und Kentucky seinen Weg nach den atlantischen Hafenplätzen
nehmen, aber selbst wenn Neuorleans nur als Stapelplatz für die Hälfte dieser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/467>, abgerufen am 25.08.2024.