Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sie darstellt. Nicht blos Menschen wie der alte Herr Amtshauptmann Weber
oder Fickchen Voß, die man allerdings nicht blos im poetischen Spiegel
lieben würde, sondern alle miteinander sind Ideale: Mamsell Westphalen und
der preußische Windbeutel; Fritz Saalmann, der verschmitzte Gassenjunge, und
der würdige Rathsherr, der in Gedanken die Feldzugspläne gegen die Fran¬
zosen leitet. Bei diesem Roman kann man wirtlich sagen, daß es Einem leid
thut, wenn er zu Ende ist, daß man gern mit diesem närrischen Volk noch
eine Weile zu thun hätte; daß man aber, wenn man das Buch zuschlägt, die
Menschheit um einige Procent lieber hat. Und das ist gut in unserer Zeit,
wo man nicht selten die Aufregung, die auch ein begabter Dichter veranlaßt,
mit einem recht häßlichen Katzenjammer bezahlen muß.

Einen entschiedenen Vorzug hat'Fritz Reuter vor Jeremias Gotthelf: er
erzählt reinlicher. Der Schweizer Dichter macht uns zuweilen durch die ewigen
Episoden, durch die eingestreuten Predigten und durch die Weitschweifigkeit,
mit denen er seinen Nützlichkeitsideeu nachgeht, ungeduldig; in dieser Novelle
dagegen erlahmt das Interesse nie. Nur der Schluß ist dem Früheren nicht
ganz ebenbürtig: durch die Einmischung' eines neuen und etwas gewagten
Motivs, daß der dumme Müller glaubt, 'für einen Scheffel Getreide einen
Scheffel Mahlgeld nehmen zu können, wird die Ordnung etwas gestört.

Ein so völliges Ebenmaß wie in dieser Novelle herrscht in dem Gedicht
Hanne Unke allerdings nicht; dagegen hat es einzelne Schönheiten, die
noch ein ganz anderes Talent verrathen, als sich in den "Otte Kamelien" zeigt.
Es wird am zweckmäßigsten sein. Einiges mitzutheilen.

Hanne Unke ist ein Schmicdcgcsell aus dem mecklenburgischen Dorf
Gattin, der auf die Wanderschaft geht. Sein Vater erträgt den Abschied mit
männlicher Würde, die gute Mutter mit vielen Thränen; sie steckt ihm beim
Abschied noch einige Thaler und einige Butterbrodte (Bottings) in die Tasche
und in der Besorgniß, er werde seinen neuen Rock verlieren, bindet sie ihm
denselben mit ihrem Strumpfband fest. Bevor er scheidet, nimmt er noch
vom Herrn Pastor und vom Küster Abschied. Den letzteren, der als ge¬
bildeter Mann sich hochdeutsch zu reden bemüht und in diesem Bemühen
gern in die seltsamsten Formen verfällt, (z. B. die Endungen auf -- iss) trifft
er grade bei den Bienen (Immen), und der wackere Pädagog benutzt dieses
Zusammentreffen zu einer moralischen Lehre.

Die junge Menschheit waßt hcrannc
Jn's Handiimdrcihn, man weiß nich wo,
Un mit die Jenen is't ebenso,
Es ist dasselbigte Ereigniß.
sehr sie die Jenen hier zum Verglcichniß:
.Das stiegt in't Jrst blöd in den Gören lGartenl;

sie darstellt. Nicht blos Menschen wie der alte Herr Amtshauptmann Weber
oder Fickchen Voß, die man allerdings nicht blos im poetischen Spiegel
lieben würde, sondern alle miteinander sind Ideale: Mamsell Westphalen und
der preußische Windbeutel; Fritz Saalmann, der verschmitzte Gassenjunge, und
der würdige Rathsherr, der in Gedanken die Feldzugspläne gegen die Fran¬
zosen leitet. Bei diesem Roman kann man wirtlich sagen, daß es Einem leid
thut, wenn er zu Ende ist, daß man gern mit diesem närrischen Volk noch
eine Weile zu thun hätte; daß man aber, wenn man das Buch zuschlägt, die
Menschheit um einige Procent lieber hat. Und das ist gut in unserer Zeit,
wo man nicht selten die Aufregung, die auch ein begabter Dichter veranlaßt,
mit einem recht häßlichen Katzenjammer bezahlen muß.

Einen entschiedenen Vorzug hat'Fritz Reuter vor Jeremias Gotthelf: er
erzählt reinlicher. Der Schweizer Dichter macht uns zuweilen durch die ewigen
Episoden, durch die eingestreuten Predigten und durch die Weitschweifigkeit,
mit denen er seinen Nützlichkeitsideeu nachgeht, ungeduldig; in dieser Novelle
dagegen erlahmt das Interesse nie. Nur der Schluß ist dem Früheren nicht
ganz ebenbürtig: durch die Einmischung' eines neuen und etwas gewagten
Motivs, daß der dumme Müller glaubt, 'für einen Scheffel Getreide einen
Scheffel Mahlgeld nehmen zu können, wird die Ordnung etwas gestört.

Ein so völliges Ebenmaß wie in dieser Novelle herrscht in dem Gedicht
Hanne Unke allerdings nicht; dagegen hat es einzelne Schönheiten, die
noch ein ganz anderes Talent verrathen, als sich in den „Otte Kamelien" zeigt.
Es wird am zweckmäßigsten sein. Einiges mitzutheilen.

Hanne Unke ist ein Schmicdcgcsell aus dem mecklenburgischen Dorf
Gattin, der auf die Wanderschaft geht. Sein Vater erträgt den Abschied mit
männlicher Würde, die gute Mutter mit vielen Thränen; sie steckt ihm beim
Abschied noch einige Thaler und einige Butterbrodte (Bottings) in die Tasche
und in der Besorgniß, er werde seinen neuen Rock verlieren, bindet sie ihm
denselben mit ihrem Strumpfband fest. Bevor er scheidet, nimmt er noch
vom Herrn Pastor und vom Küster Abschied. Den letzteren, der als ge¬
bildeter Mann sich hochdeutsch zu reden bemüht und in diesem Bemühen
gern in die seltsamsten Formen verfällt, (z. B. die Endungen auf — iss) trifft
er grade bei den Bienen (Immen), und der wackere Pädagog benutzt dieses
Zusammentreffen zu einer moralischen Lehre.

Die junge Menschheit waßt hcrannc
Jn's Handiimdrcihn, man weiß nich wo,
Un mit die Jenen is't ebenso,
Es ist dasselbigte Ereigniß.
sehr sie die Jenen hier zum Verglcichniß:
.Das stiegt in't Jrst blöd in den Gören lGartenl;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0416" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111310"/>
          <p xml:id="ID_1390" prev="#ID_1389"> sie darstellt. Nicht blos Menschen wie der alte Herr Amtshauptmann Weber<lb/>
oder Fickchen Voß, die man allerdings nicht blos im poetischen Spiegel<lb/>
lieben würde, sondern alle miteinander sind Ideale: Mamsell Westphalen und<lb/>
der preußische Windbeutel; Fritz Saalmann, der verschmitzte Gassenjunge, und<lb/>
der würdige Rathsherr, der in Gedanken die Feldzugspläne gegen die Fran¬<lb/>
zosen leitet. Bei diesem Roman kann man wirtlich sagen, daß es Einem leid<lb/>
thut, wenn er zu Ende ist, daß man gern mit diesem närrischen Volk noch<lb/>
eine Weile zu thun hätte; daß man aber, wenn man das Buch zuschlägt, die<lb/>
Menschheit um einige Procent lieber hat. Und das ist gut in unserer Zeit,<lb/>
wo man nicht selten die Aufregung, die auch ein begabter Dichter veranlaßt,<lb/>
mit einem recht häßlichen Katzenjammer bezahlen muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1391"> Einen entschiedenen Vorzug hat'Fritz Reuter vor Jeremias Gotthelf: er<lb/>
erzählt reinlicher. Der Schweizer Dichter macht uns zuweilen durch die ewigen<lb/>
Episoden, durch die eingestreuten Predigten und durch die Weitschweifigkeit,<lb/>
mit denen er seinen Nützlichkeitsideeu nachgeht, ungeduldig; in dieser Novelle<lb/>
dagegen erlahmt das Interesse nie. Nur der Schluß ist dem Früheren nicht<lb/>
ganz ebenbürtig: durch die Einmischung' eines neuen und etwas gewagten<lb/>
Motivs, daß der dumme Müller glaubt, 'für einen Scheffel Getreide einen<lb/>
Scheffel Mahlgeld nehmen zu können, wird die Ordnung etwas gestört.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1392"> Ein so völliges Ebenmaß wie in dieser Novelle herrscht in dem Gedicht<lb/>
Hanne Unke allerdings nicht; dagegen hat es einzelne Schönheiten, die<lb/>
noch ein ganz anderes Talent verrathen, als sich in den &#x201E;Otte Kamelien" zeigt.<lb/>
Es wird am zweckmäßigsten sein. Einiges mitzutheilen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1393"> Hanne Unke ist ein Schmicdcgcsell aus dem mecklenburgischen Dorf<lb/>
Gattin, der auf die Wanderschaft geht. Sein Vater erträgt den Abschied mit<lb/>
männlicher Würde, die gute Mutter mit vielen Thränen; sie steckt ihm beim<lb/>
Abschied noch einige Thaler und einige Butterbrodte (Bottings) in die Tasche<lb/>
und in der Besorgniß, er werde seinen neuen Rock verlieren, bindet sie ihm<lb/>
denselben mit ihrem Strumpfband fest. Bevor er scheidet, nimmt er noch<lb/>
vom Herrn Pastor und vom Küster Abschied. Den letzteren, der als ge¬<lb/>
bildeter Mann sich hochdeutsch zu reden bemüht und in diesem Bemühen<lb/>
gern in die seltsamsten Formen verfällt, (z. B. die Endungen auf &#x2014; iss) trifft<lb/>
er grade bei den Bienen (Immen), und der wackere Pädagog benutzt dieses<lb/>
Zusammentreffen zu einer moralischen Lehre.</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_10" type="poem" next="#POEMID_11">
            <l> Die junge Menschheit waßt hcrannc<lb/>
Jn's Handiimdrcihn, man weiß nich wo,<lb/>
Un mit die Jenen is't ebenso,<lb/>
Es ist dasselbigte Ereigniß.<lb/>
sehr sie die Jenen hier zum Verglcichniß:<lb/>
.Das stiegt in't Jrst blöd in den Gören lGartenl;</l>
          </lg><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0416] sie darstellt. Nicht blos Menschen wie der alte Herr Amtshauptmann Weber oder Fickchen Voß, die man allerdings nicht blos im poetischen Spiegel lieben würde, sondern alle miteinander sind Ideale: Mamsell Westphalen und der preußische Windbeutel; Fritz Saalmann, der verschmitzte Gassenjunge, und der würdige Rathsherr, der in Gedanken die Feldzugspläne gegen die Fran¬ zosen leitet. Bei diesem Roman kann man wirtlich sagen, daß es Einem leid thut, wenn er zu Ende ist, daß man gern mit diesem närrischen Volk noch eine Weile zu thun hätte; daß man aber, wenn man das Buch zuschlägt, die Menschheit um einige Procent lieber hat. Und das ist gut in unserer Zeit, wo man nicht selten die Aufregung, die auch ein begabter Dichter veranlaßt, mit einem recht häßlichen Katzenjammer bezahlen muß. Einen entschiedenen Vorzug hat'Fritz Reuter vor Jeremias Gotthelf: er erzählt reinlicher. Der Schweizer Dichter macht uns zuweilen durch die ewigen Episoden, durch die eingestreuten Predigten und durch die Weitschweifigkeit, mit denen er seinen Nützlichkeitsideeu nachgeht, ungeduldig; in dieser Novelle dagegen erlahmt das Interesse nie. Nur der Schluß ist dem Früheren nicht ganz ebenbürtig: durch die Einmischung' eines neuen und etwas gewagten Motivs, daß der dumme Müller glaubt, 'für einen Scheffel Getreide einen Scheffel Mahlgeld nehmen zu können, wird die Ordnung etwas gestört. Ein so völliges Ebenmaß wie in dieser Novelle herrscht in dem Gedicht Hanne Unke allerdings nicht; dagegen hat es einzelne Schönheiten, die noch ein ganz anderes Talent verrathen, als sich in den „Otte Kamelien" zeigt. Es wird am zweckmäßigsten sein. Einiges mitzutheilen. Hanne Unke ist ein Schmicdcgcsell aus dem mecklenburgischen Dorf Gattin, der auf die Wanderschaft geht. Sein Vater erträgt den Abschied mit männlicher Würde, die gute Mutter mit vielen Thränen; sie steckt ihm beim Abschied noch einige Thaler und einige Butterbrodte (Bottings) in die Tasche und in der Besorgniß, er werde seinen neuen Rock verlieren, bindet sie ihm denselben mit ihrem Strumpfband fest. Bevor er scheidet, nimmt er noch vom Herrn Pastor und vom Küster Abschied. Den letzteren, der als ge¬ bildeter Mann sich hochdeutsch zu reden bemüht und in diesem Bemühen gern in die seltsamsten Formen verfällt, (z. B. die Endungen auf — iss) trifft er grade bei den Bienen (Immen), und der wackere Pädagog benutzt dieses Zusammentreffen zu einer moralischen Lehre. Die junge Menschheit waßt hcrannc Jn's Handiimdrcihn, man weiß nich wo, Un mit die Jenen is't ebenso, Es ist dasselbigte Ereigniß. sehr sie die Jenen hier zum Verglcichniß: .Das stiegt in't Jrst blöd in den Gören lGartenl;

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/416
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/416>, abgerufen am 15.01.2025.