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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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nichts weiter einzuwenden, als daß jedes Wort in demselben gemacht ist, d. h.
der Verfasser hat sich seinen Gedanken hochdeutsch ausgearbeitet nach dem Vor¬
bilde von Schiller und Körner, und dann dieses Elaborat ins Plattdeutsche
übersetzt. Wir sind nie in Mecklenburg gewesen, wagen aber g. xriori die
Behauptung, daß ein Schmiedcgescll, der seinen Kollegen dieses Opus auf¬
tischen wollte, von ihnen für einen Narren angesehen werden würde, und mit
Recht. Denn die Kunst, sich in so weitläufigen Bildern auszudrücken, ist das
Resultat einer hundertjährigen Kulturgeschichte, welche die plattdeutiche Mund¬
art eben nicht durchgemacht hat.

Man glaube doch nicht ungestraft dit wirkliche Geschichte überspringen zu
können. Möglich ist freilich alles: warum soll man nicht auch den Faust ins
Plattdeutsche übersetzen?


Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,
Umfaß' euch mit der Liebe holden Schranken,
Und was in schwankender Erscheinung schwebt
Befestiget mit dauernden Gedanken.

Für jedes dieser Worte wird sich gewiß auch ein plattdeutscher Ausdruck
finden lassen, und da durch Aneinanderstellung von Worten ein Satz gebildet
wird, so kann durch Uebersetzung aller dieser Worte ins Plattdeutsche gar wohl
ein Vers herauskommen, der einem Russen oder Italiener mit Hilfe des Lexi¬
kons sehr plausibel vorkommt: nur muß man einem Deutschen nicht zu-
muthen, eine solche Lüge gegen die Seele der Sprache hinzunehmen.

Denn das mögen die Niedersachsen doch nicht vergessen, daß sie vor allen
Dingen Deutsche siud! In der Hitze des Gefechts haben sie das wirklich mit¬
unter vergessen und sich grade so ausgedrückt, als wollten sie sich als eigne
Nation constituiren. Wäre es möglich, aus dem Plattdeutschen wirklich eine
Schriftsprache zu machen, die in Niedersachsen das Hochdeutsche verdrängte,
so wäre es das größte Unglück, was Deutschland widerfahren könnte, ja es
wäre der erste Schritt zu seinem völligen Ruin. Glücklicherweise ist es nicht
möglich, und das Plattdeutsche wird sich bescheiden müssen, die weniger an¬
spruchsvolle aber nützlichere Aufgabe zu übernehmen, für gewisse eng- .
beschränkte Kreise des Denkens und Empfindens, nämlich für den Kreis
des Hauses unsere wahre und allgemeine Schriftsprache zu ergänzen.

In der Ausübung hat Fritz Reuter den richtige" Jnstinct für diese Wahr¬
heit. Die beiden Werte, die wir von ihm gelesen haben, in Prosa und in
Versen, geben von dem Umfang seines Talents wenigstens eine ungefähre
Anschauung. Die kleine Erzählung, welche den Eingang zu den "Otte Kamelien"
bildet, hat zwar eine sehr gute Stimmung, aber keinen festen Bau; die Per¬
sonen sind weiter nichts als Träger dieser Stimmung. Dagegen ist in der


nichts weiter einzuwenden, als daß jedes Wort in demselben gemacht ist, d. h.
der Verfasser hat sich seinen Gedanken hochdeutsch ausgearbeitet nach dem Vor¬
bilde von Schiller und Körner, und dann dieses Elaborat ins Plattdeutsche
übersetzt. Wir sind nie in Mecklenburg gewesen, wagen aber g. xriori die
Behauptung, daß ein Schmiedcgescll, der seinen Kollegen dieses Opus auf¬
tischen wollte, von ihnen für einen Narren angesehen werden würde, und mit
Recht. Denn die Kunst, sich in so weitläufigen Bildern auszudrücken, ist das
Resultat einer hundertjährigen Kulturgeschichte, welche die plattdeutiche Mund¬
art eben nicht durchgemacht hat.

Man glaube doch nicht ungestraft dit wirkliche Geschichte überspringen zu
können. Möglich ist freilich alles: warum soll man nicht auch den Faust ins
Plattdeutsche übersetzen?


Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,
Umfaß' euch mit der Liebe holden Schranken,
Und was in schwankender Erscheinung schwebt
Befestiget mit dauernden Gedanken.

Für jedes dieser Worte wird sich gewiß auch ein plattdeutscher Ausdruck
finden lassen, und da durch Aneinanderstellung von Worten ein Satz gebildet
wird, so kann durch Uebersetzung aller dieser Worte ins Plattdeutsche gar wohl
ein Vers herauskommen, der einem Russen oder Italiener mit Hilfe des Lexi¬
kons sehr plausibel vorkommt: nur muß man einem Deutschen nicht zu-
muthen, eine solche Lüge gegen die Seele der Sprache hinzunehmen.

Denn das mögen die Niedersachsen doch nicht vergessen, daß sie vor allen
Dingen Deutsche siud! In der Hitze des Gefechts haben sie das wirklich mit¬
unter vergessen und sich grade so ausgedrückt, als wollten sie sich als eigne
Nation constituiren. Wäre es möglich, aus dem Plattdeutschen wirklich eine
Schriftsprache zu machen, die in Niedersachsen das Hochdeutsche verdrängte,
so wäre es das größte Unglück, was Deutschland widerfahren könnte, ja es
wäre der erste Schritt zu seinem völligen Ruin. Glücklicherweise ist es nicht
möglich, und das Plattdeutsche wird sich bescheiden müssen, die weniger an¬
spruchsvolle aber nützlichere Aufgabe zu übernehmen, für gewisse eng- .
beschränkte Kreise des Denkens und Empfindens, nämlich für den Kreis
des Hauses unsere wahre und allgemeine Schriftsprache zu ergänzen.

In der Ausübung hat Fritz Reuter den richtige» Jnstinct für diese Wahr¬
heit. Die beiden Werte, die wir von ihm gelesen haben, in Prosa und in
Versen, geben von dem Umfang seines Talents wenigstens eine ungefähre
Anschauung. Die kleine Erzählung, welche den Eingang zu den „Otte Kamelien"
bildet, hat zwar eine sehr gute Stimmung, aber keinen festen Bau; die Per¬
sonen sind weiter nichts als Träger dieser Stimmung. Dagegen ist in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/414>, abgerufen am 15.01.2025.