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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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wollen wir nickt nacherzählen, Die Hand, welche das vorstehende Bild tiro¬
ler Zustände zeichnete, war nicht vom Hasse gegen Oestreich und seine Dynastie,
sondern von der Liebe zur Wahrheit geleitet. Der Leser jedoch wird es be¬
greiflich finden, wenn die Bevölkerung diese Wirthschaft bis an den Hals satt
hatte, wenn man im Unterinnthale den Wunsch eines Anschlusses an Baiern
horte, wenn im Binschgau ein Bauer dem Statthalter grade heraussagte:
"Wir möchten schweizerisch werden!"

So traf uns das Jahr 1859. Mit der Negierung sympathisierten Wenige,
die große Masse war gleichgiltig, die Verständigen fürchteten von einem Siege
in Italien den Untergang in den Sümpfen der Reaction und die Steigerung
des ohnehin schon sehr unbequemen Uebermuthes der Herrn Offiziere, welche
sogar Magistratsräthe auf der Straße ohrfeigte", ohne daß diesen eine erkleckliche
Genugthuung wurde. Im Allgemeinen erwartete man einen ruhmvollen Feld¬
zug. Die Armee war ja bisher das Schoßkind des Hauses gewesen, auf dessen
Förderung man Millionen verwendet und den öffentlichen Wohlstand er¬
schöpft hatte, sollte sie jetzt, wo es zum Ernst kam, versagen, nachdem sie auf
der schmolz zu Wie" so prächtig exerzirt hatte? Freilich wer schärfer hinsah,
wurde etwas bedenklich. Zwar der gemeine Soldat hat sich wie in allen
Kriegen Oestreichs trefflich geschlagen, aber die Führung! Die Carricntur, welche
die Soldaten mit Löwenköpfen, die Generale mit dem Haupte des Thieres,
welches einst widerrechtlich das Löwenfell anzog, darstellte, hat den Sachver¬
halt nur zu richtig bezeichnet. Hochmuth kommt vor dem Fall! Ich hörte zu
Bolzen öffentlich im Kaffeehaus einen Offizier ausrufen: "Diese elenden Fran¬
zosen! wir werden sie wie mit einem Schwämme wegwischen und in vierzehn
Tagen über die Alpen zurückjagen!" Wie die Grandseigneurs in den Krieg
gingen, zeigte ein Feldmarschalllieutenant am Gcirdasee, welcher sich von einem
Schützenossizier die betreffenden Blätter der Generalstabskarte borgte. Dazu
die Rohheit, mit der man den gemeinen Mann mißhandelte, und welche i"
Tirol solche Entrüstung erregte, daß die Bauern bald zu Thätlichkeiten gegen
die Herren vom Portepee geschritten wären.

Das arme Ländchen wurde von den Kriegsereignissen in Italien sehr
empfindlich berührt. Zuerst die endlosen Truppendurchmärsche, welche die Dör¬
fer an der Straße fast aufzehrten, dann die Schaaren Verwundeter, die i"
einer Weise vernachlässigt waren, welche in der neuesten Kriegsgeschichte nur in
Nußland eine Parallele hat, und das öffentliche Mitleid oft über die Kräfte der
Einzelnen in Anspruch nahmen. Haben sich die Männer Tirols häusig genug
Ruhm erfochten, so gehört die Ehre dieses Jahres den Frauen. Auch die Schütze"
wurden zur Vertheidigung der Grenze aufgeboten; in die Compagnien ließen
sich aber fast nur solche einreihen, welchen der hohe Sold einen angenehmen
Müßiggang versprach. Die Bauern äußerten-, man werde doch keinen Dank


wollen wir nickt nacherzählen, Die Hand, welche das vorstehende Bild tiro¬
ler Zustände zeichnete, war nicht vom Hasse gegen Oestreich und seine Dynastie,
sondern von der Liebe zur Wahrheit geleitet. Der Leser jedoch wird es be¬
greiflich finden, wenn die Bevölkerung diese Wirthschaft bis an den Hals satt
hatte, wenn man im Unterinnthale den Wunsch eines Anschlusses an Baiern
horte, wenn im Binschgau ein Bauer dem Statthalter grade heraussagte:
„Wir möchten schweizerisch werden!"

So traf uns das Jahr 1859. Mit der Negierung sympathisierten Wenige,
die große Masse war gleichgiltig, die Verständigen fürchteten von einem Siege
in Italien den Untergang in den Sümpfen der Reaction und die Steigerung
des ohnehin schon sehr unbequemen Uebermuthes der Herrn Offiziere, welche
sogar Magistratsräthe auf der Straße ohrfeigte», ohne daß diesen eine erkleckliche
Genugthuung wurde. Im Allgemeinen erwartete man einen ruhmvollen Feld¬
zug. Die Armee war ja bisher das Schoßkind des Hauses gewesen, auf dessen
Förderung man Millionen verwendet und den öffentlichen Wohlstand er¬
schöpft hatte, sollte sie jetzt, wo es zum Ernst kam, versagen, nachdem sie auf
der schmolz zu Wie» so prächtig exerzirt hatte? Freilich wer schärfer hinsah,
wurde etwas bedenklich. Zwar der gemeine Soldat hat sich wie in allen
Kriegen Oestreichs trefflich geschlagen, aber die Führung! Die Carricntur, welche
die Soldaten mit Löwenköpfen, die Generale mit dem Haupte des Thieres,
welches einst widerrechtlich das Löwenfell anzog, darstellte, hat den Sachver¬
halt nur zu richtig bezeichnet. Hochmuth kommt vor dem Fall! Ich hörte zu
Bolzen öffentlich im Kaffeehaus einen Offizier ausrufen: „Diese elenden Fran¬
zosen! wir werden sie wie mit einem Schwämme wegwischen und in vierzehn
Tagen über die Alpen zurückjagen!" Wie die Grandseigneurs in den Krieg
gingen, zeigte ein Feldmarschalllieutenant am Gcirdasee, welcher sich von einem
Schützenossizier die betreffenden Blätter der Generalstabskarte borgte. Dazu
die Rohheit, mit der man den gemeinen Mann mißhandelte, und welche i»
Tirol solche Entrüstung erregte, daß die Bauern bald zu Thätlichkeiten gegen
die Herren vom Portepee geschritten wären.

Das arme Ländchen wurde von den Kriegsereignissen in Italien sehr
empfindlich berührt. Zuerst die endlosen Truppendurchmärsche, welche die Dör¬
fer an der Straße fast aufzehrten, dann die Schaaren Verwundeter, die i»
einer Weise vernachlässigt waren, welche in der neuesten Kriegsgeschichte nur in
Nußland eine Parallele hat, und das öffentliche Mitleid oft über die Kräfte der
Einzelnen in Anspruch nahmen. Haben sich die Männer Tirols häusig genug
Ruhm erfochten, so gehört die Ehre dieses Jahres den Frauen. Auch die Schütze»
wurden zur Vertheidigung der Grenze aufgeboten; in die Compagnien ließen
sich aber fast nur solche einreihen, welchen der hohe Sold einen angenehmen
Müßiggang versprach. Die Bauern äußerten-, man werde doch keinen Dank


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/388>, abgerufen am 15.01.2025.