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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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spiel betreiben, bei dem der Gewinn nicht von der Berechnung, sondern vom
Zufalle abhängt. Zugleich bleiben die Waaren, welche nicht einem unmittel¬
baren Bedürfnisse dienen, liegen, weil niemand mehr kaufen will. Wie demo-
ralisirend die Banknoten auf die untern Volksklassen, welche vom täglichen
Erwerbe leben, wirken, ist schon mehrfach und von verschiedenen Seiten er-
läutert worden. Früher suchte ein braver 'und fleißiger Arbeiter von seinem
Wochenlohn einen Silbergulden zurückzulegen für spätere Tage, vielleicht auch
in der stillen Hoffnung, einst sein eigener Herr zu werden. Jetzt will jeder
seinen Papierfleck, der ja morgen schon den halben Werth eingebüßt haben
kann, wieder los werden, und Wirthshäuser, wo er dieses auf die ange¬
nehmste Art thun kann, stehen immer offen. Schadet diese elende Geldwirth¬
schaft der Regierung überhaupt schon durch ihr bloßes Vorhandensein, indem
sie jeden stündlich durch die nächst beste Banknote, die er in die Hand nimmt,
daran erinnert, daß Vieles anders sein könnte, so trägt sie anch indirect zur
Herabwürdigung der Regierungsorgane bei. Die Beamten können nicht, wie
der Gewerbsmann seine Preise, ihre Besoldung erhöhen, Nebenverdienst bietet
sich ihnen selten oder gar nicht, und dennoch verlangt man von ihnen ein
standesgemäßes Auftreten. Ein Gehalt von tausend Gulden galt in früherer
Zeit als anständige Versorgung. Für viele wackere Staatsdiener war es das
letzte Ziel ihres Strebens. Was gelten nun tausend Gulden auf ihren wahren
Werth in Silber reducirt? Kaum 440 Thlr., und davon soll eine Familie,
deren Haupt bereits einer mittleren Diätcnklasse angehört, sich für ein ganzes
Jahr Kost, Kleidung und Wohnung schaffen. Wahrhaft kläglich ist die Noth
der niedrigen Beamten, welche sich weniger verdienen als der nächste beste
Schneidergeselle und daher Jahr aus Jahr ein zu Kartoffeln und Wassersuppe
verurtheilt sind. So ist der ganze Stand dem Schuster, dem Mehlhändler,
dem Bäcker verschuldet und sinkt bei zunehmender Armuth, die nicht von allen
mit Würde getragen wird, mehr und mehr in der öffentlichen Achtung. Der
Bauer, der Bürger begreift nicht, wozu denn "diese Horde Federviehes" nütz¬
lich sei. weil er sich noch nicht zur sublimen Höhe Bach'Saker Staatsmechanik
emporgeschwungen, und verwünscht alle diese "faulen Fresser", die er aus sei¬
nem Beutel füttern soll, ohne Rücksicht aus das unverschuldete Elend derselben.
Als ob es an diesen Uebeln noch nicht genug wäre, erbittert man die Leute
auch noch durch die finanzielle Manipulation, mit welcher man manche Steuern,
wie die Accise. die Weinsteuer einhebt. Um ordentlich zu controlliren. daß kein
Pfennig verloren geht, gibt man einen Gulden für die Controlle aus und
wird daneben noch um zehn Gulden betrogen. Im Etschland wurde vorher
viel Branntwein erzeugt; das amtliche Verfahren, welches das Brennen begleitet,
ist aber so lästig, daß manche Oekonomen die Weinträbern lieber gleich den
Schweinen geben, statt sie auf Branntwein zu verwenden. Viel Branntwein


spiel betreiben, bei dem der Gewinn nicht von der Berechnung, sondern vom
Zufalle abhängt. Zugleich bleiben die Waaren, welche nicht einem unmittel¬
baren Bedürfnisse dienen, liegen, weil niemand mehr kaufen will. Wie demo-
ralisirend die Banknoten auf die untern Volksklassen, welche vom täglichen
Erwerbe leben, wirken, ist schon mehrfach und von verschiedenen Seiten er-
läutert worden. Früher suchte ein braver 'und fleißiger Arbeiter von seinem
Wochenlohn einen Silbergulden zurückzulegen für spätere Tage, vielleicht auch
in der stillen Hoffnung, einst sein eigener Herr zu werden. Jetzt will jeder
seinen Papierfleck, der ja morgen schon den halben Werth eingebüßt haben
kann, wieder los werden, und Wirthshäuser, wo er dieses auf die ange¬
nehmste Art thun kann, stehen immer offen. Schadet diese elende Geldwirth¬
schaft der Regierung überhaupt schon durch ihr bloßes Vorhandensein, indem
sie jeden stündlich durch die nächst beste Banknote, die er in die Hand nimmt,
daran erinnert, daß Vieles anders sein könnte, so trägt sie anch indirect zur
Herabwürdigung der Regierungsorgane bei. Die Beamten können nicht, wie
der Gewerbsmann seine Preise, ihre Besoldung erhöhen, Nebenverdienst bietet
sich ihnen selten oder gar nicht, und dennoch verlangt man von ihnen ein
standesgemäßes Auftreten. Ein Gehalt von tausend Gulden galt in früherer
Zeit als anständige Versorgung. Für viele wackere Staatsdiener war es das
letzte Ziel ihres Strebens. Was gelten nun tausend Gulden auf ihren wahren
Werth in Silber reducirt? Kaum 440 Thlr., und davon soll eine Familie,
deren Haupt bereits einer mittleren Diätcnklasse angehört, sich für ein ganzes
Jahr Kost, Kleidung und Wohnung schaffen. Wahrhaft kläglich ist die Noth
der niedrigen Beamten, welche sich weniger verdienen als der nächste beste
Schneidergeselle und daher Jahr aus Jahr ein zu Kartoffeln und Wassersuppe
verurtheilt sind. So ist der ganze Stand dem Schuster, dem Mehlhändler,
dem Bäcker verschuldet und sinkt bei zunehmender Armuth, die nicht von allen
mit Würde getragen wird, mehr und mehr in der öffentlichen Achtung. Der
Bauer, der Bürger begreift nicht, wozu denn „diese Horde Federviehes" nütz¬
lich sei. weil er sich noch nicht zur sublimen Höhe Bach'Saker Staatsmechanik
emporgeschwungen, und verwünscht alle diese „faulen Fresser", die er aus sei¬
nem Beutel füttern soll, ohne Rücksicht aus das unverschuldete Elend derselben.
Als ob es an diesen Uebeln noch nicht genug wäre, erbittert man die Leute
auch noch durch die finanzielle Manipulation, mit welcher man manche Steuern,
wie die Accise. die Weinsteuer einhebt. Um ordentlich zu controlliren. daß kein
Pfennig verloren geht, gibt man einen Gulden für die Controlle aus und
wird daneben noch um zehn Gulden betrogen. Im Etschland wurde vorher
viel Branntwein erzeugt; das amtliche Verfahren, welches das Brennen begleitet,
ist aber so lästig, daß manche Oekonomen die Weinträbern lieber gleich den
Schweinen geben, statt sie auf Branntwein zu verwenden. Viel Branntwein


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[0383] spiel betreiben, bei dem der Gewinn nicht von der Berechnung, sondern vom Zufalle abhängt. Zugleich bleiben die Waaren, welche nicht einem unmittel¬ baren Bedürfnisse dienen, liegen, weil niemand mehr kaufen will. Wie demo- ralisirend die Banknoten auf die untern Volksklassen, welche vom täglichen Erwerbe leben, wirken, ist schon mehrfach und von verschiedenen Seiten er- läutert worden. Früher suchte ein braver 'und fleißiger Arbeiter von seinem Wochenlohn einen Silbergulden zurückzulegen für spätere Tage, vielleicht auch in der stillen Hoffnung, einst sein eigener Herr zu werden. Jetzt will jeder seinen Papierfleck, der ja morgen schon den halben Werth eingebüßt haben kann, wieder los werden, und Wirthshäuser, wo er dieses auf die ange¬ nehmste Art thun kann, stehen immer offen. Schadet diese elende Geldwirth¬ schaft der Regierung überhaupt schon durch ihr bloßes Vorhandensein, indem sie jeden stündlich durch die nächst beste Banknote, die er in die Hand nimmt, daran erinnert, daß Vieles anders sein könnte, so trägt sie anch indirect zur Herabwürdigung der Regierungsorgane bei. Die Beamten können nicht, wie der Gewerbsmann seine Preise, ihre Besoldung erhöhen, Nebenverdienst bietet sich ihnen selten oder gar nicht, und dennoch verlangt man von ihnen ein standesgemäßes Auftreten. Ein Gehalt von tausend Gulden galt in früherer Zeit als anständige Versorgung. Für viele wackere Staatsdiener war es das letzte Ziel ihres Strebens. Was gelten nun tausend Gulden auf ihren wahren Werth in Silber reducirt? Kaum 440 Thlr., und davon soll eine Familie, deren Haupt bereits einer mittleren Diätcnklasse angehört, sich für ein ganzes Jahr Kost, Kleidung und Wohnung schaffen. Wahrhaft kläglich ist die Noth der niedrigen Beamten, welche sich weniger verdienen als der nächste beste Schneidergeselle und daher Jahr aus Jahr ein zu Kartoffeln und Wassersuppe verurtheilt sind. So ist der ganze Stand dem Schuster, dem Mehlhändler, dem Bäcker verschuldet und sinkt bei zunehmender Armuth, die nicht von allen mit Würde getragen wird, mehr und mehr in der öffentlichen Achtung. Der Bauer, der Bürger begreift nicht, wozu denn „diese Horde Federviehes" nütz¬ lich sei. weil er sich noch nicht zur sublimen Höhe Bach'Saker Staatsmechanik emporgeschwungen, und verwünscht alle diese „faulen Fresser", die er aus sei¬ nem Beutel füttern soll, ohne Rücksicht aus das unverschuldete Elend derselben. Als ob es an diesen Uebeln noch nicht genug wäre, erbittert man die Leute auch noch durch die finanzielle Manipulation, mit welcher man manche Steuern, wie die Accise. die Weinsteuer einhebt. Um ordentlich zu controlliren. daß kein Pfennig verloren geht, gibt man einen Gulden für die Controlle aus und wird daneben noch um zehn Gulden betrogen. Im Etschland wurde vorher viel Branntwein erzeugt; das amtliche Verfahren, welches das Brennen begleitet, ist aber so lästig, daß manche Oekonomen die Weinträbern lieber gleich den Schweinen geben, statt sie auf Branntwein zu verwenden. Viel Branntwein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/383>, abgerufen am 15.01.2025.