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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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war, verscheuchen wollen. In der That, wenn die Franzosen einen Raubkrieg
unternehmen wollten, Veranlassung hätte ihnen das letzte Jahr genug geboten.
Aber der Kaiser Napoleon wird sich wol hüten, sich in ein Unternehmen ein¬
zulassen, bei dem er mehr als alle seine Gegner, bei dem er Krone und Leben
muss Spiel setzt. Der Krieg ist nicht sein Metier, wie daS seines großen
Oheims, und besser als dieser weiß er zu berechnen, in welchem Verhältniß der
zu hoffende Gewinn zum Einsatz steht. -- Einem Angriffskrieg Frankreichs
können wir, auch ohne Oestreich, auch ohne England mit Ruhe entgegensehen.
Sollten sich irgendwo Rheinbundgelüste regen, so wird die einfache Betrach¬
tung, daß in diesem Fall ein Friede auf Kosten der Abgefallenen geschlossen
werden könnte, diese Gelüste beseitigen -- solange nicht die Leidenschaften
die Vernunft verfinstern.

Und dies ist der Punkt, in dem wir die Politik des Ministeriums be.
steifen, als es sich gegen das Amendement Slaven ha gen aussprnch.. Es
fürchtet die schwache Stelle seiner Bundesgenossen unsanft zu berühren. Diese
schwache Stelle ist die Besorgniß vor den Anncxionsplänen Preußens. In
jeder Reform der deutschen Verfassung im Sinn eines engern Bundesstaats
sehen sie den ersten Schritt zu einer Einverleibung. Die preußische Re¬
gierung fühlt sich verpflichtet, nach dieser Seite hin die zarteste Rücksicht zu
beobachten. -- Sei es. wenn sie nur in den Thatsachen nicht vom rechten
Wege abkommt!

Seit dem verunglückten Unionsversuch haben sich die deutschen Verhältnisse
wesentlich verändert. -- Nach der Eroberung Ungarns erschien Oestreich in seinen
e>gelten Augen als ein aufstrebender Staat, der seine Macht auch als sein Recht
behaupten durste, Olmütz zeigte Preußen in seiner SchwäHe, und diese Schwäche
wurde von Jahr zu Jahr augenscheinlicher. -- Den Gipfel erreichte Oestreichs
Übergewicht un ersten Jahr des russischen Krieges; es schien sogar, als wolle
^ sich zu einer großen Politik aufraffen. -- Die erste Täuschung erlebte es,
"is seine bisherigen Bundesgenossen, die Mittelstaaten. Preußen in seinem
Widerstreben gegen die Action unterstützten. Es war nicht in ihrem Interesse,
d"ß Oestreich große Politik trieb; sie wollten nur das Oestreich der heiligen
Allianz, das conservative. das legitimistische. -- Und nun zeigte sich, daß
Oestreich auch seine eigenen Kräfte überschätzt; es verlor den Muth, und an-
s!"et sich an die Spitze der europäischen Bewegung zu stellen, suchte es in
Reinlicher zaghafter Weise sie auszubeuten. Die Folge war. daß es sich
schmählich zurückgewiesen sah. -- Von dieser Stunde datirt sein allmäli-
ger Fall.

Der Fall ist in riesenhaften Dimensionen fortgeschritten. Napoleon hat
>e Verhältnisse nicht gemacht, mit seinem starken Sinn für Realität hat er
>U aber gesehen und ausgebeutet. -- Die Hegemonie über Italien ist un-


war, verscheuchen wollen. In der That, wenn die Franzosen einen Raubkrieg
unternehmen wollten, Veranlassung hätte ihnen das letzte Jahr genug geboten.
Aber der Kaiser Napoleon wird sich wol hüten, sich in ein Unternehmen ein¬
zulassen, bei dem er mehr als alle seine Gegner, bei dem er Krone und Leben
muss Spiel setzt. Der Krieg ist nicht sein Metier, wie daS seines großen
Oheims, und besser als dieser weiß er zu berechnen, in welchem Verhältniß der
zu hoffende Gewinn zum Einsatz steht. — Einem Angriffskrieg Frankreichs
können wir, auch ohne Oestreich, auch ohne England mit Ruhe entgegensehen.
Sollten sich irgendwo Rheinbundgelüste regen, so wird die einfache Betrach¬
tung, daß in diesem Fall ein Friede auf Kosten der Abgefallenen geschlossen
werden könnte, diese Gelüste beseitigen — solange nicht die Leidenschaften
die Vernunft verfinstern.

Und dies ist der Punkt, in dem wir die Politik des Ministeriums be.
steifen, als es sich gegen das Amendement Slaven ha gen aussprnch.. Es
fürchtet die schwache Stelle seiner Bundesgenossen unsanft zu berühren. Diese
schwache Stelle ist die Besorgniß vor den Anncxionsplänen Preußens. In
jeder Reform der deutschen Verfassung im Sinn eines engern Bundesstaats
sehen sie den ersten Schritt zu einer Einverleibung. Die preußische Re¬
gierung fühlt sich verpflichtet, nach dieser Seite hin die zarteste Rücksicht zu
beobachten. — Sei es. wenn sie nur in den Thatsachen nicht vom rechten
Wege abkommt!

Seit dem verunglückten Unionsversuch haben sich die deutschen Verhältnisse
wesentlich verändert. — Nach der Eroberung Ungarns erschien Oestreich in seinen
e>gelten Augen als ein aufstrebender Staat, der seine Macht auch als sein Recht
behaupten durste, Olmütz zeigte Preußen in seiner SchwäHe, und diese Schwäche
wurde von Jahr zu Jahr augenscheinlicher. — Den Gipfel erreichte Oestreichs
Übergewicht un ersten Jahr des russischen Krieges; es schien sogar, als wolle
^ sich zu einer großen Politik aufraffen. — Die erste Täuschung erlebte es,
"is seine bisherigen Bundesgenossen, die Mittelstaaten. Preußen in seinem
Widerstreben gegen die Action unterstützten. Es war nicht in ihrem Interesse,
d"ß Oestreich große Politik trieb; sie wollten nur das Oestreich der heiligen
Allianz, das conservative. das legitimistische. — Und nun zeigte sich, daß
Oestreich auch seine eigenen Kräfte überschätzt; es verlor den Muth, und an-
s!"et sich an die Spitze der europäischen Bewegung zu stellen, suchte es in
Reinlicher zaghafter Weise sie auszubeuten. Die Folge war. daß es sich
schmählich zurückgewiesen sah. — Von dieser Stunde datirt sein allmäli-
ger Fall.

Der Fall ist in riesenhaften Dimensionen fortgeschritten. Napoleon hat
>e Verhältnisse nicht gemacht, mit seinem starken Sinn für Realität hat er
>U aber gesehen und ausgebeutet. — Die Hegemonie über Italien ist un-


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[0361] war, verscheuchen wollen. In der That, wenn die Franzosen einen Raubkrieg unternehmen wollten, Veranlassung hätte ihnen das letzte Jahr genug geboten. Aber der Kaiser Napoleon wird sich wol hüten, sich in ein Unternehmen ein¬ zulassen, bei dem er mehr als alle seine Gegner, bei dem er Krone und Leben muss Spiel setzt. Der Krieg ist nicht sein Metier, wie daS seines großen Oheims, und besser als dieser weiß er zu berechnen, in welchem Verhältniß der zu hoffende Gewinn zum Einsatz steht. — Einem Angriffskrieg Frankreichs können wir, auch ohne Oestreich, auch ohne England mit Ruhe entgegensehen. Sollten sich irgendwo Rheinbundgelüste regen, so wird die einfache Betrach¬ tung, daß in diesem Fall ein Friede auf Kosten der Abgefallenen geschlossen werden könnte, diese Gelüste beseitigen — solange nicht die Leidenschaften die Vernunft verfinstern. Und dies ist der Punkt, in dem wir die Politik des Ministeriums be. steifen, als es sich gegen das Amendement Slaven ha gen aussprnch.. Es fürchtet die schwache Stelle seiner Bundesgenossen unsanft zu berühren. Diese schwache Stelle ist die Besorgniß vor den Anncxionsplänen Preußens. In jeder Reform der deutschen Verfassung im Sinn eines engern Bundesstaats sehen sie den ersten Schritt zu einer Einverleibung. Die preußische Re¬ gierung fühlt sich verpflichtet, nach dieser Seite hin die zarteste Rücksicht zu beobachten. — Sei es. wenn sie nur in den Thatsachen nicht vom rechten Wege abkommt! Seit dem verunglückten Unionsversuch haben sich die deutschen Verhältnisse wesentlich verändert. — Nach der Eroberung Ungarns erschien Oestreich in seinen e>gelten Augen als ein aufstrebender Staat, der seine Macht auch als sein Recht behaupten durste, Olmütz zeigte Preußen in seiner SchwäHe, und diese Schwäche wurde von Jahr zu Jahr augenscheinlicher. — Den Gipfel erreichte Oestreichs Übergewicht un ersten Jahr des russischen Krieges; es schien sogar, als wolle ^ sich zu einer großen Politik aufraffen. — Die erste Täuschung erlebte es, "is seine bisherigen Bundesgenossen, die Mittelstaaten. Preußen in seinem Widerstreben gegen die Action unterstützten. Es war nicht in ihrem Interesse, d"ß Oestreich große Politik trieb; sie wollten nur das Oestreich der heiligen Allianz, das conservative. das legitimistische. — Und nun zeigte sich, daß Oestreich auch seine eigenen Kräfte überschätzt; es verlor den Muth, und an- s!"et sich an die Spitze der europäischen Bewegung zu stellen, suchte es in Reinlicher zaghafter Weise sie auszubeuten. Die Folge war. daß es sich schmählich zurückgewiesen sah. — Von dieser Stunde datirt sein allmäli- ger Fall. Der Fall ist in riesenhaften Dimensionen fortgeschritten. Napoleon hat >e Verhältnisse nicht gemacht, mit seinem starken Sinn für Realität hat er >U aber gesehen und ausgebeutet. — Die Hegemonie über Italien ist un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/361>, abgerufen am 22.07.2024.