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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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miete" dringlich verloren, sein Besitzstand von dieser Seite gefährdet, Oestreich
ist in der unglücklichen Lage, eine Armee halten zu müssen, die seine letzten
Kräfte aussaugt, und diese nicht gebrauchen zu können.

Gleichzeitig hat sich die Hohlheit seiner innern Einbeitsversuchc gezeigt.
Das Schwarzenbergsche Oestreich war eine Illusion. -- Wie Frankreich 1787,
wird Oestreich durch den bevorstehenden Banquerott gezwungen, die Notabel"
zu berufe". Die Notabeln verlangen eine Verfassung. Oestreich betritt den >
Weg, den ihm die Geschichte als den einzig richtigen anwies: es läßt das
System der letzten zehn Jahre fallen, es restituirt die Verfassung Ungarns,
verspricht den andern Ländern eine ähnliche, dem Gesammtstaat eine aus die
Specialverfassungen basirte. -- Die nächste Folge ist wilde Aufregung in
Ungarn, radicale Zertrümmerung der bestehenden Zustände; in den andern
Provinzen allgemeine Unzufriedenheit über die Bevorzugung Ungarns; und,
schlimmer als das Alles! nirgend Geld, nirgend eine Aussicht auf Abhilfe
der dringendsten Noth.

Gleichviel, der Weg der Regierung war doch der richtige, oder vielmehr
der einzig mögliche. Die Zustände waren so verworren, daß, wenn der weiseste
und kühnste aller Sterblichen das Werk der Restauration hätte unternehmen wollen,
die nächste Folge doch nnr eine verstärkte Verwirrung hätte sein müssen. --
Ueber diesen Uebergangszustand kommt man nicht hinweg, die Sünden der Ver¬
gangenheit wollen gebüßt sein. Wir glauben und hoffen, daß es Oestreich ge¬
lingen wird, sich wiederzufinden -- wohlgemerkt, als Föderativstaat, nicht
als Einheitstaat; der letztere ist unmöglich. -- Wir hoffen es nicht blos für
Oestreich, sondern auch für uns; denn auch für uns, wie wir jetzt stehen, ist
der Fortbestand der östreichischen Monarchie ein dringendes Bedürfniß.

Aber wir können ihm nicht weiter zu Hilfe kommen, als daß wir sein
Bundesgebiet decken. Das zu thun sind wir verpflichtet, auch ohne weitere
Zugeständnisse von Seiten Oestreichs. Wir haben die Pflicht. Deutschland un¬
geschmälert der Zukunft zu bewahren. -- Weiter hinaus können wir nicht gehen,
ohne durch zu enge Berührung mit einem durch und durch kranken Körper
unser eigenes Leben zu gefährden.

Wir zweifeln nicht, daß auch die preußische Regierung das erkennt. Arier
Verhältniß zu Oestreich ist unter allen europäischen Fragen die Hauptsache
nach ihm müssen sich die Parteien scheiden. Es handelt sich nicht darum, ob
liberal, reactionär, demokratisch, parlamentarisch, kaiserlich u. s. w.; das Alles
kann erst entschieden werden, sobald die Einsicht allgemein verbreitet ist. daß eine
engere Vereinigung (abgesehen von dem völkerrechtlichen Verhältniß, das un¬
angetastet bleiben soll) Deutschlands die östreichischen Provinzen für jetzt nicht
umfassen kann -- für jetzt! denn für kommende Jahrhunderte haben wlk
nicht zu sorgen. -- Jeder Gedanke einer Möglichkeit, Oestreich dennoch für


miete» dringlich verloren, sein Besitzstand von dieser Seite gefährdet, Oestreich
ist in der unglücklichen Lage, eine Armee halten zu müssen, die seine letzten
Kräfte aussaugt, und diese nicht gebrauchen zu können.

Gleichzeitig hat sich die Hohlheit seiner innern Einbeitsversuchc gezeigt.
Das Schwarzenbergsche Oestreich war eine Illusion. — Wie Frankreich 1787,
wird Oestreich durch den bevorstehenden Banquerott gezwungen, die Notabel»
zu berufe«. Die Notabeln verlangen eine Verfassung. Oestreich betritt den >
Weg, den ihm die Geschichte als den einzig richtigen anwies: es läßt das
System der letzten zehn Jahre fallen, es restituirt die Verfassung Ungarns,
verspricht den andern Ländern eine ähnliche, dem Gesammtstaat eine aus die
Specialverfassungen basirte. — Die nächste Folge ist wilde Aufregung in
Ungarn, radicale Zertrümmerung der bestehenden Zustände; in den andern
Provinzen allgemeine Unzufriedenheit über die Bevorzugung Ungarns; und,
schlimmer als das Alles! nirgend Geld, nirgend eine Aussicht auf Abhilfe
der dringendsten Noth.

Gleichviel, der Weg der Regierung war doch der richtige, oder vielmehr
der einzig mögliche. Die Zustände waren so verworren, daß, wenn der weiseste
und kühnste aller Sterblichen das Werk der Restauration hätte unternehmen wollen,
die nächste Folge doch nnr eine verstärkte Verwirrung hätte sein müssen. —
Ueber diesen Uebergangszustand kommt man nicht hinweg, die Sünden der Ver¬
gangenheit wollen gebüßt sein. Wir glauben und hoffen, daß es Oestreich ge¬
lingen wird, sich wiederzufinden — wohlgemerkt, als Föderativstaat, nicht
als Einheitstaat; der letztere ist unmöglich. — Wir hoffen es nicht blos für
Oestreich, sondern auch für uns; denn auch für uns, wie wir jetzt stehen, ist
der Fortbestand der östreichischen Monarchie ein dringendes Bedürfniß.

Aber wir können ihm nicht weiter zu Hilfe kommen, als daß wir sein
Bundesgebiet decken. Das zu thun sind wir verpflichtet, auch ohne weitere
Zugeständnisse von Seiten Oestreichs. Wir haben die Pflicht. Deutschland un¬
geschmälert der Zukunft zu bewahren. — Weiter hinaus können wir nicht gehen,
ohne durch zu enge Berührung mit einem durch und durch kranken Körper
unser eigenes Leben zu gefährden.

Wir zweifeln nicht, daß auch die preußische Regierung das erkennt. Arier
Verhältniß zu Oestreich ist unter allen europäischen Fragen die Hauptsache
nach ihm müssen sich die Parteien scheiden. Es handelt sich nicht darum, ob
liberal, reactionär, demokratisch, parlamentarisch, kaiserlich u. s. w.; das Alles
kann erst entschieden werden, sobald die Einsicht allgemein verbreitet ist. daß eine
engere Vereinigung (abgesehen von dem völkerrechtlichen Verhältniß, das un¬
angetastet bleiben soll) Deutschlands die östreichischen Provinzen für jetzt nicht
umfassen kann — für jetzt! denn für kommende Jahrhunderte haben wlk
nicht zu sorgen. — Jeder Gedanke einer Möglichkeit, Oestreich dennoch für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/362>, abgerufen am 22.07.2024.