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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Zusicherung. er habe kein Gelüst nach dem Rhein. Bei dieser Gelegenheit
stellte sich heraus, daß die mitteldeutschen Staaten ihr altes Mißtrauen gegen
die preußische Politik keineswegs aufgegeben hatten. Um dies Mißtrauen zu
heben, folgte Teplitz, Coblenz, Warschau; und wenn diese Schritte an sich noch
zweifelhaft sein konnten, so predigte die gouvernementale Presse laut die Noth¬
wendigkeit einer Coalition gegen Frankreich. Daß der Coalitionsversuch in
Coblenz mißglückte , wurde schon damals bekannt; wie grenzenlos er in War¬
schau gescheitert ist, wissen wir jetzt. Rußland, dem der Alliirte an der Seine
wol zuweilen zu unabhängig erschien, machte ihn darauf aufmerksam, wie
dringend die Deutschen die Wiederherstellung der heiligen Allianz wünschten,
aber Nußland werde sich darauf nicht einlassen. Rusland übermittelte die
Bedenken der deutschen Mächte an Frankreich, Frankreich schickte seine Antwort
wieder an Rußland, Preußen wiederum u. s. w. So standen also Preußen und
Oestreich als Partei gegen Frankreich, und Rußland übernahm die Rolle des
höheren Vermittlers.

Es wurde kein Augenblick versäumt, dem preußischen Volke einzuschärfen,
daß vielleicht bald eine furchtbare Gefahr ausbrechen könne; das Volk müsse
sich zu jedem Opfer bereit halten. Diese Gefahr konnte nichts anders sein
als Frankreich.

Es wurde nicht selten daran erinnert, daß man den Zweck der italienischen
Bewegung, abgesehen von den unmoralischen Mitteln, nicht unbedingt mißbillige;
wol aber müsse man die Vergrößerungen Frankreichs und am meisten die
enge Verbindung Frankreichs mit Piemont mißbilligen.

Nicht ganz so lautete es in den Depeschen. Die Erwerbung Savoyens
und Nizza's wurde außer Frage gestellt, und schließlich baten alle drei Mächte,
Rußland. Preußen und Oestreich, den Kaiser Napoleon, seine Flotte in Gaeta
zu lassen, um die italienische Bewegung zu moderiren. Drei Wochen darauf
erließ Napoleon den Befehl. Gaeta seinem Schicksal zu überlassen.

Die lang erwartete Broschüre Lagusronnis're's über Rom schließt mit den
Worten: jmxaWiblk comirw 1a eoirsoicziroö et 1s äroit ä'un grauet peuxls
wird der Kaiser Napoleon das und das thun. -- Unwillkürlich steigt uns die
Nöthe in das Gesicht; aber wer. fragen wir. wer ist Schuld daran, daß der
Kaiser der Franzosen eine solche Rolle spielen darf?

Es war sehr zweckmäßig, daß der preußische Landtag in dieser grenzen¬
losen Confusion. wo keiner mehr zu wissen schien was er eigentlich wollte,
mit seiner Ausfassung hervortrat. Er hat 1) gesagt, daß er ein großes Gewicht
auf die freundschaftlichen Beziehungen zu Frankreich lege, 2) daß jeder Fuß
breit deutschen Landes von Preußen vertheidigt werden müsse, 3) daß die
staatliche Vereinigung Italiens dem deutschen Interesse nicht zuwider se'-
Er hat die blinde Furcht vor Frankreich, die zuletzt eine reine Gespensterfurcht


Zusicherung. er habe kein Gelüst nach dem Rhein. Bei dieser Gelegenheit
stellte sich heraus, daß die mitteldeutschen Staaten ihr altes Mißtrauen gegen
die preußische Politik keineswegs aufgegeben hatten. Um dies Mißtrauen zu
heben, folgte Teplitz, Coblenz, Warschau; und wenn diese Schritte an sich noch
zweifelhaft sein konnten, so predigte die gouvernementale Presse laut die Noth¬
wendigkeit einer Coalition gegen Frankreich. Daß der Coalitionsversuch in
Coblenz mißglückte , wurde schon damals bekannt; wie grenzenlos er in War¬
schau gescheitert ist, wissen wir jetzt. Rußland, dem der Alliirte an der Seine
wol zuweilen zu unabhängig erschien, machte ihn darauf aufmerksam, wie
dringend die Deutschen die Wiederherstellung der heiligen Allianz wünschten,
aber Nußland werde sich darauf nicht einlassen. Rusland übermittelte die
Bedenken der deutschen Mächte an Frankreich, Frankreich schickte seine Antwort
wieder an Rußland, Preußen wiederum u. s. w. So standen also Preußen und
Oestreich als Partei gegen Frankreich, und Rußland übernahm die Rolle des
höheren Vermittlers.

Es wurde kein Augenblick versäumt, dem preußischen Volke einzuschärfen,
daß vielleicht bald eine furchtbare Gefahr ausbrechen könne; das Volk müsse
sich zu jedem Opfer bereit halten. Diese Gefahr konnte nichts anders sein
als Frankreich.

Es wurde nicht selten daran erinnert, daß man den Zweck der italienischen
Bewegung, abgesehen von den unmoralischen Mitteln, nicht unbedingt mißbillige;
wol aber müsse man die Vergrößerungen Frankreichs und am meisten die
enge Verbindung Frankreichs mit Piemont mißbilligen.

Nicht ganz so lautete es in den Depeschen. Die Erwerbung Savoyens
und Nizza's wurde außer Frage gestellt, und schließlich baten alle drei Mächte,
Rußland. Preußen und Oestreich, den Kaiser Napoleon, seine Flotte in Gaeta
zu lassen, um die italienische Bewegung zu moderiren. Drei Wochen darauf
erließ Napoleon den Befehl. Gaeta seinem Schicksal zu überlassen.

Die lang erwartete Broschüre Lagusronnis're's über Rom schließt mit den
Worten: jmxaWiblk comirw 1a eoirsoicziroö et 1s äroit ä'un grauet peuxls
wird der Kaiser Napoleon das und das thun. — Unwillkürlich steigt uns die
Nöthe in das Gesicht; aber wer. fragen wir. wer ist Schuld daran, daß der
Kaiser der Franzosen eine solche Rolle spielen darf?

Es war sehr zweckmäßig, daß der preußische Landtag in dieser grenzen¬
losen Confusion. wo keiner mehr zu wissen schien was er eigentlich wollte,
mit seiner Ausfassung hervortrat. Er hat 1) gesagt, daß er ein großes Gewicht
auf die freundschaftlichen Beziehungen zu Frankreich lege, 2) daß jeder Fuß
breit deutschen Landes von Preußen vertheidigt werden müsse, 3) daß die
staatliche Vereinigung Italiens dem deutschen Interesse nicht zuwider se'-
Er hat die blinde Furcht vor Frankreich, die zuletzt eine reine Gespensterfurcht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/360>, abgerufen am 22.07.2024.