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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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zeigt, so ist der einfache Grund der. daß sie Preußen mit Frankreich engagiren
und dadurch die Restauration der vertriebenen italienischen Fürsten bewirken
will. Wie rücksichtslos diese Partei mit den preußischen Interessen spielt, hat
sich gerade in den letzten Tagen sehr deutlich gezeigt; man kann nicht einmal
sagen, daß sie ihre eigenen Interessen verständig wahrnimmt; wie der spanische
Stier auf den rothen Lappen springt, den man ihm vorhält, und den wirklichen
Feind entkommen läßt, so bäumt sich diese Partei beim Stichwort der Revolution.
Und sie ist in Preußen noch immer -- zwar nicht mehr maaßgebend -- aber
sehr stark, und ehe man sich mit ihr ins Reine gesetzt, ehe man die innern
Verhältnisse consolidirt hat. wird auch von einer erfolgreichen Action nach
außen nicht die Rede sein können.

Ihr Einfluß würde bereits weit geringer sein, wenn sie nicht in
einen, eigenthümlichen Gefühl der jetzigen Machthaber ihren Verbündeten
fände. Wir sind weit entfernt, die eigentlich ministerielle Partei mit der
Reaction verwechseln zu wollen; in den meisten wichtigen Fragen steht sie uns
viel näher als dieser. Aber in einem für den Augenblick sehr wichtigen
Punkt kommen sich beide nahe: in dem Gefühl für den Kaiser Napoleon.

Dies Gefühl ist ganz seltsamer Art. Es ist nicht reiner Haß. nicht reines
Mißtrauen, nicht Furcht; es ist aus allen diesen zusammengesetzt, aber dazu
kommt noch eine große Theilnahme und selbst eine gewisse Bewunderung; es
ist ein ritterliches Gefühl, man möchte Islas gern mit ihm einmal messen.
Ihn gewähren zu lassen, wird zuletzt unheimlich, denn er ist nicht zu berech¬
nen; er fesselt den Blick, den man gar nicht von ihm abwenden kann, so
daß man außer ihm nichts sieht. Da man den gefürchteten Krieg unaufhörlich
kommen sieht, so möchte man, wie im Schwindel, hineinspringen. -- Wir
finden das Gefühl sehr erklärlich, können aber keineswegs die Handlungs¬
weise billigen, die aris ihm hervorgegangen ist:

Nachdem die erste Verwirrung über den Frieden von Villafranca beseitigt
war. verbreitete sich das Gerücht, von russischer Seite sei Preußen der Antrag
gemacht Morden, gegen Abtretung der Rheinprovinz an Frankreich ganz Deutsch¬
land bis an die Mainlinie zu nehmen. Wie viel an diesem Gerückt
ifi. wissen wir nicht: sollte ein Fühler der Art vorgekommen sein, so
versteht sich von selbst, daß man ihn mit Geringschätzung bei Seite ge¬
wiesen hat. Aber in den mitteldeutschen Kreisen wurde der Argwohn genährt.
Preußen könne doch wol verlockt werden; das, Frankreich die Rheingrenze haben
wollte, galt als unzweifelhaftes Dogma. -- Der Kaiser Napoleon forderte den
Prinz Regenten zu einer persönlichen Zusammenkunft aus, um ihn vom Gegen¬
teil zu versichern; der Prinz, um auch den Schatten jedes Verdachts zu ent¬
fernen, ging auf diese Zusammenkunft nur in der Gesellschaft seiner deutschen
Bundesgenossen ein. Napoleon ertheilte jedem deutschen Fürsten persönlich die


zeigt, so ist der einfache Grund der. daß sie Preußen mit Frankreich engagiren
und dadurch die Restauration der vertriebenen italienischen Fürsten bewirken
will. Wie rücksichtslos diese Partei mit den preußischen Interessen spielt, hat
sich gerade in den letzten Tagen sehr deutlich gezeigt; man kann nicht einmal
sagen, daß sie ihre eigenen Interessen verständig wahrnimmt; wie der spanische
Stier auf den rothen Lappen springt, den man ihm vorhält, und den wirklichen
Feind entkommen läßt, so bäumt sich diese Partei beim Stichwort der Revolution.
Und sie ist in Preußen noch immer — zwar nicht mehr maaßgebend — aber
sehr stark, und ehe man sich mit ihr ins Reine gesetzt, ehe man die innern
Verhältnisse consolidirt hat. wird auch von einer erfolgreichen Action nach
außen nicht die Rede sein können.

Ihr Einfluß würde bereits weit geringer sein, wenn sie nicht in
einen, eigenthümlichen Gefühl der jetzigen Machthaber ihren Verbündeten
fände. Wir sind weit entfernt, die eigentlich ministerielle Partei mit der
Reaction verwechseln zu wollen; in den meisten wichtigen Fragen steht sie uns
viel näher als dieser. Aber in einem für den Augenblick sehr wichtigen
Punkt kommen sich beide nahe: in dem Gefühl für den Kaiser Napoleon.

Dies Gefühl ist ganz seltsamer Art. Es ist nicht reiner Haß. nicht reines
Mißtrauen, nicht Furcht; es ist aus allen diesen zusammengesetzt, aber dazu
kommt noch eine große Theilnahme und selbst eine gewisse Bewunderung; es
ist ein ritterliches Gefühl, man möchte Islas gern mit ihm einmal messen.
Ihn gewähren zu lassen, wird zuletzt unheimlich, denn er ist nicht zu berech¬
nen; er fesselt den Blick, den man gar nicht von ihm abwenden kann, so
daß man außer ihm nichts sieht. Da man den gefürchteten Krieg unaufhörlich
kommen sieht, so möchte man, wie im Schwindel, hineinspringen. — Wir
finden das Gefühl sehr erklärlich, können aber keineswegs die Handlungs¬
weise billigen, die aris ihm hervorgegangen ist:

Nachdem die erste Verwirrung über den Frieden von Villafranca beseitigt
war. verbreitete sich das Gerücht, von russischer Seite sei Preußen der Antrag
gemacht Morden, gegen Abtretung der Rheinprovinz an Frankreich ganz Deutsch¬
land bis an die Mainlinie zu nehmen. Wie viel an diesem Gerückt
ifi. wissen wir nicht: sollte ein Fühler der Art vorgekommen sein, so
versteht sich von selbst, daß man ihn mit Geringschätzung bei Seite ge¬
wiesen hat. Aber in den mitteldeutschen Kreisen wurde der Argwohn genährt.
Preußen könne doch wol verlockt werden; das, Frankreich die Rheingrenze haben
wollte, galt als unzweifelhaftes Dogma. — Der Kaiser Napoleon forderte den
Prinz Regenten zu einer persönlichen Zusammenkunft aus, um ihn vom Gegen¬
teil zu versichern; der Prinz, um auch den Schatten jedes Verdachts zu ent¬
fernen, ging auf diese Zusammenkunft nur in der Gesellschaft seiner deutschen
Bundesgenossen ein. Napoleon ertheilte jedem deutschen Fürsten persönlich die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/359>, abgerufen am 22.07.2024.