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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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werter machten sich mit ihrem Werkzeuge etwas zu schaffen, die Literaten er¬
probten die Gunst der Musen an kleinen schriftstellerischen Producten, die
Sachwalter ließen vor den Tribunalen des Forums ihre Stimmen ettönen.
Im Jahre 13. n. Chr. veranlaßte diese Sitte einen komischen Vorfall, der
aber sogleich als unglückliches Omen aufgefaßt und später auf den Tod des
Germanicus gedeutet ward. Der Consul Norbanus sollte am Neujahrsmorgen
sein Amt antreten. Eine große Menge von Gratulanten hatten sich bereits
vor dem Hause eingefunden; der neue Würdenträger war längst aufgestanden
und festlich geschmückt; bevor er aber die Besuchenden empfing, griff er noch
schnell nach seinem Lieblinginstrumente, der Trompete, der en Berührung ihm
die vielfachen Tagesgeschäfte nicht mehr erlaubt hätten, und entlockte derselben
einige schmetternde Fanfaren, die den erschreckten Zuhörern Unglücksahnungen
einflößten. Viele Zeit wurde übrigens auf die Geschäfte und Künste nicht
verwendet; und es hatte bei einem bloßen Probiren oder, wie Ovid sagt,
einem "Kosten" sein Bewenden, weil die Zeit des Morgens anderweitig be¬
deutend in Anspruch genommen wurde. Die Frauen wallten nach den Tem¬
peln, wo. die Opferflammen von Weihrauch und cilicischen Safran duftend,
sich in den vergoldeten Decken spiegelten, während dem Beginner des Jahres,
dem doppelgesichtigen Vater Janus in seinem fast nie geschlossenen Doppel¬
bogen am Fuße des Capitols, Weihrauch, Wein, Salzschrot und ein
in besondrer Form, nach Art übereinander gelegter Finger ' gebackener
Opferkuchen dargebracht wurde. Bei den Männern scheint übrigens, wie
oft bei uns, der Herrendienst dem Gottesdienste vorgegangen zu sein;
denn 'die Besuche an diesem Tage waren damals eine Pflicht, der
sich niemand entziehen konnte. In den früheren Zeiten der Republik hatte es
das hörige Verhältniß der Clienten zu ihren Patronen mit sich gebracht, daß
jene ihren vornehmen Gönnern die Aufwartung zu machen hatten. Später
als dieses einige Band sich gelockert hatte, wollte jeder reiche und eitle Mann
ein dienstfertiges Hofstaatspersonal um sich haben, das ihn auf seinen Aus¬
gängen begleitete und am Morgen unterthänig begrüßte. Und da diese
Dienste täglich mit 25 Aß (12'/- Sgr.) bezahlt zu werden pflegten, so fand
sich eine Menge müßiger Menschen, die aus Armuth und Eigennutz die er¬
heuchelten Zeichen der Anhänglichkeit zur Schau trugen. Alle diese versäum¬
ten es nicht, am Feste des Janus in geschäftiger Schnelligkeit die Straßen
zu durcheilen, die Hallen der Gcldbrotzen zu füllen und mit dem gewöhnlichen
Morgengruße (Ave -- sei gesegnet) ehrfurchtsvolle Wünsche für das . Wohl
des gnädigen Gönners (die Clienten pflegten ihre Brodhnrn auch "Könige"
zu nennen) zu verbinden. Natürlich machten auch Freunde untereinander
Gratulationsbesuche und die in amtlichen Verhältnissen Stehenden ihren Vor¬
gesetzten. Am größten war die Zahl der Gratulanten in den Vorhallen


werter machten sich mit ihrem Werkzeuge etwas zu schaffen, die Literaten er¬
probten die Gunst der Musen an kleinen schriftstellerischen Producten, die
Sachwalter ließen vor den Tribunalen des Forums ihre Stimmen ettönen.
Im Jahre 13. n. Chr. veranlaßte diese Sitte einen komischen Vorfall, der
aber sogleich als unglückliches Omen aufgefaßt und später auf den Tod des
Germanicus gedeutet ward. Der Consul Norbanus sollte am Neujahrsmorgen
sein Amt antreten. Eine große Menge von Gratulanten hatten sich bereits
vor dem Hause eingefunden; der neue Würdenträger war längst aufgestanden
und festlich geschmückt; bevor er aber die Besuchenden empfing, griff er noch
schnell nach seinem Lieblinginstrumente, der Trompete, der en Berührung ihm
die vielfachen Tagesgeschäfte nicht mehr erlaubt hätten, und entlockte derselben
einige schmetternde Fanfaren, die den erschreckten Zuhörern Unglücksahnungen
einflößten. Viele Zeit wurde übrigens auf die Geschäfte und Künste nicht
verwendet; und es hatte bei einem bloßen Probiren oder, wie Ovid sagt,
einem „Kosten" sein Bewenden, weil die Zeit des Morgens anderweitig be¬
deutend in Anspruch genommen wurde. Die Frauen wallten nach den Tem¬
peln, wo. die Opferflammen von Weihrauch und cilicischen Safran duftend,
sich in den vergoldeten Decken spiegelten, während dem Beginner des Jahres,
dem doppelgesichtigen Vater Janus in seinem fast nie geschlossenen Doppel¬
bogen am Fuße des Capitols, Weihrauch, Wein, Salzschrot und ein
in besondrer Form, nach Art übereinander gelegter Finger ' gebackener
Opferkuchen dargebracht wurde. Bei den Männern scheint übrigens, wie
oft bei uns, der Herrendienst dem Gottesdienste vorgegangen zu sein;
denn 'die Besuche an diesem Tage waren damals eine Pflicht, der
sich niemand entziehen konnte. In den früheren Zeiten der Republik hatte es
das hörige Verhältniß der Clienten zu ihren Patronen mit sich gebracht, daß
jene ihren vornehmen Gönnern die Aufwartung zu machen hatten. Später
als dieses einige Band sich gelockert hatte, wollte jeder reiche und eitle Mann
ein dienstfertiges Hofstaatspersonal um sich haben, das ihn auf seinen Aus¬
gängen begleitete und am Morgen unterthänig begrüßte. Und da diese
Dienste täglich mit 25 Aß (12'/- Sgr.) bezahlt zu werden pflegten, so fand
sich eine Menge müßiger Menschen, die aus Armuth und Eigennutz die er¬
heuchelten Zeichen der Anhänglichkeit zur Schau trugen. Alle diese versäum¬
ten es nicht, am Feste des Janus in geschäftiger Schnelligkeit die Straßen
zu durcheilen, die Hallen der Gcldbrotzen zu füllen und mit dem gewöhnlichen
Morgengruße (Ave — sei gesegnet) ehrfurchtsvolle Wünsche für das . Wohl
des gnädigen Gönners (die Clienten pflegten ihre Brodhnrn auch „Könige"
zu nennen) zu verbinden. Natürlich machten auch Freunde untereinander
Gratulationsbesuche und die in amtlichen Verhältnissen Stehenden ihren Vor¬
gesetzten. Am größten war die Zahl der Gratulanten in den Vorhallen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/36>, abgerufen am 25.08.2024.