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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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des kaiserlichen Palastes, wo auch sonst täglich je nach der Leutseligkeit der
Kaiser eine größere oder geringere Schaar von Bürgern ihre Ergebenheit
bezeigte. Augustus gab selbst dem Niedrigsten persönlich Gehör, aber Claudius
und die nächsten Kaiser stellten Visitatoren an, die alle Personen sorgfältig
nach verborgenen Mordgewchren durchsuchten, bis Vespasian diesen handgreif¬
lichen Mißtrauensbcweisen ein Ziel feste. Die Besuche am Morgen des
ersten Januars zeichneten sich übrigens alle durch eine auffallende Flüchtig¬
keit und Kürze aus. Man durfte seine Gönner und Bekannte nicht davon
abhalten und wollte es auch selbst nicht versäumen, die ersten Beamten der
Republik und dem Scheine nach auch der Kaiserzeit, die Konsuln, zu beglück¬
wünschen, welche, wie schon erwähnt, seit 153 v. Chr. am Neujahrstag ihr
Amt antraten. Bor ihren Häusern warteten in der Frühe die Senatoren
und Ritter, um eingelassen zu werden, das Volk, um sich der feierlichen Pro¬
cession nach dem Capitale anzuschließen. Man muß hinsichtlich dieses Fest¬
zuges die Zeit vor und nach dem zweiten Jahrhundert christlicher Zeit¬
rechnung wol unterscheiden. Während der Republik und unter den ersten
Kaisern waren die Ceremonien noch einfach. Der neue Consul begann den
Tag mit Gebet und Beobachtung vedeutungskräftigcr Vorzeichen, wozu be¬
sonders das gierige oder langsame Fressen junger Hühner-gedient zu haben,
scheint. Doch hatte er nicht nöthig, dieselben vorher aushungern zu lassen
oder nach dem Beispiele eines rationalistischen Feldherrn im ersten punischen
Kriege zu verfahren, der sie mit den Worten, sie.möchten trinken, wenn
sie nicht fressen wollten, ins Wasser warf; denn es ist kein Fall bekannt,
wo ein ungünstiges Vorzeichen den Amtsantritt ausgehoben hätte. Nachdem
der Religion Genüge geschehen war. legte er das Amtskleid der höhern Ma¬
gistrate, die faltenreiche, mit einem breiten Purpurstreifen verbrämte Toga
vor dem Altare seiner Hausgötter an und ließ die Thüren des Atriums (des
großen Familienzimmers. Salons) der harrenden Menge der Besucher öffnen,
um die freundlichen Worte und Küsse in Empfang zu nehmen. Natürlich
war es hiebei für Sejan. den anmaßenden Günstling Tibers ein böses Omen,
daß sein Sessel durch den ungestümen Andrang der servilen Menge in Stücke
ging, sowie daß beim Beginn des Zuges eine geängstigte Katze ihm über den
Weg lief! Nach der Gratulationsaufwartung scheint sich die Procession in
der Weise geordnet zu haben, daß die Ritter, geschmückt mit einer purpurn
und weiß gestreiften kürzern Toga (der Trabea) und durch die vom Halse
bis zum Saume am Unterkleide, der Tunica, hinablaufenden schmälern Pur¬
purlinien sich von den Senatoren unterscheidend, den Zug eröffneten. Wahr¬
scheinlich folgte dann das Opferthier, ein weißes, fleckenloses Rind, mit Lor-
ucerkrünzen, vergoldeten Hörnern, und purpurnen Binden geschmückt. Es
Wurde gewöhnlich von den fetten Weiden am Flusse Clitumnus geholt,


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des kaiserlichen Palastes, wo auch sonst täglich je nach der Leutseligkeit der
Kaiser eine größere oder geringere Schaar von Bürgern ihre Ergebenheit
bezeigte. Augustus gab selbst dem Niedrigsten persönlich Gehör, aber Claudius
und die nächsten Kaiser stellten Visitatoren an, die alle Personen sorgfältig
nach verborgenen Mordgewchren durchsuchten, bis Vespasian diesen handgreif¬
lichen Mißtrauensbcweisen ein Ziel feste. Die Besuche am Morgen des
ersten Januars zeichneten sich übrigens alle durch eine auffallende Flüchtig¬
keit und Kürze aus. Man durfte seine Gönner und Bekannte nicht davon
abhalten und wollte es auch selbst nicht versäumen, die ersten Beamten der
Republik und dem Scheine nach auch der Kaiserzeit, die Konsuln, zu beglück¬
wünschen, welche, wie schon erwähnt, seit 153 v. Chr. am Neujahrstag ihr
Amt antraten. Bor ihren Häusern warteten in der Frühe die Senatoren
und Ritter, um eingelassen zu werden, das Volk, um sich der feierlichen Pro¬
cession nach dem Capitale anzuschließen. Man muß hinsichtlich dieses Fest¬
zuges die Zeit vor und nach dem zweiten Jahrhundert christlicher Zeit¬
rechnung wol unterscheiden. Während der Republik und unter den ersten
Kaisern waren die Ceremonien noch einfach. Der neue Consul begann den
Tag mit Gebet und Beobachtung vedeutungskräftigcr Vorzeichen, wozu be¬
sonders das gierige oder langsame Fressen junger Hühner-gedient zu haben,
scheint. Doch hatte er nicht nöthig, dieselben vorher aushungern zu lassen
oder nach dem Beispiele eines rationalistischen Feldherrn im ersten punischen
Kriege zu verfahren, der sie mit den Worten, sie.möchten trinken, wenn
sie nicht fressen wollten, ins Wasser warf; denn es ist kein Fall bekannt,
wo ein ungünstiges Vorzeichen den Amtsantritt ausgehoben hätte. Nachdem
der Religion Genüge geschehen war. legte er das Amtskleid der höhern Ma¬
gistrate, die faltenreiche, mit einem breiten Purpurstreifen verbrämte Toga
vor dem Altare seiner Hausgötter an und ließ die Thüren des Atriums (des
großen Familienzimmers. Salons) der harrenden Menge der Besucher öffnen,
um die freundlichen Worte und Küsse in Empfang zu nehmen. Natürlich
war es hiebei für Sejan. den anmaßenden Günstling Tibers ein böses Omen,
daß sein Sessel durch den ungestümen Andrang der servilen Menge in Stücke
ging, sowie daß beim Beginn des Zuges eine geängstigte Katze ihm über den
Weg lief! Nach der Gratulationsaufwartung scheint sich die Procession in
der Weise geordnet zu haben, daß die Ritter, geschmückt mit einer purpurn
und weiß gestreiften kürzern Toga (der Trabea) und durch die vom Halse
bis zum Saume am Unterkleide, der Tunica, hinablaufenden schmälern Pur¬
purlinien sich von den Senatoren unterscheidend, den Zug eröffneten. Wahr¬
scheinlich folgte dann das Opferthier, ein weißes, fleckenloses Rind, mit Lor-
ucerkrünzen, vergoldeten Hörnern, und purpurnen Binden geschmückt. Es
Wurde gewöhnlich von den fetten Weiden am Flusse Clitumnus geholt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/37>, abgerufen am 23.07.2024.