Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

aus dem völkerrechtlichen Verhältnisse in ein staatsrechtliches hätten führen
können; allein die Neigung und der Wille dafür waren unter den Gliedern
nicht vorhanden. In der eidgenössischen Kleinwelt hat die im Sonderbunds¬
kriege bloßgelegte Gefahr innerer Zerwürfnisse und äußerer Einmischung die
Einigung gestärkt, und die Erfahrungen der Jahre 1.859 und 1860 haben den
neuen Bund in den Gemüthern noch mehr befestigt. In Deutschland hätte
die versuchte Einführung einer von den meisten Fürsten angenommenen Ver¬
fassung beinahe zum Bürgerkriege geführt, und die neueren Gefahren haben
zu einer Art von Sonderbund eher als zu einer stärkern Einigung Anlaß
gegeben. Inzwischen darf man, aller Schwierigkeiten ungeachtet, den Muth
nicht sinken lassen, da durch ihre Ueberwindung die Existenz einer großen Nation
bedingt ist, und da es nicht schwer fällt durch Vergleichung nachzuweisen, wie
überall, wo es sich um eine Konföderation handelt, die nämlichen wesentlichen
Erfordernisse sich gleichsam von selbst herausstellen. Wenn wir uns dabei auf
eine Vergleichung der schweizerischen Verfassung von 1848 mit dem Entwürfe
einer deutschen Reichsverfassung von 1849 beschränken, so ist zu bemerken, daß
die Ausdehnung auf die Verfassung der amerikanischen Union, welche gegen¬
wärtig auf eine schwere Probe gestellt wird, und anderseits auf den Erfurter
Entwurf, das Ergebniß nicht verändern würde.

Die Vertretung der Gesammtheit wie der einzelnen Glieder nach außen
steht nach beiden Verfassungen selbstverständlich der Centralgewalt zu. Sie
allein hat das Recht über Krieg und Frieden, besorgt die auswärtigen An¬
gelegenheiten, schließt Verträge und ernennt die Gesandten und Consuln. Den
einzelnen Staaten ist jedoch die Befugniß zu Verträgen nicht ganz entzogen.
Nach der Reichsverfassung von 1849 steht ihnen frei, unter einander Verträge
überhaupt, mit nichtdeutschen Regierungen aber nur über Gegenstände des
Privatrechts, des nachbarlichen Verkehrs und der Polizei abzuschließen. Sind
solche Verträge nicht rein privatrechtlichen Inhalts, so müssen sie der Reichsgewalt'
zur Kenntnißnahme und, sofern das Neichsinteresse dabei betheiligt ist, M
Bestätigung vorgelegt werden. Das Vertragsrecht der Cantone ist enger be¬
grenzt. Bündnisse und Verträge politischen Inhalts unter einander sind ihnen
untersagt; Vereinbarungen über Gegenstände der Gesetzgebung, des Gerichts¬
wesens und der Verwaltung sind der Bundesbehörde zur Einsicht vorzulegen,
welche die Vollziehung zu hindern befugt ist, wenn der Inhalt den Bund oder
die Rechte anderer Cantone beeinträchtigt. Verträge mit dem Auslande dürfen
die Cantone über Gegenstände der Staatswirthschaft, des nachbarlichen Ver¬
kehrs und der Polizei abschließen, und sie können darüber mit den untergeord¬
neten Behörden und Beamten eines auswärtigen Staates in unmittelbaren Verkehr
treten; weiterhin haben sie sich der Vermittelung des Bundesrathes zu bedienen.

In Beziehung auf die Streitkräfte unterscheidet der Entwurf von 1849


aus dem völkerrechtlichen Verhältnisse in ein staatsrechtliches hätten führen
können; allein die Neigung und der Wille dafür waren unter den Gliedern
nicht vorhanden. In der eidgenössischen Kleinwelt hat die im Sonderbunds¬
kriege bloßgelegte Gefahr innerer Zerwürfnisse und äußerer Einmischung die
Einigung gestärkt, und die Erfahrungen der Jahre 1.859 und 1860 haben den
neuen Bund in den Gemüthern noch mehr befestigt. In Deutschland hätte
die versuchte Einführung einer von den meisten Fürsten angenommenen Ver¬
fassung beinahe zum Bürgerkriege geführt, und die neueren Gefahren haben
zu einer Art von Sonderbund eher als zu einer stärkern Einigung Anlaß
gegeben. Inzwischen darf man, aller Schwierigkeiten ungeachtet, den Muth
nicht sinken lassen, da durch ihre Ueberwindung die Existenz einer großen Nation
bedingt ist, und da es nicht schwer fällt durch Vergleichung nachzuweisen, wie
überall, wo es sich um eine Konföderation handelt, die nämlichen wesentlichen
Erfordernisse sich gleichsam von selbst herausstellen. Wenn wir uns dabei auf
eine Vergleichung der schweizerischen Verfassung von 1848 mit dem Entwürfe
einer deutschen Reichsverfassung von 1849 beschränken, so ist zu bemerken, daß
die Ausdehnung auf die Verfassung der amerikanischen Union, welche gegen¬
wärtig auf eine schwere Probe gestellt wird, und anderseits auf den Erfurter
Entwurf, das Ergebniß nicht verändern würde.

Die Vertretung der Gesammtheit wie der einzelnen Glieder nach außen
steht nach beiden Verfassungen selbstverständlich der Centralgewalt zu. Sie
allein hat das Recht über Krieg und Frieden, besorgt die auswärtigen An¬
gelegenheiten, schließt Verträge und ernennt die Gesandten und Consuln. Den
einzelnen Staaten ist jedoch die Befugniß zu Verträgen nicht ganz entzogen.
Nach der Reichsverfassung von 1849 steht ihnen frei, unter einander Verträge
überhaupt, mit nichtdeutschen Regierungen aber nur über Gegenstände des
Privatrechts, des nachbarlichen Verkehrs und der Polizei abzuschließen. Sind
solche Verträge nicht rein privatrechtlichen Inhalts, so müssen sie der Reichsgewalt'
zur Kenntnißnahme und, sofern das Neichsinteresse dabei betheiligt ist, M
Bestätigung vorgelegt werden. Das Vertragsrecht der Cantone ist enger be¬
grenzt. Bündnisse und Verträge politischen Inhalts unter einander sind ihnen
untersagt; Vereinbarungen über Gegenstände der Gesetzgebung, des Gerichts¬
wesens und der Verwaltung sind der Bundesbehörde zur Einsicht vorzulegen,
welche die Vollziehung zu hindern befugt ist, wenn der Inhalt den Bund oder
die Rechte anderer Cantone beeinträchtigt. Verträge mit dem Auslande dürfen
die Cantone über Gegenstände der Staatswirthschaft, des nachbarlichen Ver¬
kehrs und der Polizei abschließen, und sie können darüber mit den untergeord¬
neten Behörden und Beamten eines auswärtigen Staates in unmittelbaren Verkehr
treten; weiterhin haben sie sich der Vermittelung des Bundesrathes zu bedienen.

In Beziehung auf die Streitkräfte unterscheidet der Entwurf von 1849


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0336" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111230"/>
          <p xml:id="ID_1121" prev="#ID_1120"> aus dem völkerrechtlichen Verhältnisse in ein staatsrechtliches hätten führen<lb/>
können; allein die Neigung und der Wille dafür waren unter den Gliedern<lb/>
nicht vorhanden. In der eidgenössischen Kleinwelt hat die im Sonderbunds¬<lb/>
kriege bloßgelegte Gefahr innerer Zerwürfnisse und äußerer Einmischung die<lb/>
Einigung gestärkt, und die Erfahrungen der Jahre 1.859 und 1860 haben den<lb/>
neuen Bund in den Gemüthern noch mehr befestigt. In Deutschland hätte<lb/>
die versuchte Einführung einer von den meisten Fürsten angenommenen Ver¬<lb/>
fassung beinahe zum Bürgerkriege geführt, und die neueren Gefahren haben<lb/>
zu einer Art von Sonderbund eher als zu einer stärkern Einigung Anlaß<lb/>
gegeben. Inzwischen darf man, aller Schwierigkeiten ungeachtet, den Muth<lb/>
nicht sinken lassen, da durch ihre Ueberwindung die Existenz einer großen Nation<lb/>
bedingt ist, und da es nicht schwer fällt durch Vergleichung nachzuweisen, wie<lb/>
überall, wo es sich um eine Konföderation handelt, die nämlichen wesentlichen<lb/>
Erfordernisse sich gleichsam von selbst herausstellen. Wenn wir uns dabei auf<lb/>
eine Vergleichung der schweizerischen Verfassung von 1848 mit dem Entwürfe<lb/>
einer deutschen Reichsverfassung von 1849 beschränken, so ist zu bemerken, daß<lb/>
die Ausdehnung auf die Verfassung der amerikanischen Union, welche gegen¬<lb/>
wärtig auf eine schwere Probe gestellt wird, und anderseits auf den Erfurter<lb/>
Entwurf, das Ergebniß nicht verändern würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1122"> Die Vertretung der Gesammtheit wie der einzelnen Glieder nach außen<lb/>
steht nach beiden Verfassungen selbstverständlich der Centralgewalt zu. Sie<lb/>
allein hat das Recht über Krieg und Frieden, besorgt die auswärtigen An¬<lb/>
gelegenheiten, schließt Verträge und ernennt die Gesandten und Consuln. Den<lb/>
einzelnen Staaten ist jedoch die Befugniß zu Verträgen nicht ganz entzogen.<lb/>
Nach der Reichsverfassung von 1849 steht ihnen frei, unter einander Verträge<lb/>
überhaupt, mit nichtdeutschen Regierungen aber nur über Gegenstände des<lb/>
Privatrechts, des nachbarlichen Verkehrs und der Polizei abzuschließen. Sind<lb/>
solche Verträge nicht rein privatrechtlichen Inhalts, so müssen sie der Reichsgewalt'<lb/>
zur Kenntnißnahme und, sofern das Neichsinteresse dabei betheiligt ist, M<lb/>
Bestätigung vorgelegt werden. Das Vertragsrecht der Cantone ist enger be¬<lb/>
grenzt. Bündnisse und Verträge politischen Inhalts unter einander sind ihnen<lb/>
untersagt; Vereinbarungen über Gegenstände der Gesetzgebung, des Gerichts¬<lb/>
wesens und der Verwaltung sind der Bundesbehörde zur Einsicht vorzulegen,<lb/>
welche die Vollziehung zu hindern befugt ist, wenn der Inhalt den Bund oder<lb/>
die Rechte anderer Cantone beeinträchtigt. Verträge mit dem Auslande dürfen<lb/>
die Cantone über Gegenstände der Staatswirthschaft, des nachbarlichen Ver¬<lb/>
kehrs und der Polizei abschließen, und sie können darüber mit den untergeord¬<lb/>
neten Behörden und Beamten eines auswärtigen Staates in unmittelbaren Verkehr<lb/>
treten; weiterhin haben sie sich der Vermittelung des Bundesrathes zu bedienen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1123" next="#ID_1124"> In Beziehung auf die Streitkräfte unterscheidet der Entwurf von 1849</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0336] aus dem völkerrechtlichen Verhältnisse in ein staatsrechtliches hätten führen können; allein die Neigung und der Wille dafür waren unter den Gliedern nicht vorhanden. In der eidgenössischen Kleinwelt hat die im Sonderbunds¬ kriege bloßgelegte Gefahr innerer Zerwürfnisse und äußerer Einmischung die Einigung gestärkt, und die Erfahrungen der Jahre 1.859 und 1860 haben den neuen Bund in den Gemüthern noch mehr befestigt. In Deutschland hätte die versuchte Einführung einer von den meisten Fürsten angenommenen Ver¬ fassung beinahe zum Bürgerkriege geführt, und die neueren Gefahren haben zu einer Art von Sonderbund eher als zu einer stärkern Einigung Anlaß gegeben. Inzwischen darf man, aller Schwierigkeiten ungeachtet, den Muth nicht sinken lassen, da durch ihre Ueberwindung die Existenz einer großen Nation bedingt ist, und da es nicht schwer fällt durch Vergleichung nachzuweisen, wie überall, wo es sich um eine Konföderation handelt, die nämlichen wesentlichen Erfordernisse sich gleichsam von selbst herausstellen. Wenn wir uns dabei auf eine Vergleichung der schweizerischen Verfassung von 1848 mit dem Entwürfe einer deutschen Reichsverfassung von 1849 beschränken, so ist zu bemerken, daß die Ausdehnung auf die Verfassung der amerikanischen Union, welche gegen¬ wärtig auf eine schwere Probe gestellt wird, und anderseits auf den Erfurter Entwurf, das Ergebniß nicht verändern würde. Die Vertretung der Gesammtheit wie der einzelnen Glieder nach außen steht nach beiden Verfassungen selbstverständlich der Centralgewalt zu. Sie allein hat das Recht über Krieg und Frieden, besorgt die auswärtigen An¬ gelegenheiten, schließt Verträge und ernennt die Gesandten und Consuln. Den einzelnen Staaten ist jedoch die Befugniß zu Verträgen nicht ganz entzogen. Nach der Reichsverfassung von 1849 steht ihnen frei, unter einander Verträge überhaupt, mit nichtdeutschen Regierungen aber nur über Gegenstände des Privatrechts, des nachbarlichen Verkehrs und der Polizei abzuschließen. Sind solche Verträge nicht rein privatrechtlichen Inhalts, so müssen sie der Reichsgewalt' zur Kenntnißnahme und, sofern das Neichsinteresse dabei betheiligt ist, M Bestätigung vorgelegt werden. Das Vertragsrecht der Cantone ist enger be¬ grenzt. Bündnisse und Verträge politischen Inhalts unter einander sind ihnen untersagt; Vereinbarungen über Gegenstände der Gesetzgebung, des Gerichts¬ wesens und der Verwaltung sind der Bundesbehörde zur Einsicht vorzulegen, welche die Vollziehung zu hindern befugt ist, wenn der Inhalt den Bund oder die Rechte anderer Cantone beeinträchtigt. Verträge mit dem Auslande dürfen die Cantone über Gegenstände der Staatswirthschaft, des nachbarlichen Ver¬ kehrs und der Polizei abschließen, und sie können darüber mit den untergeord¬ neten Behörden und Beamten eines auswärtigen Staates in unmittelbaren Verkehr treten; weiterhin haben sie sich der Vermittelung des Bundesrathes zu bedienen. In Beziehung auf die Streitkräfte unterscheidet der Entwurf von 1849

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/336
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/336>, abgerufen am 22.07.2024.