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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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etwas zu Stande geknackt; er konnte auch in diesem Falle nichts Anderes
thun, als was er gethan hat, seine eigene Unfähigkeit erklären. Ein östrei¬
chisches Mitglied des deutschen Parlaments weissagte im Juni 1848, als die
Einlicitshoffnungen am höchsten standen, allerdings mir in vertraulichem Ge¬
spräche: "Es wird nichts Anderes kommen als wieder der alte Bundestag;
warum? -- Oestreich kann nichts Anderes brauchen," -- Der Mann, ein hö¬
herer Offizier, hatte richtig gesehen; aber nun ist es so weit gekommen, daß
der Bundestag und Oestreich einander selber nicht mehr brauchen können.

Wenn im Jahre 1848 die patriotische Hingebung der Tagsatzung, welche
einen Berfassnngsentwurf annahm, der sie selbst aus der Welt schaffte, in Frank¬
furt bei dem Bundestage keine Nachahmung fand, so wurde doch auch hier
ein Entwurf ausgearbeitet. Das Parlament kam mit dieser Arbeit zwar nicht
in einem, aber doch ungefähr in nenn Monaten ins Reine. Während aber in
der Schweiz Regierungen und Volk ihrerseits einen Beweis von Nationalge¬
fühl und politischer Einsicht gaben, indem sie den Entwurf durch einmüthige
Zustimmung zur Verfassung erhoben, sträubten sich in Deutschland die Großen,
und ihr Sträuben erlöste die Kleinen. Gestehen wir es nur, nicht allein an
den Höfen und in den Ministerien, nein, auch unter den Bürgern und Bauern
offenbarte sich ein Uebermaß von Particularismus und ein kläglicher Mangel
an Nntionalsinn. Jedes Ländchen beinahe machte sich eine Verfassung, meist
auf breitester demokratischer Grundlage, und wären die Fürsten nicht geblieben,
wir Hütten nicht achtunddreißig Staaten, sondern mindestens ein halbes Tau¬
send Republikchen, vielleicht unter dem "schwachen Dache" eines Directoriums
Zu einem ephemeren Dasein gelangen sehen. Es ist seither besser geworden
Mit der Einsicht in das. was dem Vaterlande noth thut. Die Einheitsfrage
'se auf die einfache Formel zurückgeführt: was ist nöthig, damit Deutschland
sich-der äußeren Feinde erwehren und seine inneren Hilfsquellen gehörig för¬
dern und benutzen kann? Nicht viel länger ist die Antwort: Deutschland bedarf
einer einheitlichen Leitung für sein Heer, seine auswärtige Politik, und seine
nationalen Angelegenheiten; die Befugnisse und die Mittel zu diesen Zwecken
müssen der Centralgewalt und der Nativnalvertretung eingeräumt und zur Ver¬
fügung gestellt werden.

Wenn die Voraussetzungen für die Möglichkeit einer bundesstaatlichen
Regierung mit Nativnalvertretung gegeben sind, ein öffentlicher Geist, welcher
den particularistischen Widerstand in den einzelnen Gliedern bricht, ein öffent¬
licher Wille, der in den Regierungen und Landesvertretungen durchschlägt: dann
sind die betreffenden Bestimmungen in der Bundesverfassung nicht schwer zu
formuliren. Ohne jene Voraussetzungen dagegen helfen die bestredigirtcn Bun-
dcsgrundgesctze so viel wie gar nichts. In der deutschen wie in der schweizerischen
Bundesacte von 1815 und 1816 lagen alle Keime, welche in ihrer Entwickelung


etwas zu Stande geknackt; er konnte auch in diesem Falle nichts Anderes
thun, als was er gethan hat, seine eigene Unfähigkeit erklären. Ein östrei¬
chisches Mitglied des deutschen Parlaments weissagte im Juni 1848, als die
Einlicitshoffnungen am höchsten standen, allerdings mir in vertraulichem Ge¬
spräche: „Es wird nichts Anderes kommen als wieder der alte Bundestag;
warum? — Oestreich kann nichts Anderes brauchen," — Der Mann, ein hö¬
herer Offizier, hatte richtig gesehen; aber nun ist es so weit gekommen, daß
der Bundestag und Oestreich einander selber nicht mehr brauchen können.

Wenn im Jahre 1848 die patriotische Hingebung der Tagsatzung, welche
einen Berfassnngsentwurf annahm, der sie selbst aus der Welt schaffte, in Frank¬
furt bei dem Bundestage keine Nachahmung fand, so wurde doch auch hier
ein Entwurf ausgearbeitet. Das Parlament kam mit dieser Arbeit zwar nicht
in einem, aber doch ungefähr in nenn Monaten ins Reine. Während aber in
der Schweiz Regierungen und Volk ihrerseits einen Beweis von Nationalge¬
fühl und politischer Einsicht gaben, indem sie den Entwurf durch einmüthige
Zustimmung zur Verfassung erhoben, sträubten sich in Deutschland die Großen,
und ihr Sträuben erlöste die Kleinen. Gestehen wir es nur, nicht allein an
den Höfen und in den Ministerien, nein, auch unter den Bürgern und Bauern
offenbarte sich ein Uebermaß von Particularismus und ein kläglicher Mangel
an Nntionalsinn. Jedes Ländchen beinahe machte sich eine Verfassung, meist
auf breitester demokratischer Grundlage, und wären die Fürsten nicht geblieben,
wir Hütten nicht achtunddreißig Staaten, sondern mindestens ein halbes Tau¬
send Republikchen, vielleicht unter dem „schwachen Dache" eines Directoriums
Zu einem ephemeren Dasein gelangen sehen. Es ist seither besser geworden
Mit der Einsicht in das. was dem Vaterlande noth thut. Die Einheitsfrage
'se auf die einfache Formel zurückgeführt: was ist nöthig, damit Deutschland
sich-der äußeren Feinde erwehren und seine inneren Hilfsquellen gehörig för¬
dern und benutzen kann? Nicht viel länger ist die Antwort: Deutschland bedarf
einer einheitlichen Leitung für sein Heer, seine auswärtige Politik, und seine
nationalen Angelegenheiten; die Befugnisse und die Mittel zu diesen Zwecken
müssen der Centralgewalt und der Nativnalvertretung eingeräumt und zur Ver¬
fügung gestellt werden.

Wenn die Voraussetzungen für die Möglichkeit einer bundesstaatlichen
Regierung mit Nativnalvertretung gegeben sind, ein öffentlicher Geist, welcher
den particularistischen Widerstand in den einzelnen Gliedern bricht, ein öffent¬
licher Wille, der in den Regierungen und Landesvertretungen durchschlägt: dann
sind die betreffenden Bestimmungen in der Bundesverfassung nicht schwer zu
formuliren. Ohne jene Voraussetzungen dagegen helfen die bestredigirtcn Bun-
dcsgrundgesctze so viel wie gar nichts. In der deutschen wie in der schweizerischen
Bundesacte von 1815 und 1816 lagen alle Keime, welche in ihrer Entwickelung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/335>, abgerufen am 22.07.2024.