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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Volkswünsche, welche mehre von ihnen als Leiter der Majorität in den Kammern
dargestellt hatten, sondern als persönlich Getreue und als persönlich wackere Män¬
ner. Als erste Pflicht erschien ihnen, die Person des Fürsten, auf dnn jetzt die Zu¬
kunft Preußens beruhte, nach allen Seiten festzustellen, ihn selbst und das neue
System mit den zahlreichen Persönlichkeiten, welche dem alten gedient hatten,
zu befreunden, und doch zu gleicher Zeit ihrem Herrn eine edle Popularität zu
erwerben. Es war eine große Aufgabe für loyale Herzen, aber diese Aufgabe
war nicht ganz ohne Gefahr für sie selbst. Denn nicht die unwiderstehliche
Kraft einer einflußreichen Partei, sondern der freie Entschluß, die patriotische
Einsicht und die zufällige Huld des Regenten hatte sie zu seinen Dienern gemacht.
In der traditionellen Umgebung des Hofes, in den höchsten Kreisen des
Staates standen sie. die liberalen Männer, fast allein gegen eine ungeheure
Mehrzahl, welche, in den entgegengesetzten Anschauungen erzogen, voll Abnei¬
gung und Erbitterung auf die neue Ricktung sah. Der Fürst, der ihnen
in dieser feindlichen Umgebung sein Vertrauen bewahrte, an dem sie selbst
mit warmer Verehrung hingen, mußte geschont werden; was ihn ver¬
letzen und irren konnte, sorgfältig von ihm fern zu halten, erschien als das
Nothwendigste. So gewöhnten sie sich, großem Werth auf die Stimmungen
und Anschavungen ihres Fürsten zu legen, als auf die Forderungen der öffent¬
lichen Meinung und ihrer Parteigenossen.

Nie war ein Bruch mit der Vergangenheit größer und heilbringender
gewesen, als der von 1858. Der ganze Enthusiasmus, mit welchem das
Volk dem neuen Regenten cntgegenjauchzte, beruhte auf der Ueberzeugung,
daß dieser Bruch mit der letzten Zeit, welche so arm an Intelligenz, Redlich¬
keit und Ehre war, gründlich, unwiderruflich, eclatant sei. Aber man wollte
den Schein annehmen, als ob man an die Vergangenheit ohne starken Ein¬
schnitt anknüpfen könne. Pietät gegen den kranken König, der Mangel an
fnschen Kräften in der Diplomatie und höhern Verwaltung, sowie die
Scheu vor der geschlossenen Opposition des Hofes und der Laudjunkerpartei
erhielten bei dieser Taktik. Es wurde bald klar, daß die Minister auch
dadurch in schiefe Stellung zu ihren eignen Parteigenossen kommen mußten.
Die bittre Abneigung, mit welcher die Majorität der Preußen auf die nächste
Vergangenheit zurücksah, wurde geschärft durch die demüthigende Empfindung,
daß man viele ungesetzliche Uebergriffe, viele schwächliche Tyrannei geduldig
^tragen hatte. Das Volk verdammte mit den Jahren der Reaction die eigne
dumpfe Schwäche. Das Rechtsgefühl. welches oft und widerwärtig verletzt
Worden war, begann gegen verhaßte Persönlichkeiten, die im Amte geblieben
waren, aufzubäumen, vielleicht nicht in jedem Falle den Grad der individuellen
Verschuldung genau abwägend, aber doch im Ganzen mit der höchsten Berechti¬
gung, leidenschaftlich erregt und stürmisch fordernd. Die Minister hatten bei


Volkswünsche, welche mehre von ihnen als Leiter der Majorität in den Kammern
dargestellt hatten, sondern als persönlich Getreue und als persönlich wackere Män¬
ner. Als erste Pflicht erschien ihnen, die Person des Fürsten, auf dnn jetzt die Zu¬
kunft Preußens beruhte, nach allen Seiten festzustellen, ihn selbst und das neue
System mit den zahlreichen Persönlichkeiten, welche dem alten gedient hatten,
zu befreunden, und doch zu gleicher Zeit ihrem Herrn eine edle Popularität zu
erwerben. Es war eine große Aufgabe für loyale Herzen, aber diese Aufgabe
war nicht ganz ohne Gefahr für sie selbst. Denn nicht die unwiderstehliche
Kraft einer einflußreichen Partei, sondern der freie Entschluß, die patriotische
Einsicht und die zufällige Huld des Regenten hatte sie zu seinen Dienern gemacht.
In der traditionellen Umgebung des Hofes, in den höchsten Kreisen des
Staates standen sie. die liberalen Männer, fast allein gegen eine ungeheure
Mehrzahl, welche, in den entgegengesetzten Anschauungen erzogen, voll Abnei¬
gung und Erbitterung auf die neue Ricktung sah. Der Fürst, der ihnen
in dieser feindlichen Umgebung sein Vertrauen bewahrte, an dem sie selbst
mit warmer Verehrung hingen, mußte geschont werden; was ihn ver¬
letzen und irren konnte, sorgfältig von ihm fern zu halten, erschien als das
Nothwendigste. So gewöhnten sie sich, großem Werth auf die Stimmungen
und Anschavungen ihres Fürsten zu legen, als auf die Forderungen der öffent¬
lichen Meinung und ihrer Parteigenossen.

Nie war ein Bruch mit der Vergangenheit größer und heilbringender
gewesen, als der von 1858. Der ganze Enthusiasmus, mit welchem das
Volk dem neuen Regenten cntgegenjauchzte, beruhte auf der Ueberzeugung,
daß dieser Bruch mit der letzten Zeit, welche so arm an Intelligenz, Redlich¬
keit und Ehre war, gründlich, unwiderruflich, eclatant sei. Aber man wollte
den Schein annehmen, als ob man an die Vergangenheit ohne starken Ein¬
schnitt anknüpfen könne. Pietät gegen den kranken König, der Mangel an
fnschen Kräften in der Diplomatie und höhern Verwaltung, sowie die
Scheu vor der geschlossenen Opposition des Hofes und der Laudjunkerpartei
erhielten bei dieser Taktik. Es wurde bald klar, daß die Minister auch
dadurch in schiefe Stellung zu ihren eignen Parteigenossen kommen mußten.
Die bittre Abneigung, mit welcher die Majorität der Preußen auf die nächste
Vergangenheit zurücksah, wurde geschärft durch die demüthigende Empfindung,
daß man viele ungesetzliche Uebergriffe, viele schwächliche Tyrannei geduldig
^tragen hatte. Das Volk verdammte mit den Jahren der Reaction die eigne
dumpfe Schwäche. Das Rechtsgefühl. welches oft und widerwärtig verletzt
Worden war, begann gegen verhaßte Persönlichkeiten, die im Amte geblieben
waren, aufzubäumen, vielleicht nicht in jedem Falle den Grad der individuellen
Verschuldung genau abwägend, aber doch im Ganzen mit der höchsten Berechti¬
gung, leidenschaftlich erregt und stürmisch fordernd. Die Minister hatten bei


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[0295] Volkswünsche, welche mehre von ihnen als Leiter der Majorität in den Kammern dargestellt hatten, sondern als persönlich Getreue und als persönlich wackere Män¬ ner. Als erste Pflicht erschien ihnen, die Person des Fürsten, auf dnn jetzt die Zu¬ kunft Preußens beruhte, nach allen Seiten festzustellen, ihn selbst und das neue System mit den zahlreichen Persönlichkeiten, welche dem alten gedient hatten, zu befreunden, und doch zu gleicher Zeit ihrem Herrn eine edle Popularität zu erwerben. Es war eine große Aufgabe für loyale Herzen, aber diese Aufgabe war nicht ganz ohne Gefahr für sie selbst. Denn nicht die unwiderstehliche Kraft einer einflußreichen Partei, sondern der freie Entschluß, die patriotische Einsicht und die zufällige Huld des Regenten hatte sie zu seinen Dienern gemacht. In der traditionellen Umgebung des Hofes, in den höchsten Kreisen des Staates standen sie. die liberalen Männer, fast allein gegen eine ungeheure Mehrzahl, welche, in den entgegengesetzten Anschauungen erzogen, voll Abnei¬ gung und Erbitterung auf die neue Ricktung sah. Der Fürst, der ihnen in dieser feindlichen Umgebung sein Vertrauen bewahrte, an dem sie selbst mit warmer Verehrung hingen, mußte geschont werden; was ihn ver¬ letzen und irren konnte, sorgfältig von ihm fern zu halten, erschien als das Nothwendigste. So gewöhnten sie sich, großem Werth auf die Stimmungen und Anschavungen ihres Fürsten zu legen, als auf die Forderungen der öffent¬ lichen Meinung und ihrer Parteigenossen. Nie war ein Bruch mit der Vergangenheit größer und heilbringender gewesen, als der von 1858. Der ganze Enthusiasmus, mit welchem das Volk dem neuen Regenten cntgegenjauchzte, beruhte auf der Ueberzeugung, daß dieser Bruch mit der letzten Zeit, welche so arm an Intelligenz, Redlich¬ keit und Ehre war, gründlich, unwiderruflich, eclatant sei. Aber man wollte den Schein annehmen, als ob man an die Vergangenheit ohne starken Ein¬ schnitt anknüpfen könne. Pietät gegen den kranken König, der Mangel an fnschen Kräften in der Diplomatie und höhern Verwaltung, sowie die Scheu vor der geschlossenen Opposition des Hofes und der Laudjunkerpartei erhielten bei dieser Taktik. Es wurde bald klar, daß die Minister auch dadurch in schiefe Stellung zu ihren eignen Parteigenossen kommen mußten. Die bittre Abneigung, mit welcher die Majorität der Preußen auf die nächste Vergangenheit zurücksah, wurde geschärft durch die demüthigende Empfindung, daß man viele ungesetzliche Uebergriffe, viele schwächliche Tyrannei geduldig ^tragen hatte. Das Volk verdammte mit den Jahren der Reaction die eigne dumpfe Schwäche. Das Rechtsgefühl. welches oft und widerwärtig verletzt Worden war, begann gegen verhaßte Persönlichkeiten, die im Amte geblieben waren, aufzubäumen, vielleicht nicht in jedem Falle den Grad der individuellen Verschuldung genau abwägend, aber doch im Ganzen mit der höchsten Berechti¬ gung, leidenschaftlich erregt und stürmisch fordernd. Die Minister hatten bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/295>, abgerufen am 26.08.2024.