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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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der wichtigsten Frage der neuen Regierung, der Militärorganisation, die ge¬
wöhnliche Klugheit versäumt, sich zu rechter Zeit mit ihren Parteigenossen in
Verbindung zu setzen und in vertraulicher Berathung mit diesen die öffentliche
Meinung mit den Intentionen des Monarchen zu vereinigen, bevor die Ge¬
setzentwürfe zur Vorlage festgestellt waren. Sie begingen jetzt einen andern
Fehler, sie verkannten, daß die Entlassung einzelner mißliebiger Beamten nicht
von dem Parteicifer allein, sondern von der öffentlichen Moral gefordert wurde,
und daß es Perioden im Leben eines Volkes giebt, wo ein weiser Staats¬
mann nur durch das bereitwilligste Eingehen aus solche Forderungen den
Fürsten, das Ministerium, das Volk selbst vor unabsehbaren Kämpfen und
Leiden bewahren kann.

So begann der Kampf um die Adreßdebatte. Aber er hatte von vorn
herein eine Schranke wieder in den eigenthümlichen Verhältnissen Preußens.
Die Minister hatten ihr Amt zum großen Theile ohne den rastlos thätigen
Ehrgeiz übernommen, welcher wol in andern Ländern den Staatsmann nach
der Höhe treibt und in seinem Amte festhält. Die Mehrzahl von ihnen trug
ihr Amt mit warmem Pflichtgefühl, aber sie empfanden auf ihren Ministcr-
stühlen noch oft, am lebhaftesten vor den Kammern, daß es voll von Mühen
und aufreibender Arbeit war. Sie hingen nicht daran und waren jeden Tag
bereit, zu resigniren, sobald ihnen die Last zu groß wurde. Und ganz ähnlich
empfanden die Führer der parlamentarischen Majorität. Auch Herr v. Vincke
würde unter den gegebenen Verhältnissen keine Freude empfunden
haben, eine Ministerstelle zu übernehmen. ja er und seine Partei würden in
Verlegenheit gewesen sein, die höchsten Staatsstellen aus ihrer Mitte zu be¬
setzen, selbst wenn denkbar gewesen wäre, daß die Majestät der Krone bei einer
Abdication der gegenwärtigen Minister sofort bereit gewesen wäre, ein Mi¬
nisterium aus der Kammermajorität zu bilden. Man durfte als sicher annehmen,
daß das nicht der Fall war. Ein solches Verhältniß wird bei Nationen, deren
politische Parteien durch hundertjährigen Kampf organisirt sind und eine Menge
Ehrgeiz und Geschäftsroutine in sich entwickelt haben, sehr ausfallend erschei¬
nen, es ist ganz natürlich bei einem Volke, das immer noch von mäßigem
Wohlstand, immer noch unter Vormundschaft der alten Bureaukratie ausge¬
wachsen, erst seit zwölf Jahren mit den Anfängen einer Verfassung versehen
ist. Deshalb aber war der Gegensatz zwischen den Ministern und der live-^
raten Kammerpartei von der Art, daß beide Theile im letzten Grunde d>e
Verpflichtung hatten, zu schonen und Concessionen zu machen. Dies ist rü
einer Weise geschehen, welche wir für so erfreulich halten, wie wenig Momente
in der kurzen parlamentarischen Geschichte Preußens.

Die Minister waren der zweiten Kammer, d. h. der gebildeten Majorität
ihres Volkes gegenüber in einigem Unrecht. Sie hatten in der italienischen


der wichtigsten Frage der neuen Regierung, der Militärorganisation, die ge¬
wöhnliche Klugheit versäumt, sich zu rechter Zeit mit ihren Parteigenossen in
Verbindung zu setzen und in vertraulicher Berathung mit diesen die öffentliche
Meinung mit den Intentionen des Monarchen zu vereinigen, bevor die Ge¬
setzentwürfe zur Vorlage festgestellt waren. Sie begingen jetzt einen andern
Fehler, sie verkannten, daß die Entlassung einzelner mißliebiger Beamten nicht
von dem Parteicifer allein, sondern von der öffentlichen Moral gefordert wurde,
und daß es Perioden im Leben eines Volkes giebt, wo ein weiser Staats¬
mann nur durch das bereitwilligste Eingehen aus solche Forderungen den
Fürsten, das Ministerium, das Volk selbst vor unabsehbaren Kämpfen und
Leiden bewahren kann.

So begann der Kampf um die Adreßdebatte. Aber er hatte von vorn
herein eine Schranke wieder in den eigenthümlichen Verhältnissen Preußens.
Die Minister hatten ihr Amt zum großen Theile ohne den rastlos thätigen
Ehrgeiz übernommen, welcher wol in andern Ländern den Staatsmann nach
der Höhe treibt und in seinem Amte festhält. Die Mehrzahl von ihnen trug
ihr Amt mit warmem Pflichtgefühl, aber sie empfanden auf ihren Ministcr-
stühlen noch oft, am lebhaftesten vor den Kammern, daß es voll von Mühen
und aufreibender Arbeit war. Sie hingen nicht daran und waren jeden Tag
bereit, zu resigniren, sobald ihnen die Last zu groß wurde. Und ganz ähnlich
empfanden die Führer der parlamentarischen Majorität. Auch Herr v. Vincke
würde unter den gegebenen Verhältnissen keine Freude empfunden
haben, eine Ministerstelle zu übernehmen. ja er und seine Partei würden in
Verlegenheit gewesen sein, die höchsten Staatsstellen aus ihrer Mitte zu be¬
setzen, selbst wenn denkbar gewesen wäre, daß die Majestät der Krone bei einer
Abdication der gegenwärtigen Minister sofort bereit gewesen wäre, ein Mi¬
nisterium aus der Kammermajorität zu bilden. Man durfte als sicher annehmen,
daß das nicht der Fall war. Ein solches Verhältniß wird bei Nationen, deren
politische Parteien durch hundertjährigen Kampf organisirt sind und eine Menge
Ehrgeiz und Geschäftsroutine in sich entwickelt haben, sehr ausfallend erschei¬
nen, es ist ganz natürlich bei einem Volke, das immer noch von mäßigem
Wohlstand, immer noch unter Vormundschaft der alten Bureaukratie ausge¬
wachsen, erst seit zwölf Jahren mit den Anfängen einer Verfassung versehen
ist. Deshalb aber war der Gegensatz zwischen den Ministern und der live-^
raten Kammerpartei von der Art, daß beide Theile im letzten Grunde d>e
Verpflichtung hatten, zu schonen und Concessionen zu machen. Dies ist rü
einer Weise geschehen, welche wir für so erfreulich halten, wie wenig Momente
in der kurzen parlamentarischen Geschichte Preußens.

Die Minister waren der zweiten Kammer, d. h. der gebildeten Majorität
ihres Volkes gegenüber in einigem Unrecht. Sie hatten in der italienischen


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[0296] der wichtigsten Frage der neuen Regierung, der Militärorganisation, die ge¬ wöhnliche Klugheit versäumt, sich zu rechter Zeit mit ihren Parteigenossen in Verbindung zu setzen und in vertraulicher Berathung mit diesen die öffentliche Meinung mit den Intentionen des Monarchen zu vereinigen, bevor die Ge¬ setzentwürfe zur Vorlage festgestellt waren. Sie begingen jetzt einen andern Fehler, sie verkannten, daß die Entlassung einzelner mißliebiger Beamten nicht von dem Parteicifer allein, sondern von der öffentlichen Moral gefordert wurde, und daß es Perioden im Leben eines Volkes giebt, wo ein weiser Staats¬ mann nur durch das bereitwilligste Eingehen aus solche Forderungen den Fürsten, das Ministerium, das Volk selbst vor unabsehbaren Kämpfen und Leiden bewahren kann. So begann der Kampf um die Adreßdebatte. Aber er hatte von vorn herein eine Schranke wieder in den eigenthümlichen Verhältnissen Preußens. Die Minister hatten ihr Amt zum großen Theile ohne den rastlos thätigen Ehrgeiz übernommen, welcher wol in andern Ländern den Staatsmann nach der Höhe treibt und in seinem Amte festhält. Die Mehrzahl von ihnen trug ihr Amt mit warmem Pflichtgefühl, aber sie empfanden auf ihren Ministcr- stühlen noch oft, am lebhaftesten vor den Kammern, daß es voll von Mühen und aufreibender Arbeit war. Sie hingen nicht daran und waren jeden Tag bereit, zu resigniren, sobald ihnen die Last zu groß wurde. Und ganz ähnlich empfanden die Führer der parlamentarischen Majorität. Auch Herr v. Vincke würde unter den gegebenen Verhältnissen keine Freude empfunden haben, eine Ministerstelle zu übernehmen. ja er und seine Partei würden in Verlegenheit gewesen sein, die höchsten Staatsstellen aus ihrer Mitte zu be¬ setzen, selbst wenn denkbar gewesen wäre, daß die Majestät der Krone bei einer Abdication der gegenwärtigen Minister sofort bereit gewesen wäre, ein Mi¬ nisterium aus der Kammermajorität zu bilden. Man durfte als sicher annehmen, daß das nicht der Fall war. Ein solches Verhältniß wird bei Nationen, deren politische Parteien durch hundertjährigen Kampf organisirt sind und eine Menge Ehrgeiz und Geschäftsroutine in sich entwickelt haben, sehr ausfallend erschei¬ nen, es ist ganz natürlich bei einem Volke, das immer noch von mäßigem Wohlstand, immer noch unter Vormundschaft der alten Bureaukratie ausge¬ wachsen, erst seit zwölf Jahren mit den Anfängen einer Verfassung versehen ist. Deshalb aber war der Gegensatz zwischen den Ministern und der live-^ raten Kammerpartei von der Art, daß beide Theile im letzten Grunde d>e Verpflichtung hatten, zu schonen und Concessionen zu machen. Dies ist rü einer Weise geschehen, welche wir für so erfreulich halten, wie wenig Momente in der kurzen parlamentarischen Geschichte Preußens. Die Minister waren der zweiten Kammer, d. h. der gebildeten Majorität ihres Volkes gegenüber in einigem Unrecht. Sie hatten in der italienischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/296>, abgerufen am 26.08.2024.