Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.hatte, aber noch schien die öffentliche Meinung keine so imponirende Gewalt, daß Neben dem vielen Guten, das unter solchen Verhältnissen gethan werden Die Minister waren zu ihren Aemtern nicht emporgetragen durch die Kraft der hatte, aber noch schien die öffentliche Meinung keine so imponirende Gewalt, daß Neben dem vielen Guten, das unter solchen Verhältnissen gethan werden Die Minister waren zu ihren Aemtern nicht emporgetragen durch die Kraft der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0294" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111188"/> <p xml:id="ID_996" prev="#ID_995"> hatte, aber noch schien die öffentliche Meinung keine so imponirende Gewalt, daß<lb/> sie mit Sicherheit eine Negierung gegen die Angriffe der Gegner gehalten hätte.<lb/> Die Presse war eben erst durch acht Jahre in tendenziöser Weise beschränkt,<lb/> oft gemißhandelt worden, sie that grade jetzt wieder ihre ersten freien Athemzüge.<lb/> Endlich die Führer der Parteien waren nicht in jedem Sinne zur Uebernahme<lb/> eines hohen Staatsamtes geeignet; nur wenigen von ihnen war die Politik Le¬<lb/> bensberuf, dem Parteileben fehlte jede Schule und viel von der Erfahrung und<lb/> Routine, welche sowol im innern als im auswärtigen Amt den Ministern nöthig<lb/> sind. Die Führer waren mannhafte Landgentlemen oder höhere Beamte, die<lb/> zum Theil aus dem Staatsdienst geschieden waren, mehrere von ungewöhnlicher<lb/> Begabung, durch elf Jahre stürmischer und aufreibender Kammerverhandlungen an<lb/> das parlamentarische Leben gewöhnt. Sie hatten viele Selbstverleugnung und<lb/> einen heldenhaften Patriotismus bewährt, hatten vielleicht persönliche Opfer ge¬<lb/> bracht, um die Wintermonate hindurch in der Residenz zu leben, aber sie waren<lb/> durchaus nicht fertig und bereit, aus ihrer Mitte die gesammte große und noch<lb/> überkünstliche Negicrungsmaschine zu dirigiren. Unter solchen Umständen that<lb/> der damalige Regent, was seiner ehrlichen und biedern Art als das relativ<lb/> Beste erschien, er wählte in sein Ministerium solche Männer, deren persönliche<lb/> Ehrenhaftigkeit und Intelligenz er in frühern schweren Zeiten kennen gelenk<lb/> hatte, das heißt Männer, welche ihm persönlich ergeben waren und mehr<lb/> oder weniger einem gemäßigten Liberalismus anhingen. Daß zwei Minister<lb/> des frühern Regiments beibehalten wurden, der eine als praktische Kapacität,<lb/> der andere, wie es den Anschein hatte, nur vorläufig, daß ferner ein Fürst<lb/> 'des Hauses Hohenzollern, dessen erlauchtes Haupt in einem verantwortliche"<lb/> Ministerium nicht wol zu denken war, mit dem Präsidium des neuen Mini¬<lb/> steriums betraut wurde, das Alles wurde vom Volke recht wol verstanden, so<lb/> wie es gemeint war. Es war die Absicht, durch ein solches Ministerium<lb/> braver Männer, reiner Namen das Vertrauen zwischen Regierung und Volk<lb/> wiederherzustellen, größere Redlichkeit, würdigere Haltung in die Verwaltung<lb/> einzuführen. Haß und Mißtrauen zwischen den einzelnen Parteien allmälig zu<lb/> vermindern. Ueberall sollte gebessert werden, dabei aber die Gegenpartei,<lb/> welche einen großen Theil der einflußreichsten Beamtenstellen, den größten Theil<lb/> des Heeres, fast den gesammten Landadel umfaßte, möglichst geschont werde»,<lb/> schon deshalb, weil man der Ansicht war, Dienste und guten Willen dieser<lb/> beträchtlichen Zahl nicht entbehren zu können.</p><lb/> <p xml:id="ID_997"> Neben dem vielen Guten, das unter solchen Verhältnissen gethan werden<lb/> konnte, ergab die Wahl und Zusammensetzung des neuen Ministeriums sofort<lb/> auch Uebelstände, welche noch jetzt dauern und besonders charakteristisch für<lb/> den gegenwärtigen Standpunkt der Staatsentwickelung sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_998" next="#ID_999"> Die Minister waren zu ihren Aemtern nicht emporgetragen durch die Kraft der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0294]
hatte, aber noch schien die öffentliche Meinung keine so imponirende Gewalt, daß
sie mit Sicherheit eine Negierung gegen die Angriffe der Gegner gehalten hätte.
Die Presse war eben erst durch acht Jahre in tendenziöser Weise beschränkt,
oft gemißhandelt worden, sie that grade jetzt wieder ihre ersten freien Athemzüge.
Endlich die Führer der Parteien waren nicht in jedem Sinne zur Uebernahme
eines hohen Staatsamtes geeignet; nur wenigen von ihnen war die Politik Le¬
bensberuf, dem Parteileben fehlte jede Schule und viel von der Erfahrung und
Routine, welche sowol im innern als im auswärtigen Amt den Ministern nöthig
sind. Die Führer waren mannhafte Landgentlemen oder höhere Beamte, die
zum Theil aus dem Staatsdienst geschieden waren, mehrere von ungewöhnlicher
Begabung, durch elf Jahre stürmischer und aufreibender Kammerverhandlungen an
das parlamentarische Leben gewöhnt. Sie hatten viele Selbstverleugnung und
einen heldenhaften Patriotismus bewährt, hatten vielleicht persönliche Opfer ge¬
bracht, um die Wintermonate hindurch in der Residenz zu leben, aber sie waren
durchaus nicht fertig und bereit, aus ihrer Mitte die gesammte große und noch
überkünstliche Negicrungsmaschine zu dirigiren. Unter solchen Umständen that
der damalige Regent, was seiner ehrlichen und biedern Art als das relativ
Beste erschien, er wählte in sein Ministerium solche Männer, deren persönliche
Ehrenhaftigkeit und Intelligenz er in frühern schweren Zeiten kennen gelenk
hatte, das heißt Männer, welche ihm persönlich ergeben waren und mehr
oder weniger einem gemäßigten Liberalismus anhingen. Daß zwei Minister
des frühern Regiments beibehalten wurden, der eine als praktische Kapacität,
der andere, wie es den Anschein hatte, nur vorläufig, daß ferner ein Fürst
'des Hauses Hohenzollern, dessen erlauchtes Haupt in einem verantwortliche"
Ministerium nicht wol zu denken war, mit dem Präsidium des neuen Mini¬
steriums betraut wurde, das Alles wurde vom Volke recht wol verstanden, so
wie es gemeint war. Es war die Absicht, durch ein solches Ministerium
braver Männer, reiner Namen das Vertrauen zwischen Regierung und Volk
wiederherzustellen, größere Redlichkeit, würdigere Haltung in die Verwaltung
einzuführen. Haß und Mißtrauen zwischen den einzelnen Parteien allmälig zu
vermindern. Ueberall sollte gebessert werden, dabei aber die Gegenpartei,
welche einen großen Theil der einflußreichsten Beamtenstellen, den größten Theil
des Heeres, fast den gesammten Landadel umfaßte, möglichst geschont werde»,
schon deshalb, weil man der Ansicht war, Dienste und guten Willen dieser
beträchtlichen Zahl nicht entbehren zu können.
Neben dem vielen Guten, das unter solchen Verhältnissen gethan werden
konnte, ergab die Wahl und Zusammensetzung des neuen Ministeriums sofort
auch Uebelstände, welche noch jetzt dauern und besonders charakteristisch für
den gegenwärtigen Standpunkt der Staatsentwickelung sind.
Die Minister waren zu ihren Aemtern nicht emporgetragen durch die Kraft der
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